Die Geburtsstunde Israels: Jetzt oder Nie

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Golda Meir unterzeichnet die Unabhängigkeitserklärung von 1948. Links Ben Gurion. Foto Benno Rothenberg - http://www.archives.gov.il/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48441234
Golda Meir unterzeichnet die Unabhängigkeitserklärung von 1948. Links Ben Gurion. Foto Benno Rothenberg - http://www.archives.gov.il/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48441234
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In dem Buch von Dan Koren und Jechiel Guttman „Israels Regierungen während der Generationen – Kluge Beschlüsse/Dumme Beschlüsse“ wird die Gründung des Staates Israel nachgezeichnet. Nachfolgend eine verkürzte, sinngemässe Wiedergabe dieses Kapitels:

 

Am 12. Mai 1948 traf sich in Tel Aviv die „Volksführung“ (hebr. Minhelet Ha’Am). Auf der Tagesordnung stand David Ben Gurions Vorschlag, umgehend einen unabhängigen jüdischen Staat zu errichten. Nur 10 Teilnehmer konnten zu der Abstimmung kommen. Der Beschluss wurde mit knapper Mehrheit gefasst. In nur 8 Stunden sollte das britische Mandat im „Land Israel“ („Palästina“) enden. Am Freitag dem 14. Mai 1948 trat der „Volksrat“ (hebr. Moezet HaAm) in Tel Aviv im Museumssaal des Dizengoff-Hauses zusammen. Der Sabbat drohte anzubrechen. Ben Gurion verlas die „Unabhängigkeitserklärung“. Das wurde live (im Radio) übertragen: „Hiermit rufe ich die Errichtung eines jüdischen Staates im Land Israel (Eretz Israel) aus. Und das ist der Staat Israel.“

(Aus anderer Quelle ist bekannt, dass die Unabhängigkeitserklärung noch nicht in kaligrafischer Schönschrift auf ein Pergament kopiert worden war. Das zweite Pergament mit den Unterschriften wurde erst später an die Erklärung angenäht.)

25 der insgesamt 37 Mitglieder des Volksrates unterzeichneten sofort die Erklärung. 11 waren im belagerten Jerusalem stecken geblieben und einer war im Ausland. Sie unterzeichneten später. Es wurde gemunkelt, dass Ben Gurion die Anreise der Volksvertreter aus Jerusalem in einer gepanzerten Autokolonne verhindert habe, weil sich unter ihnen einige Gegner der Staatsgründung befanden. Jerusalem wurde nicht erwähnt, auch nicht als Hauptstadt, weil damals noch unklar war, ob die Juden die Stadt überhaupt halten könnten.

Hintergrund

In dem Buch werden kurz der zionistische Kongress in Basel 1897 und die Balfour-Deklaration dargestellt. „Die Araber sahen in den Juden keine Rückkehrer in ihre Heimat, sondern Fremde, die sich die arabischen Grundstücke und das Land aneignen wollen. Sie blieben nicht gleichgültig angesichts des Stroms von Migranten, die meisten aus Europa. Die Spannungen führten zu Gewaltausbrüchen, sogenannte „Unruhen“ oder „Ereignisse“ zwischen Juden und Arabern, sowie zu Zusammenstössen zwischen Arabern und Briten.“

Völlig neue geopolitische Lage nach dem 2. Weltkrieg

Die Schoah wurde zu einem Brennpunkt in der Haltung der Welt zum Schicksal und der Zukunft der Juden gemacht. Die jüdische Besiedlung im Lande entwickelte sich demografisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und militärisch.

Die Briten „leckten noch ihre Wunden“ des Weltkriegs, verabscheuten das Blutvergiessen und erklärten, ihre Präsenz in der Region reduzieren zu wollen. Die Briten wollten ihr Palästina-Mandat an die UNO zurückgeben.

