Zu dem ersten Interview nach seiner Berufung zum nächsten Botschafter in Deutschland durch Aussenminister Yair Lapid erschien Ron Prosor in einem massgeschneiderten dunkelblauen Anzug. Er entschuldigte sich dafür, denn normalerweise tritt er eher „hemdsärmelig“ auf. An dem Morgen vor dem Treffen hatte er vor EU-Abgeordneten einen Vortrag gehalten. Zu dem Zweck habe er sich „anständig“ kleiden müssen.
Das Gespräch fand in einem Strassencafé mit kleinen runden Tischen auf dem Bürgersteig statt. Warum dort? „Weil meine Mutter gleich gegenüber auf der anderen Strassenseite wohnt.“ Sie stammt aus Odessa und ist „sehr sprachbegabt“, erzählt Prosor. Nach ihrer Einwanderung nach Israel habe sie sich in Haifa in einem „rein deutschen Viertel“ niedergelassen. Unter diesen aus Deutschland eingewanderten Juden habe sie viele Sprachen erlernt. Nur Hebräisch, die Landessprache Israels, habe sie jedoch nie richtig beherrscht. Auch das ist sehr typisch für die Enklaven der deutschen Juden im Lande. In Haifa habe sie dann auch ihren Mann kennengelernt. Prosor bezeichnete seinen in Berlin geborenen Vater als einen „echten Preussen“.
Prosor selbst ist 1958 in Kfar Saba bei Tel Aviv geboren. Bereits als Jugendlicher träumte er davon, die Welt zu sehen. Deshalb habe er eine Karriere im israelischen Aussenministerium eingeschlagen. So könne man in der Welt herumkommen, ohne den Arbeitgeber wechseln zu müssen. Während seines Militärdienstes bei der Artillerie stieg er zum Bataillonskommandeur im Rang eines Majors auf. Danach studierte er Politologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem und machte den Abschluss mit Summa cum laude.
Anschliessend ging er in den diplomatischen Dienst. Dort entwickelte er sich zum Meister im Umgang mit dem gesprochenen Wort. Nach so vielen Jahrzehnten als Diplomat ist er sich sicher, dass die „effektivste diplomatische Waffe“ Humor sei. Er erinnert sich an einen Vorfall in der UNO, wo er von 2011 bis 2015 der israelische Repräsentant war. Ein Delegierter hielt dort eine Rede mit gehässiger Kritik an Israel. Gewiss hätte man darauf eine scharfe Erwiderung geben können. Prosor meldete sich zu Wort und stellte ein paar humoristische Fragen. Der ganze Saal brüllte vor Lachen. Danach habe jener Delegierte nichts mehr ausrichten können, weil ihm niemand mehr zuhörte.
Vorgeschichte einer Freundschaft
Das unkomplizierte direkte Gespräch in dem Jerusalemer Strassencafé hatte eine Vorgeschichte. Schon in den 1980iger Jahren hat Prosor in Bonn als Sprecher der Botschaft gedient. Damals hatten wir uns schon kennengelernt. Zu dieser Zeit gab es noch die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland. Während der junge Prosor noch zur Schule ging Militärkarriere machte und studierte, war ich durch Zufall vom Hebräischstudium zur Journalistik gekommen. Persönliche Freundschaften mit Israelis aus meiner Schulzeit in Paris begründeten eine lebenslange Verbindung zu Israel. Der unverstellte Blick auf beide Länder offenbarte allerdings auch manche bis heute aktuelle deutsche Lebenslüge. Die vielleicht tragischste unter ihnen ist die Geschichte des deutschen Pazifismus nach dem 2. Weltkrieg und seine Unfähigkeit, für die Verteidigung einer freiheitlichen Demokratie einzustehen.
