Mahmud Abbas‘ «kreative Lösungen»

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PA-Präsident Mahmud Abbas spricht im Fernsehen, 16. September 2015. ("Wir begrüssen jeden um Jersualems willen vergossenen Tropfen Blut.") Foto Screenshot Youtube
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Erst kürzlich räumte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, erstmals öffentlich ein, im Jahr 2008 ein sehr weitgehendes Angebot des damaligen israelischen Premierministers Ehud Olmert zur Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates neben dem jüdischen Staat zurückgewiesen zu haben. Damit bestätigte er, was Olmert bereits 2013 dem israelischen Journalisten Avi Issacharoff eröffnet hatte. In einer ausführlichen Analyse erörtert Shmuel Even, Forschungsbeauftragter am Institute for National Security Studies in Tel Aviv, welche Strategie Abbas damit verfolgt, Israel nach wie vor nicht als jüdischen Staat zu akzeptieren, und welche Pläne ihm für «Palästina» vorschweben.

«Wir können einen jüdischen Staat nicht anerkennen», sagte Mahmud Abbas am 30. November 2014 in einem Interview der ägyptischen Zeitung «Akhbar al-Yawm». «Wir sind und bleiben dagegen, nicht aus Sturheit, sondern weil es unseren Interessen widerspricht.» Schliesslich hätten unter einer solchen Anerkennung zuerst die 1,5 Millionen in Israel lebenden Araber zu leiden, die aufgrund ihrer Religion dann nicht länger zu Israel gehören würden. Es gebe aber noch einen weiteren Grund, so Abbas: «Israel wird die Rückkehr der Flüchtlingen nicht genehmigen. Es gibt aber sechs Millionen von ihnen, die zurückkehren wollen.» Daher müsse man «kreative Lösungen» finden, denn «wir können den Rückkehrwilligen nicht die Tür vor der Nase zuschlagen». Selbst vor dem absurden Vergleich des demokratischen Israel mit der Terrororganisation «Islamischer Staat» (IS) schreckte der Präsident der Autonomiebehörde nicht zurück: «Israel strebt danach, ein jüdischer Staat zu sein, der IS strebt danach, ein islamischer Staat zu sein. Und wir sind hier sowohl dem jüdischen als auch dem islamischen Extremismus ausgesetzt.» Wenn die Palästinenser einen jüdischen Staat anerkennten, so glaubt er, hätten die Führer des IS ausserdem eine bequeme Entschuldigung, um einen islamischen Staat zu gründen.

Was Mahmud Abbas vorschwebe, so Shmuel Even, sei zweierlei: zum einen die Gründung eines palästinensischen Staates, in dem keine Juden leben dürfen, und zum anderen ein binationaler – also jüdischer und palästinensischer – israelischer Staat innerhalb der «Grünen Linie». Die arabischen Israelis sollten dabei ihre israelische Staatsbürgerschaft unbedingt behalten und bekämen keinen palästinensischen Pass. Die dahinter stehende, nur vordergründig überraschende Logik hatte Abbas bereits 2009 gegenüber der palästinensischen Verhandlungsdelegation unter der Führung des Unterhändlers Saeb Erekat erläutert. Einem arabisch-israelischen Delegationsmitglied aus Nazareth, das gefragte hatte, ob es nach der Gründung eines palästinensischen Staates ein palästinensischer Staatsangehöriger werde, antwortete «Abu Mazen»: «Die strategische Antwort lautet: Nein. Sie sollten bleiben, wo Sie sind, dort für Ihre Rechte eintreten und Ihre Gemeinschaft erhalten. Sie brauchen keinen Pass, um zu beweisen, dass Sie Palästinenser sind. 1948 gab es 138.000 Palästinenser in Israel, heute sind es mehr als eine Million. Diese Heimat ist Ihre Heimat.»

