Die Unbelehrbarkeit der Documenta-Verantwortlichen

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21. Juni 2022, Kassel, documenta fifteen. Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungen wird abgehängt. Foto IMAGO / Hartenfelser
21. Juni 2022, Kassel, documenta fifteen. Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungen wird abgehängt. Foto IMAGO / Hartenfelser
Lesezeit: 8 Minuten

Dass auf der Documenta antisemitische Exponate zu sehen sind, ist keine Überraschung, sondern es hat sich seit einem halben Jahr abgezeichnet. Doch die Verantwortlichen schlugen die kritischen und warnenden Hinweise in den Wind. Ernsthafte Konsequenzen fördert der Skandal, von einem «Bauernopfer» abgesehen, bislang nicht zustande. Das macht ihn noch ungeheuerlicher – und für Juden noch gefährlicher.

Nun soll es also die Wissenschaft richten. Sechs Wochen nach Eröffnung der 15. Ausgabe der Documenta in Kassel – in denen immer mehr Ausstellungsstücke mit antisemitischem Charakter ausfindig gemacht wurden und die Kritik bis hin zu Forderungen nach dem Abbruch der Kunstschau immer lauter wurde – sollen sich fortan sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen um die Aufarbeitung der bisherigen Fälle kümmern und prüfen, ob es womöglich weitere gibt. So hat es der Aufsichtsrat der Documenta entschieden, während der Interimsgeschäftsführer Alexander Farenholtz fand, es bestehe «keine Veranlassung für eine generelle Prüfung» und auch nicht für die Entfernung antisemtischer Kunstwerke.

Die berufenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten sich dann auch «irritiert, dass die Leitung der Documenta […] in dem Moment, in dem das Gremium eingesetzt wird, das ihre Arbeit begleiten soll, wesentliche Fragen des Umgangs mit antisemitischer Kunst festzulegen scheint». Man behalte sich vor, eine eigene Position zu formulieren. Zu Recht sei die öffentliche Präsentation antisemitischer Werke und der Umgang damit als empörend empfunden worden, vor allem von der jüdischen Gemeinschaft, erklärten die fachwissenschaftlichen Begleiter weiter. Man werde sich deshalb «dafür einsetzen, dass jüdische Perspektiven bei der Aufarbeitung der Vorgänge bedacht und eingebunden werden».

Das sind deutliche Worte, die klar machen, wie sehr es den Documenta-Verantwortlichen widerstrebt, den Skandal in Kassel überhaupt als solchen zu begreifen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Es hatte wochenlang gedauert, bis die Generaldirektorin Sabine Schormann von ihrem Amt entbunden und damit zumindest eine erste personelle Konsequenz gezogen wurde. Gebessert hat sich dadurch gleichwohl nichts. Schormanns vorläufiger Nachfolger Farenholtz verkündete vielmehr, es gebe gar kein Problem: «Die Zahlen sind sehr gut, die Stimmung auch. Ich glaube, dass die Documenta als Ausstellung auf einem hervorragenden Kurs ist.» Als kurz darauf die faksimilierte Broschüre eines algerischen Frauenkollektivs mit antisemitischen Darstellungen israelischer Soldaten publik wurde, wollte er darin keine Zeichnungen im Stürmer-Stil erkannt haben, sondern bloss die «unsympathische Darstellung von militärischer Gewalt».

Wo BDS draufsteht, ist Antisemitismus drin

Solche Äusserungen sind symptomatisch für die Documenta-Spitze, auch Schormann und der Vorsitzende des Aufsichtsrates, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle, waren zuvor immer wieder mit Abwiegelungen und Verharmlosungen aufgefallen. Und das bereits seit Januar, als das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel eine umfangreiche Recherche veröffentlichte und darauf hinwies, dass sich in der Findungskommission der Ausstellung, der künstlerischen Leitung, dem künstlerischen Team und den eingeladenen Künstlergruppen allerlei Unterstützer der antisemitischen Bewegung für einen Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel tummeln. Doch vonseiten der Verantwortlichen hiess es in völliger Verkennung der Realität, Antisemitismus habe auf der Documenta keinen Platz, es werde dort deshalb auch keinen Antisemitismus geben.

Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit Darstellungen von Juden als tierische Wesen mit Dracula-Zähnen (und Schläfenlocken) samt SS-Rune auf dem Hut. Foto IMAGO / Hartenfelser
Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit Darstellungen von Juden als tierische Wesen mit Dracula-Zähnen (und Schläfenlocken) samt SS-Rune auf dem Hut. Foto IMAGO / Hartenfelser

Es gab ihn dann aber doch – erwartungsgemäss, denn wo BDS draufsteht, ist nun mal Antisemitismus drin. Er manifestierte sich etwa im riesigen Schlachtengemälde «Peoples‘ Justice» des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, in dem Juden als Nazis und Schweine dargestellt sind. Zu finden war er aber auch im Zyklus «Guernica Gaza», der die israelische Armee mit der deutschen Wehrmacht während des Nationalsozialismus gleichsetzt, und in einem Propagandafilm zur Verherrlichung der terroristischen Japanischen Roten Armee, die im Mai 1972 am Flughafen Lod bei Tel Aviv ein Massaker mit 26 Toten ins Werk gesetzt hatte. Der Film solle «Auskunft über die weitestgehend übersehene und nicht dokumentierte antiimperialistische Solidarität zwischen Japan und Palästina geben», heisst es dazu auf der Website der documenta. Eine Solidarität, die in einem Blutbad in Israel kulminierte.

