Die Hamas und der Gefangenenaustausch-Betrug

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Hamas / Al-Qassam-Brigaden Terrorist mit einer Abbildung der israelischen Gefangenen . Foto Screenshot Youtube
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Berichten zufolge verhandelt Israel einmal mehr mit der Hamas über die Frage in Bezug auf den Austausch von Gefangenen. Es ist keinesfalls sicher, ob die drei Israelis – der in Äthiopien geborene Avera Mengistu sowie die beduinischen Gefangenen Hisham al-Sayed und Jumaa Abu Ghanima –, die allesamt aus eigener Initiative den Gazastreifen betreten hatten und angeblich psychisch krank sind, überhaupt noch leben.

von Isi Leibler

Die Hamas hat sich geweigert, dokumentierendes Videomaterial zur Verfügung zu stellen, obwohl Israel angeboten hatte, im Austausch einige palästinensische Häftlinge freizulassen. Israel ersucht die Hamas ausserdem auch um die Übergabe der sterblichen Überreste von Leutnant Hadar Goldin und Hauptfeldwebel Oron Shaul, um deren Familien zu ermöglichen, mit dem Tod ihrer Angehörigen abschliessen und eine würdige Beerdigung vornehmen zu können.

Bei all dem spielen tiefgreifende emotionale Faktoren eine Rolle. Es ist eine uralte jüdische Tradition, pidyon shvuim – die Pflicht, Gefangene freizukaufen – zu leisten. Sie spiegelt das Mitgefühl und die Menschlichkeit wider, durch die sich das jüdische Volk über Jahrhunderte der Verfolgung und Verstreuung hinweg ausgezeichnet hat. Es ist das Credo der IDF, ihre Söhne niemals auf dem Schlachtfeld zurückzulassen. Dies beinhaltet die moralische und ethische Verpflichtung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihre Soldaten zurück nach Hause zu bringen – sei es tot oder lebendig.

Das israelische Militär ist eine Bürger-Armee; alle Eltern identifizieren sich mit den Familien entführter Soldaten und sind bereit, jeden Kompromiss zu unterstützen, der sie wieder zurück nach Hause bringen wird.

7000 palästinensische Gefangene im Austausch für 19 Israelis

Trotz anfänglicher Erklärungen, man würde nicht auf überzogene Forderungen eingehen, hat die israelische Regierung bis heute – als Reaktion auf den enormen öffentlichen Druck – letzten Endes stets den Erpressungen der Hamas nachgegeben. Seit 1948 liess Israel über 7.000  palästinensische Gefängnisinsassen im Austausch für 19 gefangengenommene Israelis frei. Im Oktober 2011 wurden mit der Unterstützung von 80 Prozent der Bevölkerung 1.027 Terroristen – darunter die brutalsten und grausamsten Serienmörder – im Austausch für den gefangenen Soldaten Gilad Shalit freigelassen.

Israel hat in Bezug auf das Austauschen von Gefangenen bei vorangegangenen Gelegenheiten erschütternde Erfahrungen gemacht und musste einen hohen Preis für seine in grotesker Weise unverhältnismässigen Zugeständnisse zahlen.

Viele der Entlassenen wandten sich erneut dem Terrorismus zu. Einer von ihnen, Mahmoud Qawasmeh, finanzierte und beauftragte die Mörder der 2014 gekidnappten drei Jugendlichen. Ein weiterer, Yahya Sinwar, ist derzeit der fanatische Hamasführer im Gazastreifen, der fest entschlossen ist, Palästina „vom Fluss bis zum Meer“ zu „befreien“.

