Die deutsche Koalition zu Nahost

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Die deutsche Koalition zu Nahost. Foto Tobias Koch - OTRS. Lizenziert under CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons.
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Die wirklich wichtigen „Knackpunkte“ bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin lauteten: PKW-Maut, Renten, Steuern, also Geld, Geld und noch einmal Geld. Obgleich Deutschland mächtigster Staat in Europa ist und an entscheidenden globalen Verhandlungen teilnimmt, scheint Aussenpolitik für die Berliner Politiker ein fast irrelevanter Nebenschauplatz zu sein. Unter Punkt 7 des Koalitionsabkommens geht es um “Verantwortung in der Welt“, darunter Nahost. Fast so interessant, wie das, was da drin steht, ist das, was man verschweigt.

Die deutschen Verpflichtungen zum Existenzrecht Israels entsprechen stehender Politik. Beachtenswert ist hier die Definition Israels als „jüdischem und demokratischem Staat“. Diese Formulierung stösst bei Arabern und besonders bei den Palästinensern auf Widerstand. Denn sie impliziert eine Absage an das „Rückkehrrecht“ für 5 Millionen „arabische Flüchtlinge aus Palästina“. Sogar die UNWRA (UNO-Flüchtlingsorganisation) mit dem einzigartigen Mandat, jene Flüchtlinge nicht schnellstmöglich einem normalen Leben zuzuführen, sondern sie und ihre Kindeskinder wieder in ihre 1948 verlassenen Heime im heutigen Israel zurückzuführen, kennt in ihren offiziellen Dokumenten bis heute nicht den Begriff „Palästinenser“. Präsident Mahmoud Abbas weigert sich jedenfalls, Israel als „jüdischen Staat“ anzuerkennen.

Das „hohe Interesse an Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten“ im Koalitionsvertrag klingt gut. Einziger Störfaktor für „Frieden und Stabilität“ in der Region scheint jedoch allein das noch unerreichte Ziel einer Zweistaaten-Lösung zu sein, mit Israel „in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen“ und „einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat“ in Frieden daneben. Indem allein der Streit zwischen Israel und den Palästinensern erwähnt wird, entsteht der Eindruck, als gebe es ansonsten im „Nahen und Mittleren Osten“ nichts Anderes, was „Frieden und Stabilität“ stören könnte: Weder Querschläger von Syrien in Richtung israelisches Gebiet auf den Golanhöhen noch Raketen aus dem Libanon, tägliche Selbstmordattentate im Irak, Raketenbeschuss auf Israel aus Gaza oder Terroranschläge entlang der Grenze zum ägyptischen Sinai werden in Berlin als Störung des Friedens wahrgenommen.

Die drei künftigen Eigenschaften des palästinensischen Staates, „unabhängig, demokratisch und lebensfähig“, sind mehrdeutig. „Unabhängig“ ist ein dehnbarer Begriff, der für EU-Staaten und NATO-Partner nicht gilt. „Demokratisch“ ist ein Ideal. Aber wie will Deutschland den Palästinensern diese Regierungsform vorschreiben? Und was passiert, wenn sich die Palästinenser diese Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten verbitten, wie heute im Gazastreifen, wo sich die Hamas 2007 zum Alleinherrscher an die Macht geputscht hat, oder in Ramallah, wo 2006 zum letzten Mal gewählt wurde, das Parlament nicht mehr existiert und Präsident Abbas jegliche demokratische Legitimierung verloren hat. Im Widerspruch zu dem demokratischen Ideal hat Merkels vorherige Regierung den Repräsentanten der Palästinenser in Berlin sogar in den Rang eines „Botschafters“ erhoben.

Die Palästinenser setzen „lebensfähig“ gleich mit der Grösse des Staates und dem Verschwinden aller jüdischen Siedlungen. Durchaus „lebensfähig“ ist zum Beispiel Singapur, nur doppelt so gross wie der winzige Gazastreifen, aber mit dreimal mehr Einwohnern. Falls mit „lebensfähig“ landwirtschaftliche Autarkie gemeint ist, so ist das eine mittelalterliche Vorstellung. Kein moderner Staat, nicht einmal die Schweiz, ernährt seine Bevölkerung allein mit dem, was auf seinen Äckern wächst.