Viele Ideen kamen auf, was nun geschehen sollte, die Zionisten, die arabische Führung, arabische Staaten, die USA, Frankreich, die Sowjetunion und andere, wie auch UNSCOP (die UNO Sonderkommission für die Probleme Palästinas). Jeder hatte andere Vorstellungen.

Unter den Juden und Arabern gab es Nationalisten mit extremistischen Vorschlägen: einen grossjüdischen Staat errichten oder einen grossarabischen Staat. Genauso gab es unzählige Kompromissverschläge. Die UNSCOP legte am Ende der UNO-Generalversammlung die Idee der Errichtung eines jüdischen Staates neben einem arabischen Staat vor. Am 29. Nov 1947 wurde mit 33 Stimmen,13 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen die Resolution 181, welche die Teilung des früheren Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah, angenommen. Jerusalem sollte ein „corpus separatum“ unter UNO-Aufsicht werden. Schon am Tag nach Annahme der Resolution brachen Unruhen aus, sowie eine massive diplomatische Aktivität, den Beschluss zu ändern. Unter den Juden gab es auch Gegner, die einen grossen jüdischen Staat forderten und Fromme, die bis zur Ankunft des Messias warten wollten.

Für die Zionisten war die Resolution eine Gelegenheit zur Verwirklichung eines selbstständigen jüdischen Staates mit internationalem Segen. Ben Gurion war Vorsitzender der „Jewish Agency“ und wollte diese Chance nicht verpassen.

Die Araber, in oder ausserhalb des Landes, leisteten entschiedenen Widerstand. Keiner war bereit, ein jüdisches Gebiet innerhalb der islamischen Ummah (Nation) zu akzeptieren. Es kam zu Attacken auf isolierte jüdische Siedlungen. Arabische Staaten drohten mit dem Einmarsch.

Diplomatisch versuchten vor allem die Amerikaner, den Beschluss rückgängig zu machen. Sie wollten ein „Vormundschafts-Regime“ einrichten. Die jüdische militärische Schwäche von Dezember 1947 bis März 1948 bestärkte den amerikanischen Widerstand gegen den Teilungsbeschluss der UNO. US Aussenminister George Marshall forderte einen Waffenstillstand und war zu allem bereit, um die Ausrufung eines jüdischen Staates zu verhindern. Die USA befürchteten, dass die Errichtung eines jüdischen Staates gegen den Willen der Araber, den Einfluss der Sowjetunion im Nahen Osten stärken könnte. In Washington hiess es: „Wir werden den Juden nicht erlauben, mit unserem Geld einen Krieg zu führen, den wir nicht wollen.“ (Im Buch gibt es Keine Quelle für dieses kuriose Zitat, da die Amerikaner nicht zahlten und die Juden mit sowjetischen Waffen kämpften, die über die Tschechei geschmuggelt wurden.)

Die Briten sollten für Ordnung sorgen, gerieten aber zwischen die Fronten, weil Juden und Araber sie beschuldigten, die jeweils andere Seite zu unterstützen.

Die jüdische Führung stand nach dem 29. Nov. 1947 vor dem Dilemma, die eigene Zukunft zu ergreifen und zu handeln, oder aber auf weitere UNO-Beschlüsse zu warten.

Am 12. April 1948 beriet der zionistische Ausführungsrat über die künftige Regierungsform. Die Einrichtung eines Volksrates wurde beschlossen, ein gesetzgebendes Parlament mit 37 Mitgliedern zu errichten. Sie sollten alle existierenden Parteien repräsentieren und aus ihrer Mitte die Regierung wählen. 13 Mitglieder wurden in eine „Volksführung“ gewählt, darunter Ben Gurion und Mosche Scharet.

Das war die vorläufige Regierung, die weitreichende Beschlüsse zum Charakter des künftigen Staates fasste. Die Revisionisten und die Kommunisten waren nicht vertreten.

