Warum Palästinenser ihren Machthabern nicht vertrauen

0
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas bei einer Sitzung des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Foto Flash90
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas bei einer Sitzung des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Foto Flash90
Lesezeit: 6 Minuten

Während die Palästinensische Führung auch weiterhin ihre Zeit damit verbringt, Israel und die US-Administration zu verunglimpfen, hat die palästinensische Öffentlichkeit offenbar dringendere Probleme. Man nehme nur den beeinträchtigenden und gefährlichen Mangel an Bürgerrechten und die Korruption unter der Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland und der Hamas im Gazastreifen.

 

von Khaled Abu Toameh

Die Palästinenserführer scheinen jedoch die drängenden Sorgen ihres Volkes vergessen zu haben. Offenbar begreifen die Anführer der Palästinenser nicht, dass die palästinensische Öffentlichkeit sich viel mehr darum kümmert, von ihren eigenen Führern wie Menschen behandelt zu werden, als um anti-israelische und anti-US-Rhetorik.

Daher vertieft sich aktuell offensichtlich die Kluft zwischen der Palästinensischen Führung und ihrem Volk und in gleichem Tempo wächst auch die Unzufriedenheit der Palästinenser mit der Leistung ihrer Führung.

Die Anzahl der Palästinenser, die dem Aufruf der Palästinensischen Autonomiebehörde zu Protesten gegen die kürzlich veranstaltete und von den USA vermittelte Wirtschaftskonferenz „Frieden zu Wohlstand“ in Bahrain folgten, war relativ gering.

Obwohl die palästinensischen Machthaber gehofft hatten, dass Tausende an den Demonstrationen gegen die USA und Israel teilnehmen würden, war eindeutig zu sehen, dass die Anzahl der Teilnehmer weit hinter den Erwartungen blieb. Tatsächlich waren die meisten der Demonstranten im Westjordanland Angehörige der regierenden Fatah-Fraktion des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, oder aber Beamte seiner Regierung.

Auch die Zahl der Palästinenser im Gazastreifen, die dem Hamas-Aufruf folgten, sich für die wöchentlichen Proteste an die Grenze zu Israel zu begeben, nimmt kontinuierlich ab. Die Proteste, die im März 2018 unter dem Motto „Grosser Marsch der Rückkehr“ begannen, wurden von der Hamas und anderen Palästinensergruppen im Gazastreifen initiiert.

Die rückläufige Anzahl von Palästinensern, die bereit sind, sich an die Grenze zu begeben, um durch das Werfen von Steinen, Brandbomben und anderen todbringenden Objekten auf israelische Soldaten ihr Leben in Gefahr zu bringen, ist ein positives Zeichen; es ist möglich, dass die palästinensische Öffentlichkeit im Gazastreifen die leeren Worte und die Rhetorik der Hamas satt hat.

Palästinensische Institutionen von Korruption verseucht

Zwei aktuelle Meinungsumfragen haben das tiefe Misstrauen der Palästinenser in ihre Anführer zutage gebracht.

Beide im März und Juni 2019 von dem im Westjordanland ansässigen Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) durchgeführten Umfragen ergaben, dass eine überwältigende Mehrheit von 80 % der palästinensischen Öffentlichkeit der Ansicht ist, dass die palästinensischen Institutionen von Korruption verseucht sind.

Die Ergebnisse der Meinungsumfragen zeigten ausserdem, dass beinahe 60 % der befragten Palästinenser den Rücktritt des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, fordern und die Menschen unzufrieden mit seiner Leistung sind.

Die Juni- Umfrage, bei der 1.200 Palästinenser befragt wurden, ergab, dass 67 % der Ansicht sind, dass Finanzkorruption tief in den palästinensischen Institutionen verankert ist.

Ausserdem zeigten die Ergebnisse der Umfrage, dass die Mehrheit der unter der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas lebenden Palästinenser sich nicht traut, Kritik an ihren Anführern zu üben.

Die ebenfalls von PSR veröffentlichte Meinungsumfrage vom März kam zu ähnlichen Ergebnissen, was die Wahrnehmung von Korruption und Unzufriedenheit mit der Leistung ihrer politischen Führung seitens der palästinensischen Öffentlichkeit angeht.

Die Umfrage hat gezeigt, dass die Hälfte der palästinensischen Öffentlichkeit der Ansicht ist, dass die neue Regierung unter Ministerpräsident Mohammad Schtajjeh nicht in der Lage sein wird, die wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern oder die längst überfälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu organisieren.

Sechsundfünfzig Prozent der Befragten, die unter Abbas‘ Palästinensischer Autonomiebehörde leben, gaben an, sie könnten ihre Oberhäupter nicht kritisieren, während 32 % sagten, sie könnten es doch, so die weiteren Ergebnisse der Umfrage.

