Der „Virus des Antisemitismus“ wird in der Schule bekämpft

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Konferenz der „European Jewish Association“ (EAJ) mit Sitz in Brüssel, die anlässlich des 83. Jahrestages der „Reichspogromnacht“ in Krakau stattfand. Foto Jörn Schumacher
Konferenz der „European Jewish Association“ (EAJ) mit Sitz in Brüssel, die anlässlich des 83. Jahrestages der „Reichspogromnacht“ in Krakau stattfand. Foto Jörn Schumacher
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Die Bildung in den Schulen und in den Universitäten hilft massgeblich dabei, Antisemitismus an der Wurzel zu bekämpfen. Das war ein Fazit der Konferenz der „European Jewish Association“ (EJA) mit Sitz in Brüssel, die anlässlich des 83. Jahrestages der „Reichspogromnacht“ in Krakau stattfand.

Die „European Jewish Association“ (EJA) will in Zeiten des wachsenden Antisemitismus die jüdische Identität stärken und Aktivitäten jüdischer Organisationen in Europa unterstützen. „Wir lieben es jüdisch zu sein“, proklamieren die Verantwortlichen selbstbewusst. „Wir glauben nicht an ein Judentum ‚hinter verschlossener Tür’“. Stattdessen propagiert die EAJ ein Judentum, das sich offen zeigt, sich engagiert und das Einfluss hat. Anlässlich des 83. Jahrestages der „Reichspogromnacht“ am 9. November 1938 veranstaltete die EJA in Krakau eine Konferenz mit über 150 renommierten Gästen aus Politik, Bildung und jüdischem Engagement.

Es sei eine herausfordernde Zeit für Juden in Europa, betonte Alex Benjamin, der Direktor der EJA in Brüssel. Die Herausforderungen nähmen nicht ab, sondern zu. Auch 83 Jahre nach dem 9. November 1938, der als die „Reichskristallnacht“ bekannt ist, müssten jüdische Gemeinden und Organisationen rund um die Uhr bewacht werden. „Es ist wie ein anderer Virus. Ein Virus des Antisemitismus“, sagte Benjamin bei der Eröffnung der Tagung in Krakau.

Der Gründer und Vorsitzende der EJA, Rabbi Menachem Margolin, sagte: „Vor 83 Jahren brannten 1.400 Synagogen. Und jüdische Friedhöfe und Geschäfte wurden zerstört. Tausende Menschen wurden umgebracht.“ Es habe sich dabei nicht etwa um Akte des Vandalismus gehandelt, sondern sei von der Regierung so angeordnet worden, betonte Margolin. „Am Ende mussten die Juden für den Schaden auch noch selbst aufkommen. Keine Versicherung zahlte. Die Juden mussten ihre Geschäfte aufgeben, all ihren Besitz aufgeben.“ Margolin sagte weiter: „Wir sind heute nicht nur hier, um unseren Respekt zu zeigen, sondern auch um Aufmerksamkeit zu erwecken. Europa hat komplett versagt im Kampf gegen Antisemitismus. Denn der Antisemitismus geht nicht zurück, sondern er nimmt Jahr für Jahr zu.“ Juden seien nicht sicher auf den Strassen in Europa, so Margolin. Vor 80 Jahren hätten Städte und irgendwann ganze Länder in der Nazisprache als „judenrein“ gegolten. Heute gelte: „Wir sind nicht judenfrei in Europa. Aber die jüdische Präsenz in Europa nimmt immer mehr ab.“ Der EJA-Gründer rief dazu auf: „Lassen Sie uns alles tun, um jüdisches Leben in Europa zu schützen!“

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Gründer und Vorsitzender der EJA, Rabbi Menachem Margolin, Foto Jörn Schumacher

„Hass ist keine Ansichtssache“

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments aus Malta, Roberta Metsola, sagt in einer Videogrussbotschaft, aus der Asche von Auschwitz, müsse eine neues Versprechen erwachsen, dass die Wahrheit über den Holocaust nie in Vergessenheit gerate. „Dass Synagogen in Europa bewacht werden müssen, ist ein Zeichen dafür, dass wir nicht genug getan haben, um diese Diskriminierung zu beenden“, so Metsola, die der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. „Das ist unser aller Schuld. Aber auch unsere gemeinsame Herausforderung.“ Auschwitz sei nicht plötzlich gekommen, sondern habe sich langsam anbahnen können, weil zu viele Menschen zu viel akzeptiert hätten. „Eine Maschine funktioniert nur, wenn Menschen sie bedienen.“ Auch heute gelte es, schon früh die Stimme zu erheben, wenn Juden Angst haben müssen. „Es kommt auf einzelne Entscheidungen von einzelnen Menschen an, damit die Maschine eben nicht läuft“, sagte Metsola. Die Überlebenden des Holocaust würden immer weniger. „Daher liegt es an uns, zu sprechen, wenn diese Menschen nicht mehr sprechen können“, so Metsola. Sie mahnte: „Hass ist keine Ansichtssache. Den Holocaust zu leugnen ist keine Meinung.“

