Der „Waffenstillstand“ im Nahen Osten: Warum der Hamas nicht zu trauen ist

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Palästinensische Randalierer zerstören den Kerem Shalom Grenzübergang, der für den Transfer von Hilfsgütern und Ware aus Israel in den Gazastreifen verwendet wird, am 4. Mai 2018. Foto IDF/Flickr
Palästinensische Randalierer zerstören den Kerem Shalom Grenzübergang, der für den Transfer von Hilfsgütern und Ware aus Israel in den Gazastreifen verwendet wird, am 4. Mai 2018. Foto IDF/Flickr
Lesezeit: 9 Minuten

Es ist kein Geheimnis, dass die meisten arabischen Länder der palästinensisch-islamistischen Gruppe Hamas nicht trauen. So hat beispielsweise die Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmoud Abbas ebenso wie viele Palästinenser kein Vertrauen in die Hamas, insbesondere nicht nach dem Sommer 2007, als die islamistische Bewegung gewaltsam die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm. Zu Beginn dieses Jahres drohte Abbas, auf die Köpfe der Hamasführer werde es „Schuhe regnen“.

 

von Bassam Tawil

Nun verlangt man aber von Israel, der Hamas zu trauen. Diese Aufforderung kommt vonseiten Ägyptens, Katars und der Vereinten Nationen, deren Vertreter in den vergangenen Wochen hart daran gearbeitet haben, eine Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und der Hamas zu erzielen.

Laut unbestätigten Berichten fordert der vorgeschlagene Waffenstillstand, alle Grenzübergänge zwischen dem Gazastreifen auf der einen Seite und Israel und Ägypten auf der anderen Seite wieder zu öffnen. Der Waffenstillstand fordert ausserdem offenbar auch eine Erweiterung der Fischereizone vor dem Gazastreifen auf 9 Meilen, die Zahlung von Gehältern an Tausende Angestellte der Hamas sowie eine Steigerung der Treibstofflieferungen an das einzige Kraftwerk in Gaza. Katar – ein Land, das seit langem die Muslimbruderschaft und deren Ableger, die Hamas, unterstützt – soll nach der vorgeschlagenen Waffenstillstandsvereinbarung für den Treibstoff und die Gehälter aufkommen.

Und was bekommt Israel dafür? Ruhe. Das heisst, die Hamas verspricht eine vorübergehende Einstellung terroristischer Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen heraus. Dieses Versprechen der Hamas beinhaltet auch die vorübergehende Unterbrechung der von der Hamas geförderten gewaltsamen Unruhen entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel.

Bereits vor 2 Wochen gab es Anzeichen, dass die Hamas am Abschluss einer Vereinbarung mit Israel interessiert ist. Die Proteste, welche die Hamas am 2. November entlang der Grenze zwischen Gaza und Israel organisiert hat, waren weniger gewalttätig als die vorherigen. Dieser Wandel war das Ergebnis direkter Befehle der Hamasführer, die offenbar zu dem Schluss gekommen sind, dass sich eine Waffenstillstandsvereinbarung zum jetzigen Zeitpunkt positiv für ihre Gruppierung auswirken wird.

„Der Erfolg der unermüdlichen Bemühungen Ägyptens, Katars und der Vereinten Nationen zur Beendigung der Blockade des Gazastreifens rückt näher“, so der ranghohe Hamasführer Khalil al-Haya. Die Hamas und andere palästinensische Gruppierungen im Gazastreifen, so fügte er hinzu, warteten nun auf die Antwort Israels auf die Vermittlungsbemühungen von Ägypten, Katar und den Vereinten Nationen.

Die Hamas hat hervorragende Gründe, mit dem vorgeschlagenen Waffenstillstand mit Israel zufrieden zu sein. Die Vereinbarung verlangt von der Hamas keine anderen echten Zugeständnisse, als die Terroranschläge auf Israel vorübergehend einzustellen.

