Erleben wir das Ende der Palästinensischen Autonomiebehörde?

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Mitglieder der Terrororganisationen Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden,
Mitglieder der Terrororganisationen Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, "Höhle der Löwen" und der Balata-Brigade nehmen an einer Parade im "Flüchtlingslager" Balata, östlich von Nablus, teil. 5. Mai 2023 Foto IMAGO / ZUMA Wire
Lesezeit: 6 Minuten

Im vergangenen Jahr ist die Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) über das Westjordanland zunehmend zusammengebrochen. Die PA wird von vielen Palästinensern als eine korrupte Organisation angesehen, die ihre Interessen nicht mehr vertritt. Die kürzlichen Ereignisse in Nablus und Dschenin deuten auf die Möglichkeit einer Änderung des Status quo und ein Ende der palästinensisch-israelischen Ordnung hin. 

von Dr. Shaul Bartal

Der Monat April stand im Zeichen des Ramadan und des Eid al-Fitr, einer Zeit, in der die palästinensische Einheit oft zur Schau gestellt wird, oder zumindest der Anschein einer solchen Einheit. Hamas- und Fatah-Fahnen wurden auf dem Tempelberg gehisst, und beide Organisationen erklärten ihren Wunsch nach nationaler Einheit. Unter der Oberfläche war die Situation jedoch weit weniger freundschaftlich. Obwohl die Fatah versucht, ein fünftes Einheitsabkommen mit der Hamas zu erreichen (nach den Abkommen von 2006, 2011, 2014 und 2017), scheint die Terrororganisation Hamas nicht daran interessiert.

Eine am 23. März veröffentlichte Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik- und Umfrageforschung (PCPSR) zeigt alarmierende Daten, die auf eine Entwicklung hinweisen, auf die Israel vorbereitet sein muss. Zum ersten Mal ist eine klare Mehrheit der palästinensischen Öffentlichkeit (52 %) der Meinung, dass der Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im palästinensischen Interesse liegen würde. Eine Mehrheit von 57 % ist der Meinung, dass das Fortbestehen der PA, d. h. die Aufrechterhaltung des Status quo, im Interesse Israels liegt und dass der Zusammenbruch der PA den palästinensischen Interessen und denen der bewaffneten Gruppen, insbesondere der Hamas, dienen würde.

Eine der grössten Errungenschaften der Fatah war die Einrichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die als Ausdruck der palästinensischen Selbstbestimmung gedacht war. Es handelt sich um eine Art Staat, der die Grundlage für eine künftige palästinensische Regierung bilden sollte, die das gesamte Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem umfasst. Die Vision einer Zweistaatenlösung ist in den letzten Jahren erodiert, und die Palästinenser glauben heute, dass ihre Verwirklichung eher dem Friedensplan von Donald Trump aus dem Jahr 2016 ähneln würde als dem Camp-David-Plan von Bill Clinton aus dem Jahr 2000.

Die palästinensische Gesellschaft ist heute zwischen zwei verschiedenen Autoritäten gespalten. Der Gazastreifen wird von der Hamas kontrolliert, die scheinbar unabhängig ist und als Mittel der Abschreckung gegenüber Israel angesehen wird. Die zweite ist die Palästinensische Autonomiebehörde, die von der Fatah (in Teilen des Westjordanlandes) kontrolliert wird. Die Palästinensische Autonomiebehörde wird als ein Gebilde betrachtet, das mit Israel kooperiert, um seine Herrschaft und seine materiellen Vorteile zu erhalten.

Die Aktivitäten in den palästinensischen sozialen Netzwerken über die Jahre hinweg zeigen, dass die Hamas beliebter ist als jede andere palästinensische Organisation. In fast jeder Wahlumfrage, die von 2014 bis heute durchgeführt wurde, hat Hamas-Führer Ismail Haniya die Mehrheit der Wähler gegenüber Mahmoud Abbas gewonnen. (In der jüngsten Umfrage erhielt Haniya 52 % gegenüber 36 % für Abbas.) Fatah und Hamas sind fast gleich stark, wobei die Fatah einen leichten Vorteil hat. Auf die Frage “Wer vertritt Ihrer Meinung nach die palästinensischen Interessen am besten?” antworteten 26 % der Teilnehmer mit “Hamas” und 24 % mit “Fatah”.

Besonders auffällig ist, dass 44 % der Meinung sind, dass keine der beiden Parteien die palästinensischen Interessen angemessen vertritt. Die grösste Partei in der palästinensischen Politik ist eine Ansammlung neuer lokaler Organisationen wie die Höhle des Löwen und lokale Bataillone in Nablus, Dschenin und anderswo im Westjordanland. Diese lokalen Gruppen sehen sich nicht einer bestimmten Organisation verpflichtet. Was sie eint, ist der Krieg gegen Israel.

Besonders auffällig ist, dass 44 % der Meinung sind, dass keine der beiden Parteien die palästinensischen Interessen angemessen vertritt. Die grösste Partei in der palästinensischen Politik ist eine Ansammlung neuer lokaler Gruppen wie die Höhle des Löwen und lokale Bataillone in Nablus, Dschenin und anderswo im Westjordanland. Diese lokalen Gruppierungen sehen sich nicht einer bestimmten Organisation verpflichtet. Was sie eint, ist der Krieg gegen Israel.