Abbas geht es also darum, dass die arabische Minderheit in Israel weiter anwächst und stärker wird, während gleichzeitig ein rein palästinensischer Staat entsteht. Shmuel Even stellt deshalb fest: «Es gibt eine De-facto-Anerkennung Israels als Land mit einer jüdischen Mehrheit – allerdings nur für eine begrenzte Zeit.» Den arabischen Israelis kommt in Abbas‘ Konzept eine tragende Rolle zu, sowohl in demografischer als auch in politischer Hinsicht. Sie sollen die Proportionen in der israelischen Bevölkerung immer stärker verändern – die Ablehnung israelischer Personalausweise bei gleichzeitiger Gewährung der palästinensischen Staatsbürgerschaft würde diesem Ziel entgegenwirken – und den Druck hinsichtlich der «Rückkehr» der «Flüchtlinge» erhöhen. Aus diesem Grund ist Abbas auch gegen einen Gebietsaustausch, bei dem innerhalb der «Grünen Linie» liegende israelische Territorien, auf denen zahlreiche arabische Israelis leben, einem palästinensischen Staat zugeschlagen würden, während Israel im Gegenzug Teile des Westjordanlandes bekäme, die von israelischen Siedlern bevölkert sind.

Um seine Pläne nicht zu gefährden, spricht sich Mahmud Abbas immer wieder gegen die Anwendung von Gewalt aus, auch wenn er es sich nicht nehmen lässt, regelmässig den «gerechten Kampf» der palästinensischen «Märtyrer» gegen die Juden zu preisen und Israel beispielsweise zu unterstellen, den Tempelberg erobern und die Al-Aksa-Moschee zerstören zu wollen. «Abu Mazens derzeitige Ablehnung eines gewaltsamen Kampfes rührt vermutlich daher, dass er befürchtet, der Status der in Israel lebenden Araber, ihre Fähigkeit, palästinensische Interessen im politischen System Israels zu befördern, sowie das Rückkehrrecht könnten beeinträchtigt werden», schreibt Shmuel Even. «Er braucht ihre politische Macht.» In Bezug auf das Thema »Rückkehr» sei Abbas dabei durchaus klar, dass Israel nicht alle «Flüchtlinge» – oder auch nur einen erheblichen Teil – aufnehmen kann, denn das würde, wie er selbst gesagt habe, «das Ende Israels bedeuten». Gleichwohl ist das »Rückkehrrecht» für «Abu Mazen« unverhandelbar, ja, sakrosankt. Einstweilen ist er bereit – so sagte er es jedenfalls im Interview von «Akhbar al-Yawm» –, sich auf ein Interimsabkommen mit Israel ein- und diesen Punkt dabei zunächst aussen vor zu lassen. Angesichts seiner längerfristigen Pläne dürfte er auch keinen Grund zur Eile sehen.

Mit dem Vorschlag einer Interimsvereinbarung versuche der angeschlagene Abbas zudem, so Even, seine politische Macht wieder zu stärken. Ein palästinensischer Staat (mit Ostjerusalem als Hauptstadt) ohne jüdischen Bevölkerungsanteil, keine Anerkennung Israels als jüdischer Staat und eine Verschiebung strittiger Fragen auf einen späteren Zeitpunkt – das seien die kurzfristigen Vorhaben des Präsidenten der Autonomiebehörde. Auf längere Sicht geht es ihm aber um deutlich mehr – nämlich um das unverrückbare Ziel einer «Befreiung ganz Palästinas». Die sogenannte internationale Gemeinschaft dürfte er dabei auf seiner Seite haben, denn auch diese hält es für selbstverständlich, dass Israel ein binationaler Staat mit gleichen Rechten für die arabische Bevölkerung ist, während in einem Staat Palästina keine Juden leben sollen – ein Traum für jeden Antisemiten, gleich welcher Couleur. Die Inanspruchnahme der arabischen Israelis als «fünfte Kolonne» und der Demografie als Mittel, um bevölkerungstechnische Fakten zu schaffen, werden international ebenfalls weitestgehend unkritisch gesehen. Wenn dem jüdischen Staat nicht allein mit terroristischen Mitteln der Garaus zu machen ist, so Abbas‘ «kreative» Idee, dann eben mit anderen, vermeintlich friedlichen – die für Israel gleichwohl nicht minder bedrohlich sind.

Über Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt ist freier Autor und lebt in Köln. Er hält Vorträge zu den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost und schreibt regelmässig für verschiedene Medien unter anderem für die «Jüdische Allgemeine» und «Mena-Watch». Zudem ist er der Betreiber des Blogs «Lizas Welt». Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von »Vereinte Nationen gegen Israel«, erschienen bei Hentrich & Hentrich 2018.

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