Hamas wird Waffenstillstand mit Israel als Sieg einstufen

Das vorgeschlagene Abkommen verlangt von der Hamas nicht, sich zu entwaffnen oder ihre Miliz abzubauen. Von der Hamas wird nicht verlangt, die Kontrolle über den Gazastreifen abzugeben oder den Weg freizumachen für eine Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde nach Gaza. Von der Hamas wird nicht verlangt, die Terrortunnel zu zerstören, die sie entlang der Grenze zu Israel gegraben hat. Von der Hamas wird nicht verlangt, den Schmuggel von Waffen, die gegen Israel verwendet werden, in den Gazastreifen einzustellen. Von der Hamas wird nicht verlangt, der Gewalt abzuschwören oder das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Von der Hamas wird nicht verlangt, eine Zweitstaatenlösung zu akzeptieren oder ihre gefährliche Völkermordideologie abzulegen.

Alles, was von der Hamas verlangt wird, ist, sich ruhig zu verhalten und sich anständig zu benehmen, damit die Gruppierung und ihre Unterstützer Gehälter bekommen und weitere Privilegien geniessen können, wie etwa wirtschaftliche und humanitäre Hilfsleistungen.

Es sind genau diese Vorteile für die Hamas, die das vorgeschlagene Waffenstillstandsabkommen so gefährlich machen und falsche Signale an die Hamas und andere palästinensische Terroristen aussenden. Ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt zeigt, dass man bekommt, was man will, wenn man sich nur gewalttätig und erpresserisch verhält.

Die Hamas wird jeden Waffenstillstand mit Israel als Sieg einstufen. Die Vereinbarung soll nach sieben Monaten gewaltsamer Unruhen entlang der Grenze zu Israel erfolgen. Sie wird von der Hamas als Sieg gewertet werden, weil es so aussehen wird, als ob die gewaltsamen Proteste, und auch die Tausenden von Raketen, Mörsergranaten und Branddrachen und -ballons, die in Richtung Israel gestartet wurden, schliesslich ihr Ziel erreicht hätten: Israel und die internationale Gemeinschaft dazu zu zwingen, die dem Hamas-beherrschten Gazastreifen auferlegten Beschränkungen zu lockern.

Es ist verstörend, dass die Hamas, der Palästinensische Islamische Dschihad und andere Terrorgruppen im Gazastreifen die derzeitigen Vermittlungsversuche für einen Waffenstillstand mit Israel bereits als Belohnung für die Flut anti-israelischer Angriffe der vergangenen Monate betrachten.

Wenn Terroristen lächelnd etwas feiern, was sie als Sieg ansehen, muss die Welt sich Gedanken machen.

Offensichtlich glauben sie, die internationale Gemeinschaft hätte sich ohne die gewaltsamen Demonstrationen und die Terrorangriffe, die im vergangenen März begonnen haben, nicht bewegt, nach einer Lösung ihrer wirtschaftlichen und humanitären Krise im Gazastreifen zu suchen.

Dieser Sieg wird die Gier und die Motivation der Terroristen, weiterhin so viele Juden wie möglich umzubringen, natürlich nur steigern. Sie werden jeden Waffenstillstand als Rückzug Israels angesichts von Gewalt und Terrorismus betrachten.

Wenn Terroristen lächelnd etwas feiern, was sie als Sieg ansehen, muss die Welt sich Gedanken machen.

Israel geht erneut ein grosses Risiko ein, wenn es einen Waffenstillstand in Betracht zieht. Auch das Vertrauen in die Ägypter, Katarer und die Vereinten Nationen stellt ein grosses Risiko dar: Die Hamas hat andauernd und wiederholt frühere Waffenstillstandsvereinbarungen mit Israel gebrochen.

