Wovor haben palästinensische Machthaber Angst?

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Symbolbild. Foto Cineberg/Shutterstock.com
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Angesichts wachsender Unzufriedenheit in der eigenen Bevölkerung gehen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die Hamas weiter gegen palästinensische Journalisten im Westjordanland und im Gazastreifen vor. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Journalisten von Sicherheitskräften der PA und der Hamas festgenommen.

von Khaled Abu Toameh

Palästinensische Journalisten bezeichnen die Verhaftungen als Versuch von PA und Hamas, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und negative Berichterstattung über die palästinensische Führung zu verhindern. PA und Hamas ist jegliche Art von Kritik, vor allem seitens palästinensischer Journalisten, seit jeher ein Gräuel.

Die jüngste Verfolgung palästinensischer Journalisten soll von der Angst herrühren, dass sich die aktuelle Welle von Anti-Korruptions-Protesten im Libanon, im Irak, in Ägypten und anderen arabischen Ländern auf das Westjordanland und den Gazastreifen übertragen könnte.

Im Gazastreifen verhafteten Sicherheitskräfte der Hamas dutzende Palästinenser, nachdem Aktivisten vor Ort zu Demonstrationen gegen die anhaltende wirtschaftliche Krise in der Region aufgerufen hatten. Unter den Inhaftierten sind die Journalisten Hani al-Agha und Bassam Moheisen, verhaftet wegen Veröffentlichung kritischer Kommentare gegen die Hamas in sozialen Netzwerken.

Moheisen wurde offenbar aufgrund seiner Beziehungen zu Gegnern der Hamas in der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmoud Abbas verhaftet. Er arbeitet seit 19 Jahren als Produzent der im Westjordanland ansässigen Rundfunkstation Voice of Palestine. Seine Familie erklärte, er sei festgenommen worden, nachdem er auf Facebook Kommentare gepostet hatte, in denen er die Hamas kritisierte. Ein Familienmitglied, das anonym bleiben möchte, gab an, Moheisen sei in Haft gefoltert worden.

Der zweite Journalist, al-Agha, wurde der Hamas zufolge festgenommen wegen „Weitergabe von für die öffentliche Sicherheit schädlichen Informationen an Sicherheitsbehörden“. Die Hamas machte keine weiteren Angaben, aber Grund für die Inhaftierung sollen mögliche Verbindungen des Journalisten zur PA von Abbas im Westjordanland sein.

Hamas-Sicherheitskräfte verhaften eigenen Beamten

Palästinensische Quellen im Gazastreifen berichteten zudem, es seien mehrere Social-Media-Aktivisten verhaftet worden, die zu Strassenprotesten gegen die Hamas und deren Versagen bezüglich der Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung aufgerufen hätten. Zu den Aktivisten zählen Ramzi al-Bar‘i, Ahmed al-Zaeem, Amin Abed, Haitham Mas‘oud, Mohammed Abu Ghosh, Hasan al-Daoudi, Abdullah al-Hawihi und Khaled al-Ghazali. Denselben Quellen zufolge lud die Hamas ausserdem dutzende weitere Aktivisten und Journalisten zum Verhör vor.

Anfang dieser Woche hatten Sicherheitskräfte der Hamas einen ihrer eigenen Beamten, Hussein Qatoush, verhaftet, nachdem er auf Facebook ein Video gepostet hatte, in dem er sich über die prekäre wirtschaftliche Lage im Gazastreifen beschwerte. In dem Video erzählt Qatoush, er habe nicht genug Geld für den täglichen Arbeitsweg. „Es schmerzt, in einem Land zu dienen, in dem man sich die Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit nicht leisten kann. So ist es im Gazastreifen.“, sagte der Sicherheitsbeamte der Hamas.