2012 empfahl ein vom damaligen Verteidigungsminister Ehud Barak gebildetes Komitee unter Vorsitz des Ex-Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Meir Shamgar, die Einführung von Regelungen, die sicherstellen sollten, dass künftige Geisel-Deals nicht von Emotionen der Öffentlichkeit und Medienhysterie bestimmt werden sollten – was hinsichtlich des bisherigen Austauschs von Gefangenen ein eklatantes Ungleichgewicht zur Folge gehabt hatte.  Bedauerlicherweise blieb es bei diesen Empfehlungen; sie wurden von der Knesset nie als Gesetz institutionalisiert. Man argumentierte damals, dass wenn dies per Gesetz festgelegt würde, würden zukünftige israelische Gefangene sofort getötet werden.

Jeden Preis zu zahlen ist jedoch untragbar, es schwächt die abschreckende Wirkung Israels und gefährdet die nationale Sicherheit. Als ein Staat, der sich im Belagerungszustand befindet, kann Israel sich nicht erlauben, sich einer derartigen Erpressung durch Terroristen auszusetzen. Dies wird auch in keinem anderen Land so gehandhabt.

Anreiz für weitere Entführungen

Nicht nur, dass die Hamas als heldenhaft betrachtet wird, weil sie derart grotesk verfälschten Tauschhandel betreibt. Es liefert unseren Feinden auch den Beweis, dass gekidnappte Geiseln die Achillesferse Israels sind und schafft somit einen Anreiz für weitere Entführungen. Es versetzt sie in die Lage zu beweisen, dass zur Erreichung ihrer Ziele Terrorismus unendlich viel wirksamer ist als Verhandlungen. Diese Art von Tauschhandel schafft ausserdem ein Umfeld, in dem inhaftierte Terroristen optimistisch bleiben, dass Israel letzten Endes gezwungen sein wird, sie freizugeben und sie dann, belohnt mit grosszügigen Entschädigungen, als Helden nach Hause zurückkehren werden.

Ihr blindes Verlangen, uns zu zerstören, ist unersättlich und die fortgesetzte Kapitulation gegenüber unverhältnismässigen Forderungen wird unweigerlich in noch grösseren Tragödien gipfeln.

Bevor er sich überhaupt auf Verhandlungen einlässt, verlangt Hamas-Führer Sinwar die Entlassung aller 60 Gefängnisinsassen, die sich nach wie vor in Haft befinden, weil sie ihre terroristischen Aktivitäten nach ihrer Entlassung im Rahmen des Shalit-Austausches wieder aufgenommen hatten. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman hat dies zu Recht verweigert, indem er betonte, dass Israel den Fehler, palästinensische Mörder im Austausch für Gefangene der Hamas freizugeben, nicht wiederholen dürfe. Er unterstrich, dass die im Austausch für Shalit freigelassenen Palästinenser den Ton bei der Hamas im Gazastreifen angeben und ihre vorherigen terroristischen Aktivitäten fortgesetzt haben.

Die Äusserungen des Ministers waren eine Reaktion auf das flammende Plädoyer von Simcha Goldin, dem Vater von Hadar Golding, dessen sterbliche Überreste seit der Operation Protective Edge im Jahr 2014 von der Hamas zurückgehalten werden. Man muss Goldin zugute halten, dass er Initiativen ablehnte, die unverhältnismässige Zugeständnisse an die Hamas beinhaltet hätten. Dennoch bezichtigte er Lieberman, „schwach“ und „feige“ gewesen zu sein, da er die Hamas nicht gezwungen habe, die Leichname der Soldaten zurückzugeben, damit ihre Familien sie bestatten und mit ihrem Tod abschliessen könnten. Lieberman sagte, er akzeptiere Goldins Kritik und versprach, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die sterblichen Überreste des Soldaten zurückzuerhalten, jedoch nur, wenn dies die Sicherheit Israels nicht unterminieren oder den Tod weiterer Israelis zur Folge haben würde.

Liebermans Stellungnahme erfolgte nach dem Rücktritt des israelischen Verhandlungsführers Lior Lotan, der diesen Schritt unternommenen hatte, weil man ihm angeblich zu wenig Handlungsspielraum gegeben habe. Anschliessend beklagte er sich über die Schwäche Israels in dessen Vorgehensweise.