Durch die Fortsetzung der Grabung von Terrortunneln entlang der Grenze zwischen Gaza und Israel hat die Hamas frühere Waffenstillstandsabkommen verletzt. Durch die Fortsetzung von täglichen Raketentests hat die Hamas so gut wie alle früheren Waffenstillstandsvereinbarungen verletzt. Durch die Entsendung von Palästinensern, die Sprengvorrichtungen anbringen, nach Israel eindringen und Branddrachen und -ballons steigen lassen, hat die Hamas alle früheren Waffenstillstandsabkommen verletzt. In den vergangenen Monaten hat die Hamas sogar vorübergehende Waffenstillstandsvereinbarungen mit Israel wiederholt gebrochen.

Was Ägypten, Katar und die Vereinten Nationen angeht, so handeln sie rein in eigenem Interesse und dem der Hamas. Ägypten möchte einen Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel, weil es Ruhe an der gemeinsamen Grenze mit dem Gazastreifen möchte. Katar möchte den Waffenstillstand, weil dieses reiche Emirat die Position der Muslimbruderschaft und der Hamas in der arabischen und islamischen Welt stärken will. Die Vereinten Nationen ihrerseits möchten der Welt beweisen, dass sie noch von Bedeutung sind, einflussreich und in der Lage, zu Stabilität, Sicherheit und Frieden beizutragen.

Doch nicht einer der drei Beteiligten strebt aus Liebe zu Israel oder echter Sorge um irgendjemandes Sicherheit nach einem Waffenstillstand.

Mehr Zeit sich auf den nächsten Krieg mit Israel vorzubereiten

Falls und wenn eine Vereinbarung durch Ägypten, Katar und die Vereinten Nationen erzielt wird, wird die Hamas der grösste Gewinner sein. Wirtschaftliche und humanitäre Hilfsleistungen für den Gazastreifen werden die Hamas von ihren Verpflichtungen gegenüber der dortigen palästinensischen Bevölkerung entbinden. Die Hamas wird sich keine Sorgen mehr über Armut und Arbeitslosigkeit machen müssen, weil die internationale Gemeinschaft sich nun um die Menschen im Gazastreifen kümmern wird. Die Hamas muss sich nicht länger um die Zahlung von Gehältern an Tausende palästinensische Angestellte kümmern oder um den Kauf von Treibstoff, um das Kraftwerk in Betrieb zu halten. Katar hat sich bereits verpflichtet, die Kosten für Treibstoff und Gehälter zu übernehmen.

Der einzige Weg, mit islamistischen Terroristen umzugehen, ist, dafür zu sorgen, dass sie die Ersten sind, die „von der Landkarte verschwinden“.

Damit hat die Hamas mehr Zeit, sich auf den nächsten Krieg mit Israel vorzubereiten. Der vorgeschlagene Waffenstillstand wird der Hamas Freiraum geben, weitere Waffen in den Gazastreifen zu schmuggeln, neue Tunnel zu graben und Tausende Palästinenser für ihre Reihen zu rekrutieren. Die Hamas wird den Waffenstillstand nicht dafür nutzen, Krankenhäuser und Schulen zu bauen oder neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen oder die Lebensbedingungen der von ihr beherrschten Palästinenser zu verbessern. Die Hamas will lediglich eine Pause, die sie in die Lage versetzt, sich in Vorbereitung auf den nächsten Krieg gegen Israel zu stärken. Ägypten, Katar und die Vereinten Nationen üben nun Druck auf Israel aus, der Hamas Gelegenheit zu geben, mehr Waffen und Terroristen zu sammeln.

Bedrohung der Sicherheit Israels

Israel soll jenen, die nach seiner Vernichtung trachten, eine weitere Chance geben. Israel soll jenen, die nach seiner Vernichtung trachten, weitere Fischereizonen zugestehen, was ihnen ihre Mission, Waffen in den Gazastreifen zu schmuggeln, erleichtern wird. Israel soll seine Grenzen öffnen, um jenen entgegenzukommen, die Tag und Nacht zu seiner Zerstörung aufrufen. Israel soll jenen Treibstoff und medizinische Hilfe liefern, die seine Flaggen verbrennen und täglich in den Moscheen und auf den öffentlichen Plätzen des Gazastreifens seine Auslöschung fordern.