Scharet kam gerade aus den USA zurück und brachte schlechte Nachrichten von US-Präsident Truman. Scharet berichtete Ben Gurion und der bat ihn, das nicht den anderen „Regierungs“-Teilnehmern zu erzählen, um den Widerstand gegen die Errichtung eines Staates nicht noch zu stärken.

Die schicksalshafte Entscheidung lag dem Volksrat am 12. Mai 1948 vor. Die Ausrufung eines Staates war längst keine Selbstverständlichkeit mehr und es gab viele Einwände. Aber Ben Gurion wollte nicht abwarten und auferlegte den Mitgliedern des Rates die historische Entscheidung.

Die Sitzung fand in Tel Aviv statt: die wichtigste Entscheidung des jüdischen Volkes seit 2000 Jahren. Aber nur 10 „Minister“ waren anwesend. Einige konnten das belagerte Jerusalem nicht verlassen. Jitzhak-Meir Levin war in den USA. Man beriet 12 Stunden lang. Zwischendurch verliess Ben Gurion die Sitzung, um sich mit seinen Militärchefs zu treffen. Schlechte Nachrichten kamen vor allem aus Gusch Etzion im Kampf gegen die jordanische Legion. Die als Araberin verkleidete Golda Meir hatte König Abdulla von Jordanien auf der Allenby Brücke getroffen. Der hatte ihr erklärt, nicht anders zu können, als sich dem Krieg (gegen Israel) anzuschliessen. Andernfalls würde er ermordet werden (was 1951 tatsächlich in der El Aksa Moschee in Jerusalem geschah). Selbst der gemässigte aller Araber würde sich dem Krieg anschliessen. Allen war klar, was nach der Ausrufung eines Staates passieren würde.

Die arabischen Führer hatten neben innerarabischen Zwisten vor allem die Absicht, die Errichtung einer jüdischen „Einheit“ schon im Keim zu ersticken.

Probleme gab es auch im jüdischen Lager. Hagana-Stabchef Israel Galili und Generalstabchef Jigael Jadin wurden gefragt, welche Chance die Juden im Falle eines Krieges der arabischen Staaten hätten. Ihre Antwort: „Fifty, Fifty“. Es gab auch Probleme mit Quantität und Qualität der Waffen. Viele junge Juden liessen sich nicht rekrutieren. Fraglich war auch das Verhalten der bewaffneten jüdischen Untergrund-Organisationen Lechi und Etzel. Sie handelten gegen den Willen der Hagana (die offizielle Armee) und drohten mit einem Aufstand gegen den Volksrat. Auf Grund der Zusammenarbeit der Hagana mit der britischen Mandatsverwaltung wurde der Volksrat von den Untergrundorganisationen „Rat der Verräter“ und „Judenrat“ genannt. 

Viele offene Fragen

Bis heute ist umstritten, was während der historischen Sitzung passierte, worüber sie abgestimmt haben und wer wie gestimmt hat.

Heute heisst es: Sechs stimmten für die Errichtung des Staates, 4 dagegen. Diskutiert wurde auch, ob die Grenzen des Staates erwähnt werden sollten: 4 waren dafür, 5 dagegen. So wurde ein Staat ohne Grenzen ausgerufen.

Manche Forscher behaupten, dass es gar nicht um die Frage der Gründung Israels ging, sondern um den amerikanischen Vorschlag eines Waffenstillstands. Am 13. Mai 1948 traf sich erneut der Volksrat und stimmte einstimmig für die Errichtung eines Staates. Ben Gurion war es gelungen, sich durchzusetzen. Am Abend schrieb Ben Gurion in sein Tagebuch: „Das Schicksal (des Staates) liegt in den Händen der Streitkräfte.“

Die Folgen

Es ist schwer, sich vorzustellen, was passiert wäre, wenn die Gegner die Oberhand gewonnen hätten. Sechs Männer haben den historischen Beschluss gefasst. Ben Gurion infizierte alle mit seinem Spruch „Jetzt oder nie“.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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1 Kommentar

  1. Ja, warum im Buch nicht den Gründungsprozess Israels beschreiben. Nur haben die Autoren vergessen, erst einmal die rechtliche Ausgangslage, d.h. die Grundlagen aufzuzeigen, auf denen der Staat Israel basiert. Denn wenn das Buch unter „Hintergrund“ all das salopp und in wenigen Worten abhandeln will, so fehlt der Leserschaft schliesslich das Basiswissen als Voraussetzung für das, was 1948 geschah. .