Zum ersten Mal wurde mir das 1973 deutlich. Nach dem Angriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, war Israel in einer verzweifelten Lage. Der kleine jüdische Staat kämpfte um das Überleben und war dringend auf militärischen Nachschub angewiesen. Ausgerechnet in dieser Situation verfügte Willy Brandt, der damalige SPD – Kanzler, ein deutsches Waffenembargo gegen Israel. Den Amerikanern wurde verboten, Waffen nach Israel zu bringen und Deutschland zwecks Auftankens als Zwischenstation zu benutzen. Ich hielt mich zu einem Forschungsprojekt in Deutschland auf, als es plötzlich hiess, dass man nicht mehr nach Israel fliegen könnte. Der junge Uli Sahm wollte in dieser Situation aber unbedingt wieder nach Hause. Und zuhause war nicht Bonn, wo ich geboren bin, sondern Jerusalem. Dank der guten persönlichen Kontakte zur israelischen Botschaft in Bonn gelang es mir, eine Genehmigung für den Rückflug nach Israel zu erhalten. Die EL AL Maschine parkte auf dem Frankfurter Flughafen nahe Ramstein. Dabei wurde ich Zeuge einer bemerkenswerten Schmuggel-Aktion. Starke Männer erschienen mit länglichen Kisten in den Armen und legten sie auf die leeren Sitze hinten im Flugzeug. Nach der Ankunft in Tel Aviv konnten wir die Aufschriften entziffern. Es stellte sich heraus, dass die Amerikaner mit unserer Passagiermaschine Raketen und Panzergranaten nach Israel geschafft hatten. Parallelen zur heutigen Diskussion in Deutschland, wenn es um den Überlebenskampf der Ukraine geht, sind kein Zufall.
Prosors Weg nach Deutschland
Schon 2006 war Ron Prosor wegen seiner fliessenden Deutschkenntnisse im Gespräch, Schimon Stein als Botschafter in Deutschland abzulösen, doch Prosor war noch Generaldirektor des Aussenministeriums und wurde von dort zunächst nach New York zur UNO und nach London versetzt.
Später, nach der Wende, war Prosor an der Botschaft in Berlin. Stets hat sich durch Interviews in den Medien einen Namen gemacht. Allein die Liste der prominenten Posten zeigt, dass Prosor als einer der fähigsten Diplomaten Israels gilt. Ihm kommt dabei neben seinem ungeheuren Fleiss, seiner Integrität und seiner Klugheit auch der freundschaftliche Umgangston und die unkomplizierte Art seiner Begegnungen mit anderen Menschen zugute. Da er Deutschland auch aus der Zeit der Teilung kennt, ist ihm auch bewusst, wie sehr dieser grosse mitteleuropäische Staat sich über die einzelnen Bundesländer definiert.
Von Berlin aus hat er als erster israelischer Diplomat nach der Wende intensiv Ostdeutschland bereist und „sehr gute Kontakte“ geknüpft. Das war für israelische Diplomaten damals völliges Neuland. Die DDR war unter der sowjetischen Herrschaft extrem israel-feindlich. Sie rüstete Israels Erzfeind Syrien mit Waffen auf und beherbergte Terroristen. Offene Zuneigung zu Israel war in der ehemaligen DDR auch ein Zeichen des Widerstandes gegen das verhasste kommunistische Regime. Wer in dieser Zeit „Israelfreund“ wurde, hatte mit Repressalien zu rechnen. Besonders in Sachsen und Thüringen blieb man aber trotzdem dabei. Mehrere Vereine, die Beziehungen mit Israel vertiefen, sind daraus entstanden. Die bekanntesten sind vielleicht die Sächsischen Israelfreunde.
Angesichts der besonderen Struktur Deutschlands betonte Prosor in unserem Gespräch die Bedeutung der Bundesländer. Vor allem in der Bildungspolitik seien die Bundesländer autonom. Über die Länder könne der aus seiner Sicht sehr wichtige Jugendaustausch eher verstärkt werden als auf Bundesebene. Besonders wichtig sind ihm auch die Kontakte zwischen israelischen Startups und deutschen Unternehmen. Es ist wohl selten ein Diplomat nach Deutschland gekommen, der so viel über sein Gastland weiss.
Immer wieder tauchten während des Gesprächs Bekannte und Freunde auf, die Prosor begrüssten. Am Ende kam noch Rabbiner Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Center dazu. An dieser Stelle endete das Interview, da beide noch andere Dinge zu besprechen hatten. Vielleicht trifft man sich ja beim nächsten Mal in Dresden.