Kodierte Sprache: Antisemitismus in Online-Kommentarspalten

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Symbolbild. Foto IMAGO / imagebroker
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Hassrede gegen Juden: Nach einer neuen Untersuchung äussert sie sich in der Mitte der Gesellschaft zwar eher selten explizit. Aber in kodierter Sprache ist Antisemitismus in Online-Kommentarspalten durchaus verbreitet.

von Nina Schmedding

Nach einer internationalen Studie ist Antisemitismus in Online-Kommentar-Spalten von Mainstream-Medien verbreitet. Allerdings werde der Judenhass dort nicht ausdrücklich ausgesprochen, sondern sei eher versteckt enthalten. „Der Grossteil der antisemitischen Ideen wird codiert ausgedrückt“, sagte Studienleiter Matthias Becker von der TU Berlin am Donnerstag. Hier gebe es „ein ganzes System von Umwegkommunikation“.

In politisch gemässigten Online-Milieus sind demnach 80 bis 85 Prozent des Antisemitismus implizit, also in Form von Anspielungen, Wortspielen oder rhetorischen Fragen. Diese Form von antijüdischer Hassrede werde in gängigen Umfragen gar nicht aufgedeckt. „Das bedeutet, es gibt eine riesige Dunkelziffer. Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs“, so Becker. „Ein explizites Schimpfwort gegen Juden werden Sie im Kommentarbereich von Der Spiegel, von Le Monde oder The Guardian nicht finden, sondern in Wortspielen, Anspielungen oder in der Metaphorik.“

Die Menschen äussern sich demnach eher indirekt, weil sie Sanktionen fürchteten oder nicht aus ihrer Peergroup ausgeschlossen werden wollten. „Keiner will Antisemit genannt werden“, so Becker. „Die Leute sagen dann eher, sie kämpfen für Unrecht und gegen Apartheid und Genozid.“

Zudem werde Implizitheit „dadurch attraktiv, dass sich User mittels codierter Kommunikation von der unwissenden Masse abheben und der Moderation durchs Netz gehen“. So könne etwa jemand den Holocaust leugnen, indem er in Anspielung auf Spielbergs Film statt „Schindlers Liste“ von „Schwindlers List“ spreche. Verbreitet seien auch „indirekte Sprechakte“, etwa „Und wer hält nun schon wieder die Hand auf“ oder implizite NS-Vergleiche wie „Endlösung der Palästinenser-Frage“.

Zudem stellte die Forschungsgruppe eine Veränderung der Kommunikation seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fest. Die impliziten antisemitischen Äusserungen hätten sich seitdem „verdoppelt und verdreifacht“, sagte Becker. Zudem hätten sie eine neue Qualität erlangt. „Konkret dargestellte Gewalt gegen jüdische Menschen führte zu Gewaltverherrlichung und Gewalt an anderen Orten.“

„Weiter so Jungs“

So seien etwa in Online-Kommentarspalten in direkter Reaktion auf Videos, in denen es etwa um die Zerstörung von einem Kibbuzz oder die Ermordung von Teilnehmern des Musikfestivals ging, Selbstpositionierungen zu lesen gewesen wie etwa „Weiter so Jungs“.

Weiter sei eine Verschränkung von Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus in den Kommentarfunktionen von Mainstream-Medien ablesbar. So sei etwa die Ermordung von weiblichen Opfern des Musikfestivals „auf erschreckende und oft auch pornografische Weise“ kommentiert worden.

Im Ländervergleich konnte das Team erhebliche Unterschiede feststellen. „Über den Untersuchungszeitraum von dreieinhalb Jahren war in Grossbritannien in den untersuchten Medien der Antisemitismus am meisten verbreitet, gefolgt von den Medien in Frankreich und denen in Deutschland“, so Becker.

Als Ursache sieht der Forscher etwa, dass Englisch eine Weltsprache sei und etwa in „The Guardian“ User aus der ganzen Welt kommentierten. Zudem sei aber auch das Bewusstsein über Antisemitismus in Grossbritannien geschichtsbedingt deutlich geringer als in Deutschland. Bei den Briten stehe eher die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus im Vordergrund. „Fehlt das Bewusstsein, werden entsprechende Bilder auch eindeutiger kommuniziert“, so Becker.

Für die Studie „Decoding Antisemitism“ (Antisemitismus entschlüsseln) wurden 130.000 Nutzerinnen- und Nutzer-Kommentare in Deutschland, Frankreich und England untersucht. Laut Angaben handelt es sich um die erste länderübergreifende Untersuchung. Dabei analysierten die Forscher von 2020 bis 2024 die Kommentarspalten der Online-Auftritte etwa von den Zeitungen The Guardian, Le Monde oder Die Zeit sowie deren Accounts auf sozialen Medienplattformen.

Am Projekt beteiligt ist neben dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin unter anderem auch das King’s College London.

KNA/nsc/cas