Internationale Beobachter in Hebron

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Internationale Beobachter in Hebron. Foto U. Sahhm
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Bei der „Temporären Internationalen Präsenz in Hebron“ (TIPH) gelten strikte Regeln. Beim Besuch einer Journalistendelegation werden erst einmal nummerierte „Besucher-Schilder“ ausgeteilt, obgleich nur eine Bar und ein Vortragssaal in dem Hauptquartier zugänglich sind.

Hinter dem Kamera-bewehrten Tor liegen in Regalen die weissen Helme und Taschen der TIPH Beobachter aus Italien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz, Italien und der Türkei. Ein handgeschriebenes Schild schreibt vor, den Ölstand, die Flagge und Funkgeräte in den weissen Autos mit dem Aufkleber TIPH vor jeder Patrouillenfahrt zu prüfen.

Die unbewaffnete Truppe wurde 1994 nach dem Massaker des Siedlerarztes Baruch Goldstein in dem für Juden und Moslems Heiligen Grab der biblischen Erzväter geschaffen. Goldstein hatte im Februar, während des jüdischen Purimfestes und des Ramadan, in der Moschee 29 muslimische Beter getötet und etwa 120 verletzt. „Arafat weigerte sich, die Verhandlungen mit Israel fortzusetzen, solange nicht eine internationale Beobachtertruppe nach Hebron entsandt würde“, erzählt Turid Smith Polfus, die aus Norwegen stammende Sprecherin der TIPH. Um den Osloer Friedensprozesses zu retten, hätten sich die beteiligten Länder angeboten, Polizisten, Militärs und Zivilisten „zeitweilig“ nach Hebron zu schicken, um „die Lebensbedingungen der Menschen in der Stadt zu beobachten und den Parteien beizustehen, sie zu verbessern“. Zu dem „temporären“ Mandat sagt sie auf Anfrage: „21 Jahre sind im Heiligen Land eine sehr kurze Periode.“ Alle drei Monate verlängern Israel und die Autonomiebehörde das Mandat der Beobachter, „früher auf einem gemeinsamen Blatt und seit der Intifada auf separaten Papieren.“

Unbewaffnet patrouillieren die Beobachter in Hebron, gekleidet in hellblaue Uniformen. Sie zählen die israelischen Strassensperren, tauchen an israelischen Übergängen auf, um Schikanen an Palästinensern zu verhindern, zählen die von den Israelis aus ihren Häusern vertriebenen Palästinenser und bauten eine Strasse, um palästinensische Schulkinder vor Steinwürfen israelischer Siedler zu schützen. „Wir dürfen nicht eingreifen, sondern nur dokumentieren und berichten.“ Mit den israelischen Siedlern pflege die Truppe keine Kontakte.

Über 20.000 Reports hätten die Beobachter verfasst. Die würden nicht veröffentlicht, sondern der israelischen Armee und der palästinensischen Polizei vorgelegt. Ebenso würden sie den Regierungen zugeschickt, die TIPH finanzieren. „Die Israelis reagieren nur selten auf unsere Beschwerden und manchmal gar nicht“, klagt Polfus, während sie per Fernbedienung ihre Powerpoint-Präsentation ablaufen lässt. Erst auf Nachfrage, wie denn die palästinensische Polizei reagiere, sagt die neutrale Beobachterin: „Auch nur selten oder gar nicht“.

Während sie die Geschichte von TIPH abspult, kommt sie auf die peinliche Panne vom Januar 2006. Ein aufgebrachter Pöbel „spontan ausser Kontrolle geratener Jugendlicher“ griff das Hauptquartier und Nebenstellen der TIPH in Hebron an. Anlass waren die dänischen Mohammad Karikaturen. Da viele TIPH Beobachter aus Dänemark stammen, wurden die Beobachter angegriffen, obgleich diese sich zum Schutze der Palästinenser gegen Attacken israelischer Siedler einsetzen. Polfus zeigte Fotos von Steine werfenden Jugendlichen, vom Sturm auf das Hauptquartier und die zertrümmerten Fensterscheiben des ausgebrannten Gebäudes. „Die palästinensische Polizei hätte keine Chance gehabt, gegen die Angreifer anzugehen“, meint Polfus verständnisvoll. Die mit Maschinengewehren ausgestatteten Geheimpolizisten vor dem Gebäude erzählen, erst nach diesem Vorfall zur Bewachung der TIPH Beobachter gerufen worden zu sein.

TIPH Materialdepot. Foto U.Sahm
TIPH Materialdepot. Foto U.Sahm

Die internationalen Beobachter zogen sich aus Sicherheitsgründen ins sichere Israel zurück. Es wurde erwogen, die Truppe aufzulösen. Doch die Palästinenser entschuldigten sich und auch Israel bat um deren Rückkehr nach Hebron. Polfus sagte: „Schon nach wenigen Tagen fuhren wir wieder Patrouille.“ Doch der aus Iran stammende Norweger Fazel Sabet Zabeh sagte schon vor dem Briefing, dass die „wenigen Tage“ ganze sieben Monate andauerten, ehe TIPH in ihre zertrümmerten Quartiere zurückkehrte und ihre Beobachter-Aufgaben in der zerstrittenen Stadt wieder aufgenommen hat.

Im Hof des Hauptquartiers, unter Gittern zum Schutz gegen anfliegende Steine palästinensischer Randalierer, stehen zwei Gedenksteine mit frischen Blumenkränzen für getötete TIPH-Beobachter. Ohne zu sagen, wer sie getötet hatte, lud Polfus die anwesenden Journalisten zu einer Gedenkfeier ein. Da die Sprecherin von TIPH während ihrer Präsentation allein die Israelis der Verstösse gegen Menschenrechte in Hebron bezichtigt hatte, lag die Frage nahe: „Die beiden TIPH Beobachter wurden doch sicherlich von den Israelis erschossen?“ Peinlich berührt und wegschauend sagte er: „Nein, das waren palästinensische Bewaffnete.“ Auch für die gewaltsame Attacke auf die TIPH infolge der dänischen Karikaturen hatte Zabeh eine etwas andere Erklärung: „Es gibt in Hebron islamistische Gruppen, die gegen jede internationale Präsenz in der Stadt sind. Die nutzten den Karikaturenstreit, uns rauszuwerfen.“

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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