Forscher liefern neueste Erkenntnisse über grassierenden Israelhass

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Foto Boris Niehaus, CC BY-SA 4.0.
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Eine ablehnende Haltung bis hin zu offen artikuliertem Hass gegenüber Israel haben in den letzten Jahren Konjunktur. Davon zeugen Umfragen, Medienberichte sowie wissenschaftliche Studien. Die Zunahme dieses neuen Antisemitismus führte indes nicht dazu, dass Forschungseinrichtungen so zusammenarbeiten, wie es dieser Umstand erfordern würde. 

Das Institute for the Study of Contemporary Antisemitism (ISCA) der amerikanischen Indiana University setzte hier ein wichtiges Zeichen. Vom 02. bis 6. April 2016 fand dort die bisher grösste Konferenz zu gegenwärtigen Formen von Antisemitismus und Israelfeindschaft statt.

Im Rahmen der Tagung mit dem Titel „Anti-Zionism, Antisemitism, and the Dynamics of Delegitimization“ lud Alvin Rosenfeld, der Direktor des Instituts, mehr als 70 Wissenschaftler aus der ganzen Welt ein. Mitorganisiert wurde die Konferenz von Günther Jikeli aus Deutschland, der seit 2015 als Gastprofessor an dem Institut tätig ist und auf dessen Studie zu muslimischem Antisemitismus ich bereits in einer Medienschau im Februar einging.

Dass es zu einer mehrtägigen Konferenz mit zahlreichen Vorträgen und Diskussionen kommt, ist begrüssenswert. Es ist aber auch ein Zeichen für die bedrohliche Präsenz von Israelfeindschaft. Die verschiedenen Perspektiven der Vorträge, die ich hier unmöglich darstellen kann und von denen ich deshalb nur einen kleinen Teil anreisse, zeugen von dieser Komplexität des gegenwärtigen Antisemitismus.

Was zeichnet den um sich greifenden Israelhass aus? Er richtet sich gegen den jüdischen Staat als solchen; er dämonisiert ihn und spricht ihm die Existenzberechtigung ab. Zu ihm kann der Rückgriff auf antisemitische Klischees gehören, die wir aus der europäischen Geschichte kennen. Schon wenn das Wort Israel durch Juden ersetzt wird, stellt jeder halbwegs sensible Leser diverse Gemeinsamkeiten zwischen antisemitischen Pamphleten des 19. Jahrhunderts und antiisraelischen Verlautbarungen von heute fest. Dieser Hass nutzt aber auch verzerrende Vergleiche, die Israel auf die Stufe mit NS-Deutschland und anderen Unrechtsregimen stellen. Das Thema der Konferenz hat somit nichts mit konstruktiver Kritik an Israel zu tun, die selbstverständlich legitim ist. Das Label Israelkritik wird aber immer wieder missbraucht, um den Hass auf das Land salonfähig zu machen.

Die Gefahr liegt in verschiedenen Ländern in diversen Ausprägungen vor. In den USA und Grossbritannien, mittlerweile auch in anderen europäischen Ländern formiert und vernetzt sich die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), die immer unverhohlener zum wirtschaftlichen, politischen, akademischen sowie kulturellen Boykott Israels aufruft, also die komplette Isolierung des Landes fordert und dabei beizeiten Strategien der Dämonisierung verwendet. Prominente Stereotype im Anti-Israel-Diskurs sind Kindermord, Rache und  Kriegslust – routiniert wird zudem eine jüdische Lobby imaginiert, welche die Welt beherrsche. BDS macht von diesen Zuschreibungen teils rege Gebrauch.

“Das Phänomen der Israelfeindschaft gleicht einem Prisma.”

Ein anderer Umstand verwischt die Trennlinie zwischen (auch harscher) Kritik an Israel und Antisemitismus im Dunstkreis dieser Bewegung: Jüdische Studierende, die nicht aus Israel kommen, wurden verbal angegriffen und aufgefordert, sich von Israel öffentlich zu distanzieren. Es geht also nicht mehr um eine (ohnehin unzulässige) Ablehnung allen jüdischen Israelis gegenüber aufgrund politischer Entscheidungen Israels, sondern Juden an sich stellen das Problem für diese Bewegung dar. Auch wenn sich bestimmte Aktivisten bei ihrer Arbeit allein Menschenrechten verschrieben haben, zeigt sich in den letzten Jahren, dass jüdische Studierende als Folge der Präsenz von BDS-Kampagnen immer häufiger angefeindet werden.

Kein Wunder also, dass die Boykott-Bewegung ein Kernthema bei der Konferenz war. Helga Embacher aus Salzburg hat zu den Entwicklungen in Grossbritannien berichtet, Tammi Rossman-Benjamin und Cary Nelson beschrieben die Verhältnisse in den USA. Diese Trends bleiben nicht auf den Campus beschränkt: Die verzerrende Umdeutung von Israelhass hin zu Meinungsfreiheit in Justiz und Politik Grossbritanniens stellten Ronnie Fraser, Lesley Klaff und Alan Johnson vor.

Aber das Phänomen der Israelfeindschaft gleicht einem Prisma: BDS umfasst nur einen Teil seiner Spektralfarben.