Im Gazastreifen erklärten 53 % der befragten Palästinenser, sie könnten die herrschende Hamas-Regierung nicht kritisieren, während 41 % das Gegenteil angaben.

Die Ergebnisse der Meinungsumfragen überraschen niemanden, der die palästinensischen Angelegenheiten in den vergangen zwei Jahrzehnten verfolgt hat. Finanzielle und behördliche Korruption sind ebenso wie Menschenrechtsverletzungen schon seit langem ein integraler Bestandteil der palästinensischen Regierung. Die Umfragen sind ein exaktes Spiegelbild des Lebens unter der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas – zwei Regimes, die eine enorme Energie dafür aufwenden, ihre Wähler gegen Israel und die USA aufzuhetzen, anstatt sich mit ihren tatsächlichen Problemen auseinanderzusetzen.

Mit dieser Volksverhetzung wollen die Palästinenserführer die Aufmerksamkeit von den Problemen vor der eigenen Haustür ablenken. Sie wollen, dass ihre Bevölkerung damit beschäftigt ist, jemand anderen zu hassen – in diesem Fall Israel, die USA und mit den USA sympathisierende arabische Staatsoberhäupter. Andernfalls könnten diese Menschen eines Morgens aufwachen und Reformen, Transparenz und Demokratie von ihren Regierungsoberhäuptern im Westjordanland und dem Gazastreifen verlangen.

Die palästinensische Führung scheint sich des wachsenden Zorns wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen innerhalb der palästinensischen Öffentlichkeit bewusst zu sein. Tatsächlich erklärt dieses Bewusstsein, warum diese Befehlshaber so extrem daran interessiert sind, jeden ausser sich selbst für die Misere ihres Volks verantwortlich zu machen. Gleichwohl versuchen sie nach wie vor Israel und den USA auch weiterhin die Schuld für den von ihnen begangenen Missbrauch an ihrem eigenen Volk in die Schuhe zu schieben.

Wenn palästinensische Anführer auch nur einen Bruchteil der Zeit, die sie für die Verunglimpfung Israels und der USA vergeuden, dafür aufwenden würden, ihrem Volk eine gute Regierung zu sein, ginge es den Palästinensern wesentlich besser. Es hat jedoch den Anschein, dass palästinensische Regierungschefs nicht zu Bett gehen können, ohne feurige Beschimpfungen gegen Israel und die USA auszuspeien.

Schimmer der Hoffnung?

Unnötig zu erwähnen, dass dies kein Zeichen einer besonders konstruktiven Herrschaft ist.

Selbstverständlich gibt es immer noch einen Schimmer der Hoffnung, dass die Palästinenser eines Tages erkennen, dass es ihre eigenen Anführer sind, die sie betrügen, indem sie ihnen freie und gerechte Wahlen, eine gute Regierung und Demokratie verwehren. Eine solche Erkenntnis wird jedoch warten müssen, bis die Palästinenser ihren gesamten Mut beisammen gerauft haben, um gegen ihre korrupten Anführer aufzustehen und ein Ende der Korruption zu fordern.

Eine Handvoll Palästinenser hat in der Zwischenzeit bewiesen, dass sie den Mut hat, öffentlich Themen zu diskutieren, die von der palästinensischen Führung als tabu und „verräterisch“ betrachtet werden. Einer dieser Palästinenser ist der stellvertretende Sprecher des nicht funktionsfähigen palästinensischen Parlaments, Hassan Khreisheh, der diese Woche mahnte, dass die Korruption zu einem „Zusammenbruch der palästinensischen Gesellschaft“ führen werde.

Mit dem Hinweis, dass das Parlament seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen 2007 wie gelähmt ist, stellte Khreisheh fest: „Das Fehlen eines Parlaments hat die Regierungen und einflussreiche Personen und solche ohne Einfluss gleichermassen dazu ermutigt, auf allen Ebenen immer korrupter zu werden.“

Stimmen wie die von Khreisheh interessieren Abbas und andere palästinensische Anführer, einschliesslich der Hamas-Regierung im Gazastreifen, jedoch nicht. Ihrer Ansicht nach sollte es aktuell die oberste Priorität der Palästinenser sein, den Friedensplan von US-Präsident Donald Trump – auch als der Deal des Jahrhunderts bekannt – zu vereiteln.

Wenn die Bekämpfung eines ungesehenen Friedensplans zu einer höheren Priorität wird, als die Verbesserung der Lebensumstände des eigenen Volkes, dann kann man nur sagen, dass mit gescheiterten Anführern wie diesen, die Zeit für die palästinensische Öffentlichkeit gekommen ist, ihre kollektive Stimme zu erheben und ihre Rechte von den ungewählten Anführern im Westjordanland und dem Gazastreifen zu fordern. Bis dies aber geschieht, wird die palästinensische Führung weiterhin das gute Leben auf dem beladenen Rücken ihres Volks geniessen.

Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Übersetzung Audiatur-Online.