Iran unter „moderatem“ Rohani repressiv wie eh und je

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Die Vereidigung des iranischen Präsidenten Hassan Rohani letzte Woche. Foto Twitter / president.ir
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Nichts untergräbt ein Klischee mehr, als ein Blick hinter die blankpolierte Fassade. Ein typisches Beispiel dafür ist die Islamische Republik Iran. Die iranische “Mullahkratie” wird von Unterstützern des Nukleardeals schon lange als ein Land beschrieben, das sich im Umbruch befinde, in dem sich moderate Kräfte auf Kosten der alten, repressiven Elite allmählich ihren Weg bahnen.

von Julie Lenarz

Doch die Realität zeigt ein ganz anderes Bild. Zeitgleich mit der am vergangenen Donnerstag erfolgten Bestätigung der zweiten Amtszeit von Präsident Hassan Rohani durch den Obersten Religionsführer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der den Mythos vom Aufstieg der Gemässigten im Iran gnadenlos demontiert.

Nicht nur, dass keine Schritte unternommen wurden, um die katastrophale Menschenrechtssituation im Land zu verbessern – im Gegenteil, die Umstände für friedliche Aktivisten haben sich unter der Rohani-Präsidentschaft kontinuierlich verschlechtert, zu diesem Schluss gelangt der Bericht.

„Seit Hassan Rohani 2013 Präsident des Iran wurde, praktizieren die Justiz- und Sicherheitsorgane des Iran eine harte Gangart gegen Menschenrechtsverteidiger. Sie dämonisieren und verhaften Aktivisten, die den Mut haben, sich für die Rechte der Menschen einzusetzen“, erklärte Amnesty International. „Präsident Rohani und seine Regierung haben bislang versäumt, sinnvolle Schritte zu unternehmen, um diesen Missbrauch zu beenden. Im Gegenteil, sie haben sogar alle Berichte über begangene Verstösse unter den Teppich gekehrt.“

Die Organisation führte weiter aus, wie Dutzende von Menschenrechtsaktivisten – als „ausländische Agenten“ und „Verräter“ beschimpft – aufgrund angeblicher Angriffe auf die „nationale Sicherheit“ brutal verfolgt und verhaftet wurden und somit alle während der Verhandlungen über die nukleare Entspannung und Rohanis erstem Wahlkampf gehegten Hoffnungen zunichte gemacht wurden.

Der Bericht wies auf 45 Fälle hin, in denen Aktivisten inhaftiert wurden und mit langjährigen Gefängnisstrafen rechnen müssen, weil sie von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch gemacht haben, darunter Gegner der Todesstrafe, Frauenrechtsaktivisten, Gewerkschaftler, Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzen, Menschenrechtsanwälte sowie die Betreiber von Kampagnen gegen aussergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen.

Unter ihnen ist auch die bekannte Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi, Leiterin des Centre for Human Rights Defenders in Iran (CHRI), die wegen ihrer Aktivitäten zu einer Gefängnisstrafe von 16 Jahren verurteilt wurde, ebenso wie Alireza Farshi, ein Mitglied der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit des Iran, über den eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren verhängt wurde, weil er die UNESCO ersucht hatte, eine Veranstaltung zum Gedenktag des Internationalen Tages der Muttersprache abzuhalten.

„Es ist bittere Ironie, dass sich die iranischen Behörden – insbesondere in der Zeit nach dem Atomdeal –  eines vermehrten Austauschs mit der UN und der EU rühmen, während die Menschenrechtsverteidiger, die den Kontakt zu eben jenen Institutionen geknüpft haben, wie Kriminelle behandelt werden“, sagt Philip Luther, Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms von Amnesty International.

„Anstatt die offiziellen Vertreter des Iran zu beschwichtigen, sollte die EU eindringlich die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Personen fordern, die aufgrund ihres friedlichen Menschenrechtsengagements in Haft sitzen“, ergänzte er.

Die Ergebnisse, zu denen Amnesty International gelangt ist, dürften niemanden überraschen, der die Situation im Iran seit Rohanis Machtübernahme aufmerksam beobachtet  hat und der im Iran das sieht, was er wirklich ist: ein notorischer Pariastaat, der das iranische Volk als Privatbesitz betrachtet und Tod und Zerstörung weit über die Landesgrenzen hinaus exportiert.

Auspeitschung und Amputationen

Die unrechtmässige Festnahme und Folter von Aktivisten und ethnischen und religiösen Minderheiten ist eine nach wie vor gängige und weit verbreitete Praxis, die völlig straffrei betrieben wird. Grausame Bestrafungen wie Auspeitschung und Amputationen werden öffentlich ausgeführt, um ein Klima der Angst und Fügsamkeit gegenüber dem Regime zu schaffen. Frauen und Mädchen begegnen systemischer Gewalt und Diskriminierung und erfahren nur geringen oder gar keinen Schutz durch das Gesetz. Die Todesstrafe – die entgegen den Normen des internationalen Rechts auch auf Jugendliche angewendet wird – wird so häufig verhängt, dass sie das iranische Regime jedes Jahr in die Top-Fünf der weltweit grössten Vollstrecker des Todesurteils katapultiert. 2015 war die Anzahl der durchgeführten Exekutionen die höchste seit 1989. Wenn sich dies stark nach George Orwells 1984 anhört, dann liegt es daran, dass der Iran eine moderne Dystopie ist.

Dies ist das düstere Bild, das sich zeigt, bevor auch nur ein Wort über die Mittäterschaft des Iran an dem in industriellem Ausmass erfolgten Töten durch das Assad-Regime in Syrien gesagt worden wäre, welches mit der signifikanten Unterstützung des iranischen Regimes und dessen libanesischer Tochterorganisation Hisbollah erfolgte, die auch die Menschen im Libanon als Geisel hält. Oder über die lange Liste von Kriegsverbrechen gegen die sunnitische Zivilbevölkerung im Irak durch schiitische Milizen, die ebenfalls auf der Gehaltsliste des Iran stehen und auch von diesem ausgestattet werden. Und gerade erst diese Woche berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Iraner eine neue Route im Golf gefunden hätten, auf der sie Waffenlieferungen an die Huthi-Rebellen im Jemen liefern können, womit sie die Eskalation eines Konflikts befördern, der sich bereits jetzt zu einer der grössten humanitären Krisen unserer Zeit entwickelt hat.

Leider jedoch hat Wunschdenken das Urteilsvermögen vieler kluger Köpfe vernebelt, die trotz überwältigender gegenteiliger Beweise immer noch darauf beharren, dass der Iran einen grundlegenden Wandel hin zu einer stärker auf Menschenrechtsaspekten beruhenden Politik durchmacht. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wo immer der Iran auftritt, hinterlässt er Blutspuren.

Julie Lenarz ist Senior Fellow bei der NGO The Israel Project und Geschäftsführerin des Human Security Center, einem unabhängigen politischen Thinktank mit Sitz in London. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Tower.