    Was war der Hintergrund? 1917 erfolgte die Balfour Erklärung, die 1920 in San Remo vom Obersten Rat der Alliierten Mächte international verbindlich erklärt wurde. 1922 folgte das Völkerbundmandat, das die Briten mit der Schaffung der Nationalen Heimstätte für das Jüdische Volk in Palästina (zwischen Jordan und Mittelmeer) beauftragte. Das sind die noch heute gültigen rechtlichen Grundlagen Israels, Informationen, die im Buch keinesfalls fehlen dürften.

    Ab 1920 bekämpften die Araber unter Amin Al-Husseini die einwandernden Juden, weil das als Dar al-Islam geltende Gebiet niemals in die Hände von Nicht-Muslimen fallen durfte/darf – auch noch heute das eigentliche Friedenshindernis. Gemäss Verwaltungsbericht von 1921 war das Palästina genannte Gebiet unentwickelt und unterbevölkert. Rund 70% waren öffentliches Land. Es hätten alle Platz gehabt. Die Autoren schreiben auch nichts von den zahlreichen
    Arabern, die ab Ende das 19. Jhd. einwanderten und die heute als angebliche Nachfahren einstiger „Palästinenser“ auftreten. Die arabische Ablehnung der Juden im Mandatsgebiet für die jüdische Heimstätte war mehr und mehr mit endlosem Terror verbunden, dem die Briten – die die arabische Seite bevorteilten und ihre Mandatspflichten massiv missachteten – nicht gewachsen waren.

    Dafür nimmt im Buch offenbar die letztlich nicht entscheidende UNO-Resolution 181 (Teilungsplan) viel Raum ein. – Sie scheiterte dann am Nein der Araber, die umgehend zu noch mehr militärischen Aktionen gegen die Juden schritten. Diese Resolution gab den Juden wohl
    moralische Unterstützung, doch dies in einer Sache, deren rechtliche Grundlage
    seit 1920 bestand. Der (gescheiterte) Teilungsplan bildet nicht die Grundlage
    für die Gründung des Staates Israel. Wie Professor Elihu Lauterpacht, ehemals
    Richter am Internationalen Gerichtshof schrieb: “The coming into existence of
    Israel does not depend legally upon the Resolution.” Sicher herrschte damals ein
    beachtliches Wirrwar und den Juden fiel die Gründung nicht einfach in den
    Schoss. Doch waren Hintergrund und Aufgabe des Mandats gemäss Art. 22 der
    Satzung des Völkerbundes eigentlich klar: Unter einem Mandat sollte eine Volksgruppe soweit
    unterstützt und regiert werden, bis sie einen eigenen Staat bilden kann.
    Bezüglich der Juden hiess das, dass das Mandat schlussendlich durch einen Staat
    abgelöst wird.

    Der jordanische König Abdulla habe nicht anders können, als sich dem Krieg gegen Israel anzuschliessen…?. Er hat sich ihm aber sehr gründlich „angeschlossen“ und dabei Judäa/Samaria (Westjordanland) sowie Ostjerusalem besetzt (bis 1967). Seine Zerstörungen in Ostjerusalem sprechen nicht für Zurückhaltung. Die Hälfte seiner bestens gerüsteten und von britischen Offizieren geführten arabischen Legion stand übrigens bereits Monate vor der Staatsgründung Israels auf Mandatsgebiet, nicht in Jordanien.

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