So etwas kommt dabei heraus, wenn man Kuratoren und Künstler einlädt und gewähren lässt, die den Boykott des jüdischen Staates für eine gute Idee halten und öffentlich dazu aufrufen. Das hätten die Documenta-Verantwortlichen wissen können, ja, wissen müssen, doch sie zogen es vor, die Kritik des Bündnisses gegen Antisemitismus und verschiedener Medien als «rassistisch» zurückzuweisen und als neokoloniale Attacke auf den «globalen Süden» zu geisseln. Warnungen und Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland führten nicht zu einem Umdenken oder einer Selbstreflexion, sondern bloss zur ersatzlosen Streichung einer Gesprächsreihe, bei der BDS-Sympathisanten mehr als die Hälfte der Diskutanten gestellt hätten.

Dass selbst Meron Mendel hinwarf, ist bezeichnend

Wie wenig ernst man bei der Documenta-Leitung die Kritik am Antisemitismus auf der Kunstschau genommen hat, zeigt auch der Umgang mit Meron Mendel. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hielt selbst kurz nach der Entdeckung der ersten antisemitischen Exponate noch an seiner Position fest, «dass ein Grossteil und vielleicht alle Antisemitismusvorwürfe im Vorfeld unberechtigt waren». Die «Masse der Vorwürfe und deren Ursprung – sogenannte Antideutsche, die zuvor vor allem durch antimuslimischen Rassismus aufgefallen sind», hätten ihm gezeigt, «dass es hier nicht in erster Linie darum ging, echten Antisemitismus anzuprangern». Er habe sich zudem die Kritik am palästinensischen Künstlerkollektiv The Question of Funding und an den Kuratoren von Ruangrupa genau angeschaut, und ihm sei dabei «keine Äusserung bekannt [geworden], die ich explizit als antisemitisch einstufen kann».

Das heisst: Mendel, dessen Stimme in der deutschen Öffentlichkeit einiges Gewicht hat, redete den Antisemitismus auf der Documenta selbst klein. Die Generaldirektorin Sabine Schormann bat ihn, der Documenta-Leitung beratend zur Seite zu stehen. Doch dann meldete sie sich einfach nicht mehr bei ihm, weshalb Mendel schliesslich hinwarf und sagte: «Mir drängt sich der Eindruck auf, dass hier auf Zeit gespielt werden sollte, bis die documenta vorüber ist.» Dass Ausstellungsstücke wie das Triptychon von Taring Padi eine antisemitische Bildsprache bedienen, sieht Mendel auch so, trotzdem findet er weiterhin «jede Menge Gutes» an der Documenta und will nach wie vor «Dialog» und «Differenzierung». Es ist bezeichnend, dass Schormann es sich selbst mit ihm verdarb, obwohl er wirklich alles unternommen hatte, um den Ruf der Ausstellung zu retten.

Nicht minder bezeichnend ist es, dass die Autorin Emily Dische-Becker vor der Eröffnung der Documenta einige Guides darin schulen durfte, wie sich bei Begriffen aus dem Repertoire des israelbezogenen Antisemitismus, etwa «Siedlerkolonialismus» und «Apartheidstaat», der antisemitische Gehalt wegdefinieren und damit leugnen lässt. Oder darin, dass die «Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus», die den Hass auf Israel kleinredet und ihn vom Stigma des Antisemitismus befreien will, angeblich viel mehr taugt als die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die weithin akzeptiert ist und von zahlreichen Regierungen, Parlamenten und Verbänden verwendet wird. Die Online-Sitzung Dische-Beckers mit den Documenta-Mitarbeitern fand vor dem Beginn der Ausstellung statt und sollte die Guides nach der Kritik im Vorfeld offensichtlich auf Linie bringen.

Postkolonialistischer Antisemitismus

Dische-Becker gehört zur postkolonialistischen Szene, «wo der Jude auf den Israeli übertragen wird, der auf seine Partikularität beharrt», wie es der Soziologe Natan Sznaider im Gespräch mit dem Spiegel treffend formuliert hat. Diesen postkolonialistischen Antisemitismus gebe es «gerade im Milieu der bürgerlichen Kulturelite». Dort fröne man einem vermeintlich weltoffeneren Universalismus, wie er sich auch «in der Einladung des sogenannten globalen Südens zur Documenta» artikuliere. Die Shoa sei aber ein Verbrechen gegen Juden gewesen, «also etwas Partikulares», so Sznaider. Die «Israelkritiker» versuchten, «die Vernichtung der europäischen Juden zu universalisieren» und «zu einem Verbrechen zu machen, das in einer langen Reihe anderer Verbrechen steht, zum Beispiel des Kolonialismus». Juden, die dieser Universalisierung der Shoa widersprächen, würden als Störfaktoren betrachtet.