Die Hamas begründete Qatoushs Festnahme damit, dass er „sicherheitstechnische Details veröffentlicht“ habe. Dabei bleibt unklar, wie genau eine Beschwerde über wirtschaftliche Not zu einem sicherheitspolitischen Fall wurde. In den Augen der Hamas scheint jedoch jeder Palästinenser, der es wagt, sich kritisch zur schwierigen Wirtschaftslage im Gazastreifen zu äussern, ein „Verräter“ und eine „Bedrohung der Sicherheit“ zu sein.

Die jüngsten Massnahmen der Hamas sollen offenbar eine Wiederholung der Grossdemonstrationen, die letzten März im Gazastreifen ausgebrochen waren, verhindern. Unter Organisation von Social-Media-Aktivisten protestierten die Demonstranten gegen die hohen Lebenshaltungskosten und neue Steuern, die von der Hamas eingeführt worden waren. Sie forderten eine Lösung der Wirtschaftskrise im Gazastreifen, unter anderem auch der hohen Arbeitslosenquote. Die nur wenige Tage andauernden Proteste wurden von der Hamas schnell und brutal niedergeschlagen.

Wenn es um die Einschränkung öffentlicher Freiheiten geht – besonders der Rede- und Pressefreiheit – scheint die PA in den letzten Jahren mit der Hamas regelrecht zu wetteifern. Dabei fürchtet die PA offenbar, dass sich die Anti-Korruptions-Proteste in einigen arabischen Staaten auf das Westjordanland ausbreiten könnten.

Sicherheitskräfte der PA verhafteten in den letzten Tagen zwei Journalisten, Mahmoud Abu al-Hassan und Radwan Qatanani. Sie werden palästinensischen Quellen zufolge aus „sicherheitspolitischen Gründen“ festgehalten. Die Art der gegen die Journalisten erhobenen Beschuldigungen bleibt diesen Quellen zufolge unbekannt.

Seit Jahresbeginn haben Sicherheitskräfte der PA etliche palästinensische Journalisten im Westjordanland verhaftet oder verhört – trotz des Versprechens seitens PA-Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh, sämtliche Verstösse gegen die Rede- und Pressefreiheit einzustellen.

Letzte Woche forderte der grösstenteils aus Anhängern der Fatah bestehende Palästinensische Journalistenverband die Freilassung der von PA und Hamas festgehaltenen Journalisten. Der Verband drängte ausserdem internationale Menschenrechts- und Presseorganisationen, Druck auf die Hamas auszuüben, ihre repressiven Massnahmen gegen Journalisten und politische Aktivisten im Gazastreifen einzustellen.

Wie die Hamas scheint auch die PA einen Volksaufstand gegen Korruption und Zwangsherrschaft im Westjordanland zu fürchten – und versucht deshalb wahrscheinlich, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und palästinensische Journalisten einzuschüchtern.

Hani al-Masri, ein bekannter palästinensischer Politologe, geht davon aus, dass die aktuellen Anti-Korruptions-Proteste in einigen arabischen Ländern auch Palästina erreichen werden. „Der Arabische Frühling wird mit Sicherheit früher oder später auch in Palästina ankommen“, sagte er.

„Die [regierende] palästinensische Elite ist grösstenteils korrupt und herrschsüchtig. Mit Ausnahme einiger weniger Politiker ist die [palästinensische] Elite entweder korrupt oder inkompetent – oder beides. Wer glaubt, dass Palästina, seine Führung und sein Präsident wegen der Besatzung gegen den Arabischen Frühling immun sind, irrt sich.“

Allen Beobachtern zufolge nehmen sich PA und Hamas nichts in ihrem Wettstreit um die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Palästinensische Journalisten, die die Verbrechen der politischen Führung aufdecken, gelten als Straftäter und erleiden entsprechend strafrechtliche Konsequenzen. Kritik ist natürlich erlaubt – wenn sie sich gegen den palästinensischen Erzfeind Israel richtet. Andernfalls sollten palästinensische Journalisten ihre Kritik besser für sich behalten – oder ihnen droht Lebensgefahr vonseiten PA und Hamas.

Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Übersetzung Audiatur-Online