Es hat auch andere Vorschläge gegeben. Das Mindeste, was wir tun sollten, ist eine weltweite Kampagne zu starten, welche die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen dazu aufruft, ihrer Verantwortung in einer teilnahmsvollen und unparteiischen Weise gerecht zu werden. Amnesty International, das massive Ressourcen darin investiert, mit zweierlei Mass zu messen, indem es Israel kontinuierlich als Schurkenstaat abstempelt, die Gräueltaten der Hamas jedoch verharmlost, sah sich zwar gezwungen, die Entführungen zu verurteilen, versäumte es jedoch nach einer ersten Ankündigung, die Sache weiter zu verfolgen.

Für jeden gefangengehaltenen Israeli 200 Hamas-Aktivisten verhaften?

Einige schlagen radikalere Massnahmen vor. Lotan, der ehemalige Verhandlungsführer, schlug vor, Israel solle den Spiess umdrehen, indem es für jeden gefangengehaltenen Israeli 200 bekannte Hamas-Aktivisten ergreift oder verhaftet. Andere schlagen vor, Israel solle damit aufhören, die Leichname von Hamas-Terroristen an ihre Angehörigen auszuhändigen. Ausserdem solle es die Lebensbedingungen inhaftierter Hamas-Terroristen drastisch herabstufen und deren ehelichen Rechte einschränken. Wieder andere drängen gar darauf, die Belagerung Gazas deutlich zu intensivieren.

Gegner dieser Massnahmen argumentieren, dass solche Schritte nur dazu führen würden, das sich die öffentliche Meinung verschlechtere und einige militärische Quellen fürchten, sie würden neuerliche Feindseligkeiten anfachen. Es ist gefährlich, wenn Sessel-Kritiker, die nicht die vollständigen Fakten kennen, dogmatische Empfehlungen aussprechen.

Man kann sich nicht mit trauernden Eltern streiten, deren Kinder getötet oder gefangengenommen wurden, aber das heisst nicht, dass man mit ihren Forderungen übereinstimmen muss, wenn dies bedeutet, die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu gefährden. Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein: Bei der Hamas haben wir es mit Barbaren zu tun, die wiederholt ihre Absicht bekräftigt haben, zu jedem Zeitpunkt ihrer Wahl feindliche Handlungen gegen uns in die Wege zu leiten. Wenn wir unsere Ziele der Welt verkünden, wird die öffentliche Meinung – die Meinung der blutenden Herzen nicht mitgerechnet – voraussichtlich für uns Partei ergreifen.

Zugegebenermassen ist dies keine leichte Entscheidung. Die Freilassung einer weiteren grossen Gruppe von Mördern muss verhindert werden – aber blosses Reden schwingen ist ebenso unakzeptabel.

Der Koordinator für Regierungsangelegenheiten in den Gebieten, Generalmajor Yoav Mordechai, stellte gegenüber dem US-Sonderbeauftragten für internationale Verhandlungen Jason Greenblatt fest, dass „wir keine signifikante Entwicklung im Gazastreifen zulassen werden … ohne die Rückkehr der vermissten IDF-Soldaten sicherzustellen.“

Möglicherweise sind also die Entscheidungsträger zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Vorgehen nach dem „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Prinzip einen Versuch wert ist.

Isi Leibler ist ehemaliger Vorsitzender der australischen jüdischen Gemeinde und ehemaliger Vorsitzender des Verwaltungsrates des Jüdischen Weltkongresses. Dieser Kommentar wurde erstmals in der Jerusalem Post und der Tageszeitung Israel Hayom veröffentlicht.

1 Kommentar

  1. Isi Leibler hat die ganze Bandbreite der Problematik benannt. Ich möchte nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken. Jede Entscheidung ist zugleich falsch und richtig. Aber egal wie sie ausfällt, sie unterscheidet sich um Welten von den vollständig pervertierten Vorstellungen der Gegenseite und deren ethisch und moralisch verarmten Unterstützern.

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