Ergänzen liesse sich noch: Der Postkolonialismus ist für seine westlichen Anhänger eine Möglichkeit der Umwegkommunikation, wenn es um Juden und Israel geht. Festzustellen ist das nicht zuletzt an den Entgegnungen auf die Kritik, die es an der Documenta gab und gibt: Die Zustimmung zu BDS, die Darstellung Israels, die Abbildung von Juden, all dies müsse man mit den Augen des «globalen Südens» sehen, der nun mal ein anderes Bild vom jüdischen Staat habe; seine diesbezügliche Bildsprache müsse deshalb nicht so antisemitisch sein, wie man sie im Westen empfinde, heisst es immer wieder. Es sei eine Frage des Kontextes und der Perspektive.

So hätte man es gerne, um auf diese Weise verbreiten zu können, was man sich selbst nicht zu sagen, zu schreiben oder ins Werk zu setzen traut. Doch «Peoples‘ Justice» folgt einer Ästhetik, wie sie aus westlichen Agitprop-Bildern seit Jahrzehnten bekannt ist, und die Darstellung von Juden als Nazis und Schweine ist in jedem Kontext antisemitisch. Die Ikonografie des Antisemitismus ist zudem uralt und global, natürlich kennt man sie bei Taring Padi. Genauso hat die Gleichsetzung der israelischen Armee mit der deutschen Wehrmacht, wie sie im Zyklus «Guernica Gaza» betrieben wird, in den palästinensischen Gebieten keine andere Bedeutung als in Europa. Die Botschaft lautet: Die Israelis sind wie die Nazis. Und so versteht man sie auch hier wie dort.

Keine Konsequenzen ausser einem «Bauernopfer»

«Der kleine Umweg über Israel führt bei vielen dazu, dass die Judenfeindlichkeit entweder als legitim angesehen oder nicht erkannt wird», schreibt der Autor Leonard Kaminski in einem lesenswerten Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ohne den «klassischen» Antisemitismus im Stil der Stürmer-Karikaturen «wäre es noch nicht mal zum Skandal um die Documenta gekommen», ist er sich sicher. Personelle Konsequenzen habe es, von Schormanns spätem Rücktritt abgesehen, keine gegeben; die Generaldirektorin sei gewissermassen das «Bauernopfer», so Kaminski. Viel zu viele Reaktionen auf die Kritik von Juden am Antisemitismus liessen sich so zusammenfassen: «Habt euch doch nicht so. Was in Deutschland als antisemitisch angesehen wird, entscheiden immer noch wir nichtjüdische Deutsche.» Je häufiger jedoch Judenhass in der Öffentlichkeit propagiert, aber nicht sanktioniert werde, desto normaler werde es für die Öffentlichkeit, Antisemitismus einfach hinzunehmen.

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Kulturstaatsministerin (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) und Dr. Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH an der Eröffnung der documenta fifteen.

«Das mag für einen übergrossen Anteil der Gesellschaft hinnehmbar oder einfach egal sein», fährt Kaminski fort. Juden dagegen gerieten «immer dichter an die Grenze hin zu einer Gesellschaft, die sie nicht akzeptiert, weil sie eben jüdisch sind». Was passieren könne, wenn Juden diese Grenze überschreiten, «haben wir in unserer Geschichte schon mehr als einmal gesehen». Deshalb genügt es nicht, wenn Wissenschaftler nun den Antisemitismus bei der Documenta begutachten und gegebenenfalls empfehlen, bestimmte Exponate zu entfernen. Es müsste zumindest auch weitere personelle Konsequenzen geben, die öffentlichen Geldgeber müssten ihre Finanzierung überdenken, und die Forderung nach einem Abbruch der Ausstellung, wie sie jüdische Organisationen erhoben haben, dürfte nicht einfach in den Wind geschlagen werden. Jede Wette: Ginge es um Rassismus statt um Antisemitismus, dann wäre die Kunstschau längst vorzeitig beendet worden.

Über Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt ist freier Autor und lebt in Köln. Er hält Vorträge zu den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost und schreibt regelmässig für verschiedene Medien unter anderem für die «Jüdische Allgemeine» und «Mena-Watch». Zudem ist er der Betreiber des Blogs «Lizas Welt». Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von »Vereinte Nationen gegen Israel«, erschienen bei Hentrich & Hentrich 2018.

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1 Kommentar

  1. Das ist alles so richtig. Und weist auf die Richtung in die es gehen soll. Die Zeitenwende bedeutet den Ersatz von Holocaust und vernichtungskrieg durch den Postkolonialismus.

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