Weiter geht es in dem Vertrag um die „Transformationsprozesse“ in den arabischen Staaten. Immerhin ist keine Rede mehr von „Frühling“.

Begrüssenswert ist der deutsche Wille, eine „positive Entwicklung zur Demokratie“ zu unterstützen. Sind da etwa Irak (950 Tote allein im November), Jemen, Syrien, Libanon, Libyen oder gar Iran gemeint? Ausführlich werden unhaltbare Zustände in Ägypten aufgezählt. Warum kein Wort zu Religionsverfolgungen im Iran, zu den Machenschaften der Religionspolizei in Saudi Arabien oder der Flucht der letzten Juden aus Jemen?

Die Absichtserklärung zu einer „politischen Lösung“ in Syrien mit „Druck auf das Regime in Damaskus“ klingt wie Vorschläge zur Schlichtung eines Streites zwischen Schweiz und Liechtenstein, nicht aber wie der Einsatz in einem Bürgerkrieg, bei dem 130.000 Menschen ermordet wurden und Millionen Obdachlose im eigenen Land auf der Flucht sind.

Wer die grausame und blutige Wirklichkeit in Nahost hautnah miterlebt, kann immer wieder nur staunen, wie deutsche Politiker Krieg, Mord und Totschlag in diplomatische Floskeln packen, ohne jeglichen Bezug zur Realität.

Hier der Koalitionsvertrag im Wortlaut: „Verantwortung in der Welt

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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6 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Aufklärung. Nun bin ich beruhigt. Die Printmedien die ich regelmässig lese (Spiegel, SZ, Zeit, NZZ -nur am Sa, weil zu teuer für mich, profil, Die Presse, Der Standard) haben alle die von mir erwähnten Punkt herausgehoben. Von den anderen Punkten las ich nichts.
    lg
    caruso

  2. Israel/Palästina wird nicht herausgepickt und sich auch nicht auf dieses Thema fixiert. Es sind auch andere Länder/Regionen namentlich erwähnt, wie Syrien und Iran, Lateinamerika zum Beispiel.
    Wir gehen davon aus, dass die Leser dieses Portals vornhemlich an der Position zu Israel/Palästina interessiert sind und weniger an Asien oder Lateinamerika.
    Zu Syrien heisst es:
    "Deutschland wird sich gemeinsam mit seinen Partnern aktiv an der Suche nach einer politischen Lösung des Syrienkonflikts beteiligen. Gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft werden wir den Druck auf das Regime in Damaskus aufrecht erhalten, die gemachten Zusagen vollständig einzuhalten. Den wachsenden Einfluss islamistischer Kräfte betrachten wir mit Sorge. Wir wollen das Leiden der syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen in den Anrainerstaaten lindern helfen und setzen uns für einen humanitären Zugang von Hilfsorganisationen innerhalb Syriens ein. Wir werden uns gemeinsam mit dem UNHCR gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten für eine gemeinsame europäische Initiative zur Aufnahmesyrischer Flüchtlinge einsetzen."

  3. Das verstehe ich. Aber was ich nicht verstehe, wenn es um die gemeinsame Aussenpolitik geht, warum pickt man gerade den Israel-
    Palästina-Konflikt aus? Gibt es für D keine andere aussenpolitische Probleme auch? Z.B. Syrien, Türkei-Zypern usw. Die Fixierung auf dieses Problem – als ob es nicht auch andere, genauso wichtige und noch wichtigere Probleme gäbe – finde ich befremdlich, komisch.
    lg
    caruso

  4. Nicht wirklich komisch, denn ein Koalitionsvertrag muss auch einer gemeinsamen Aussenpolitik gerecht werden. CDU und SPD haben nicht nur unterschiedliche innenpolitische Ansätze, sondern auch aussenpolitische.

  5. Koalitionsvertrag:
    Was den Nahen Osten betrifft, ist es Quatsch mit Sosse. Abgesehen
    davon, was sucht der Nahen Osten bzw der Israel-Palästina-Konflikt – und ausschliesslich der – in einer innenpolitischen Vertrag Komisch. Oder?
    lg
    caruso

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