Israel soll alle diese Zugeständnisse gegenüber der Hamas zu einem Zeitpunkt machen, an dem die meisten Araber vor Jahren aufgehört haben, der Terrorgruppe zu vertrauen. Das syrische Regime vertrieb die Hamas kurz nach Beginn des Bürgerkriegs 2011 wegen deren Unterstützung für die gegen Baschar al-Assad kämpfenden oppositionellen Kräfte. Im Jahr 2012 schlossen die syrischen Behörden Büros der Hamas in Damaskus und verwiesen mehrere Führer der Terrorgruppe des Landes.

Auch Jordanien hat die Büros der Hamas vor zwei Jahrzehnten geschlossen und 1999 mehrere Hamasvertreter aus dem Königreich ausgewiesen.

Die Ägypter hassen die Hamas von Herzen; sie halten sie wegen der Verbindungen zur Muslimbruderschaft und terroristischen Gruppen, die gegen das Regime von Präsident Abdel Fattah el-Sisi kämpfen, für eine „Bedrohung“ ihrer nationalen Sicherheit. Einige Ägypter haben ausserdem die Hamas beschuldigt, mit den islamischen Terrorgruppen auf der Sinai-Halbinsel zusammenzuarbeiten.

Saudi Arabien ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat die Hamas als terroristische Organisation verurteilt.

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie arabische Länder die Hamas sehen und wie sie mit ihr umgehen. Unterdessen soll Israel der Hamas helfen, indem es die Beschränkungen für den Gazastreifen lockert. Diese Aufforderung stellt eine ernste Bedrohung der Sicherheit Israels dar. Ironischerweise ist die Bedrohung Israels, die dieser Waffenstillstand bedeutet, viel ernster als die derzeitigen Angriffe, die Israel zweifellos mit diesem Waffenstillstand zu beenden hofft. Wenn schon die arabischen Brüder der Hamas dieser Terrorgruppe nicht vertrauen, warum sollte Israel dies dann tun?

Der vorgeschlagene Waffenstillstand führt möglicherweise zu Ruhe an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen, aber nur kurzzeitig. Die Hamas wird weder ihre Ideologie noch ihre Taktik durch einen vorübergehenden Waffenstillstand ändern. Sie wird immer weiter an ihrem Ziel, Israel „von der Landkarte verschwinden“ zu lassen, arbeiten.

Dieses Ziel ist der Grund, warum Israel alarmbereit bleiben muss, auch wenn ein Waffenstillstand erreicht wird. Dieses Ziel der Hamas ist auch der Grund, warum der internationalen Gemeinschaft klar sein muss, dass Abkommen mit Terroristen diese Terroristen und ihre Freunde beim IS und anderen dschihadistischen Gruppen nur noch ermutigen. Der einzige Weg, mit islamistischen Terroristen umzugehen, ist, dafür zu sorgen, dass sie die Ersten sind, die „von der Landkarte verschwinden“. Ein echter Waffenstillstand zwischen Israel und dem Gazastreifen wird nur dann erreicht, wenn die dschihadistischen Terroristen entmachtet sind und nicht für Gewalt und Drohungen auch noch belohnt werden.

Bassam Tawil ist Muslim und lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Übersetzung Audiatur-Online.

1 Kommentar

  1. So ist unsere Zeit:
    Der Artikel ist vom 12. Nov und es geht um den Waffenstillstand.
    Während ich den Artikel lese, am 12. Nov um 20:20h,
    fliegen hunderte Raketen aus Gaza gen Israel.

    Waffenstillstand und ob man ihm trauen kann
    … soll ich weiterlesen … wirklich?!

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