Der britische Bildungsminister Nadhim Zahawi betonte, er setze sich dafür ein, dass in Grossbritannien die kommenden Generationen niemals vergessen, was damals passiert ist. Er selbst wisse was es heisst, unter einem barbarischen totalitären Regime und in Angst zu leben. Zahawi, der im Irak aufwuchs und mit elf Jahren nach England kam, sagte, seine Familie habe die Schreckensherrschaft von Saddam Hussein erlebt. „Ich sah aus erster Hand, wie Klassenräume zu Waffen der Vorurteile werden können.“ Daher sei es besonders wichtig darauf zu achten, dass auch die künftigen Generationen den Holocaust als das einzigartige Ereignis in der Geschichte verstünden, das es war. Er setze sich als Bildungsminister dafür ein, dass der Holocaust in britischen Schulen eine zentrale Rolle spielt und dass Lehrer bestens dazu ausgebildet werden, den Lehrinhalt angemessen zu vermitteln.

Die Bildungsministerin des deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, Stefanie Hubig, die ebenfalls als Gast geladen war, sagte, das Thema Holocaust sei ihr eine „Herzensangelenheit“. Angesichts des nur 70 Kilometer entfernten Gedenkstätte Auschwitz sagte die Politikerin: „Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr mich dieser Ort bewegt. Er erinnert uns alle daran, dass wir immer wieder auf das Thema Holocaust hinweisen müssen, im alltäglichen Leben, aber auch in Schulen.“ Die deutsche Politikerin betonte: „Es gibt Antisemitismus in Deutschland! Daher müssen wir dagegen kämpfen.“ Sie sei froh, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder aufblühe, viele junge Menschen etwa kämen aus Tel Aviv nach Deutschland. Hubig hatte 2018 mit ihrem saarländischen Kollegen mit dem damaligen israelischen Bildungsminister Naftali Bennett in Israel eine Gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet. Demnach solle jeder junge Mensch aus den beiden Bundesländern einmal während seiner Schulzeit eine Gedenkstätte besuchen oder in Kontakt mit Zeitzeugen kommen. Gegenüber Audiatur-Online sagte Hubig, dass sie bereits zum zweiten Mal die Gedenkstätte Auschwitz besuche. Ihr sei es aufgrund ihres eigenen familiären Hintergrunds schon seit der Jugend ein grosses Anliegen gewesen, sich mit dem Dritten Reich auseinanderzusetzen. „Meine beiden Grossväter waren Nazis“, so Hubig gegenüber Audiator online. „In der weiteren Verwandtschaft gab es jemanden, der Massenmorde an Juden in der Ukraine zu verantworten hatte.“

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Bildungsministerin des deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, Stefanie Hubig. Foto Jörn Schumacher.

„Vielfalt ist keine Gefahr, sondern eine Bereicherung“

Kishan Manocha vom Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE), warnte: „Antisemitismus ist nicht nur eine Gefahr für Juden, sondern für eine ganze Gesellschaft. Von Vancouver bis Vladiwostok.“ Dabei sei das Phänomen kein Problem mehr von Intoleranz oder Hassrede; es gehe um tödliche Angriffe. Dabei manifestiere sich Antisemitismus unter anderem sogar dort, wo es kaum Juden gebe, so Manocha. Er warnte, dass Antisemitismus immer offener zutage trete, bis hin zum Programm politischer Parteien. Wenn im Internet Falschinformationen, Entmenschlichung von Juden und anderen Minderheiten stattfinde, etwa durch die Behauptung, am Corona-Virus seien Juden schuld, dann sei es besonders deutlich: „Vor allem Bildung bekämpft das Problem an der Wurzel.“ Jugendlichen, die ja viel im Internet aktiv seien, müsse beigebracht werden: „Vielfalt ist keine Gefahr, sondern eine Bereicherung!“

Mit dem „King David Award“ der EJA wurde am Montag der Polizeichef und Generaldirektor für öffentliche Sicherheit in Italien, Lamberto Giannini, ausgezeichnet für seine Rolle im Schutz der jüdischen Gemeinschaft in Italien sowie für seinen Kampf gegen Rechtsextremismus. Zum Abschluss der Konferenz besuchte die Delegation der EAJ mit allen Gästen der Tagung die Holocaust-Gedenkstätte Auschwitz Birkenau. Die Delegierten aus den verschiedenen Nationen legten einen Kranz in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nieder.

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Über Jörn Schumacher

Jörn Schumacher arbeitet als freier Journalist und lebt in der Nähe von Münster. Er hat Linguistik, Philosophie und Informationswissenschaft studiert und war viele Jahre Redakteur beim deutschen Webportal Israelnetz und beim Christlichen Medienmagazin pro.

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