Die PA wird in den Augen eines grossen Teils der palästinensischen Öffentlichkeit als korrupte Regierungsbehörde angesehen, die mit Israel zusammenarbeitet. Der Weg, um in der Öffentlichkeit Legitimität zu erlangen, führt über Kampf und Widerstand. Satte 58 % der Bevölkerung befürworten eine Rückkehr zu einer bewaffneten Intifada. Weitere 50 % glauben, dass die derzeitige rechtsgerichtete israelische Regierung bei den Demonstrationen gegen die Justizreform zu Fall kommen wird.

74 % gegen Zweistaatenlösung

Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den Demonstrationen und der Beeinträchtigung der Sicherheit der Israelis im Westjordanland. Der massive Druck durch Terroranschläge und die Unruhen innerhalb Israels (unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Massnahmen der Regierung zur Rechtsreform sind) erwecken den Eindruck, dass Israel zerfällt. Die Phrasen “Israel fällt” oder “Israel kollabiert” gewinnen in den sozialen Netzwerken an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Unterstützung für einen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern einen noch nie dagewesenen Tiefstand erreicht hat. 74 % der palästinensischen Öffentlichkeit sind der Meinung, dass die Zweistaatenlösung keine relevante Option mehr ist.

Was ist wichtig? Der «gewaltsame Widerstand». Die Hamas erhöht ihren Druck auf das Westjordanland und auf Jerusalem. Die Terroristen, die Rabbinerin Lucy Dee und ihre beiden Töchter ermordeten, waren Mitglieder einer Hamas-Einheit aus Nablus. Hassam Badran, ein Sprecher der Hamas und Mitglied des Politbüros der Hamas, machte deutlich, dass die Politik der Hamas darin besteht, das Westjordanland in Brand zu setzen. Der Anschlag, bei dem die drei Frauen ermordet wurden, wurde als heldenhafter Schlag bezeichnet, “der die [islamische] Nation vollständig von der Schande befreit hat, als Rache für das, was den Murabitat in al-Aqsa angetan wurde, die von der Besatzung während ihres Einbruchs in die gesegnete Moschee im Monat Ramadan geschleift wurden.”

Murabitat ist eine illegale Organisation von Frauen, die die Hamas und deren Aktionen auf dem Tempelberg gegen jüdische Besucher unterstützen. Bilder dieser Frauen, denen der Zutritt zum Tempelberg verweigert wird oder die vorbeigehende Juden oder Polizeibeamte beschimpfen und verfluchen, sind in palästinensischen sozialen Netzwerken weit verbreitet. Am 10. April 2023 wurde Raida Said Jolani, eine der Frauen der Gruppe, strafrechtlich verfolgt, nachdem sie ihre Unterstützung für die Hamas und terroristische Aktivitäten gegen Israel bekundet hatte. Murabitat ist in Wirklichkeit ein Arm der Terrororganisation Hamas, der in Jerusalem operiert.

Zu den kürzlich in Nablus getöteten Terroristen gesellt sich der Terrorist Abdel Fattah Harusha, der Mörder der Brüder Hillel und Yigal Yaniv. Harusha war ein Hamas-Aktivist, der nach dem Anschlag nach Dschenin zurückkehrte, die Infrastruktur der Organisation nutzte, um sich zu verstecken, und am 7. März von IDF-Kräften getötet wurde.

Diese Anschläge waren keine Einzelfälle. Sie spiegeln vielmehr die bewusste Absicht der Hamas wider, Einheiten im Westjordanland einzusetzen und so viele Anschläge wie möglich zu verüben.

Die Realität im Westjordanland ist, dass die PA, die weithin als korrupt angesehen wird, ihre Macht verliert. Abu Mazen (Mahmoud Abbas) wird angesichts der wiederholten Verschiebung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen als illegitimer Machthaber angesehen. Hinzu kommt, dass der Friedensprozess stagniert und der Status quo zwischen der PA und Israel fortbesteht.

Die Hamas bemüht sich unterdessen zu zeigen, dass sie zwar die relative Ruhe im Gazastreifen aufrechterhält, aber den Weg des Waffenkampfes nicht aufgegeben hat und weiterhin Terroranschläge gegen israelische Bürger und Siedlungen im Westjordanland und im Jordantal verübt. Bei den am 6. Mai in Tulkarem getöteten Terroristen handelte es sich nach Angaben der Hamas um eine Gruppe, die Anschläge auf jüdische Siedlungen in der Gegend verübte und mehrere Fahrzeuge angriff.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat es den Anschein, dass der Plan der Hamas darin besteht, das Westjordanland durch zunehmende Gewalt zu destabilisieren, ihre Popularität in diesem Gebiet zu steigern und anschliessend die Kontrolle über die Machtzentren der Palästinensischen Autonomiebehörde zu übernehmen. Die Fortsetzung dieser explosiven Situation kann durchaus zum Zerfall der Palästinensischen Autonomiebehörde und zu einer anderen Regierungssituation führen, mit der Israel im Westjordanland fertig werden muss.

Oberstleutnant a.D. Shaul Bartal ist leitender Wissenschaftler am Begin-Sadat Center for Strategic Studies (BESA) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Instituto do Oriente an der Universität Lissabon. Übersetzung Audiatur-Online.

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