Populistische Bewegungen in ganz Europa verbuchen immer mehr Erfolge – die Medien berichten unablässig von diesen Entwicklungen. Das Hauptaugenmerk des Populismus liegt auf Kategorien nationaler Identität und Islamfeindschaft, aber auch auf dem Recycling antisemitischer Klischees und Weltverschwörungsphantasien, wenn auch in teils subtiler Form. Häufig gerieren sich entsprechende Akteure plakativ als Israelfreunde und Antisemitismus-Gegner im Kampf gegen den Islam. Diese hohle Annäherung wird von Seiten jüdischer Verbände zurecht nicht ernstgenommen. Bodo Kahmann stellte in einem Vortrag seine Doktorarbeit vor, in dem er genau auf diese Selbstvermarktung rechtsextremer Verbände einging.

Im Beitrag von Annemarike Stremmelaar ging es um den muslimischen Israelhass in den Niederlanden; Stephan Grigat präsentierte den massiven Israelhass im Iran, der seit den neuen Wirtschaftsbeziehungen geflissentlich ignoriert wird; und Navras Aafreedi untersuchte ein bisher kaum beachtetes Feld in der Antisemitismusforschung: die Verknüpfungen zwischen muslimischem Antisemitismus und Israelhass in Südasien. Angesichts des Anteils der Muslime aus diesem Teil Asiens sind Meinungstrends hier nicht wichtig genug einzuschätzen.

Auch die Israelfeindschaft der Linken darf bei einer solchen Tagung nicht fehlen. Marc Grimm ging bei seinem Input auf die Jakob Augstein-Debatte 2012/13 in Deutschland ein, bei der sich zahlreiche Vertreter deutscher Qualitätsmedien hinter den Spiegel-Kolumnisten und Freitag-Herausgeber stellten. Das allseitige Aufbegehren gegen den Vorwurf, Augstein reproduziere antisemitische Stereotype – und das ohne auf die Argumente der Gegnerseite einzugehen – zeugt von einer Blindheit auf dem linken Auge, die wir immer wieder antreffen können, sobald es um Antisemitismus geht.

Daniel Rickenbacher aus Zürich, dessen Interview ich ebenso in besagter Medienschau von Februar erwähnte, untersuchte in seiner Präsentation die Präsenz von Israelfeindschaft in der Schweiz, und zwar in sowohl linken als auch islamistischen Kreisen. Es gibt – bedingt nicht zuletzt durch das Internet – immer häufiger einen Schulterschluss zwischen verschiedenen ideologischen Gruppierungen, die trotz aller Differenzen zueinander finden, sobald es um den gemeinsamen Feind Israel geht. Gerade die zunehmende Zusammenarbeit zwischen linken, rechten und islamistischen Gruppen muss in Forschung, Politik und Sozialarbeit in Zukunft viel stärker in den Blick genommen werden.

Politik und Medien ignorierten Israelhass fatalerweise für lange Zeit und sprachen dafür immer wieder von Meinungsfreiheit. Im Sommer 2014, als es vermehrt zu anti-israelischen und antisemitischen Ausschreitungen auf Europas Strassen kam, wurden erste Stimmen laut, die dieses Phänomen dann doch mit Sorge beobachteten. Umso mehr ist es ein Verdienst von Rosenfeld und Jikeli, dass sie nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Vertreter von Stiftungen und NGOs in die Tagung mit einbanden und insofern für einen dringend gebotenen Dialog zwischen verschiedenen Aktionsfeldern im Kampf gegen Judenhass sorgten.

Dies war bereits die dritte Konferenz in Bloomington. Die Einblicke, die man bei einem solch intensiven Austausch erhält, sind immens. Insofern ist es wichtig, dass die Beiträge in verschriftlichter Form einer internationalen Leserschaft zugeführt und in dieser oftmals sehr emotional geführten Debatte als verlässliche wissenschaftliche Orientierung dienen. Die Tagungen von 2011 und 2013 brachten bereits – neben der Vernetzung und neuen Kooperationen – zwei äusserst lesenswerte Sammelbände hervor: „Resurgent Antisemitism“ und „Deciphering the New Antisemitism“. Ein Band, der die wichtigsten Beiträge der diesjährigen Konferenz zusammenfasst, ist in Vorbereitung.

Über Matthias J. Becker

Matthias J. Becker ist Doktorand an der Technischen Universität Berlin. Er studierte Romanische Philologien, Philosophie und Linguistik an der Freien Universität. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dämonisierenden Analogien im deutschen und britischen Nahostdiskurs (Web-Kommentare auf Die Zeit und The Guardian), um die verschiedenen Qualitäten eines israelbezogenen Entlastungsantisemitismus’ anhand des Online-Diskurses in liberalen Medien zu erforschen.

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2 Kommentare

  1. “Wie`s dich auch aufzuhorchen treibt,
    Das Dunkel, das Rätsel, die Frage bleibt.”
    (Theodor Fontane)

    Sauber gemachter Artikel, hatte bestimmt einige Mühe bereitet.
    Danke dafür!
    Allein – die Ursachen für den Judenhass kurz anzureissen wäre interessant gewesen, wo man schon einmal die Forscher zur Hand hat.

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