Wer sagte was? Ein Blick hinter die Kulissen des israelischen Sicherheitskabinetts im Juni 1967 – Teil 3

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Nach der Vereinigung Jerusalems tanzen junge Israelis am 2. Juli 1967 auf dem Platz vor der Westmauer in der Altstadt Hora. Foto GPO
Nach der Vereinigung Jerusalems tanzen junge Israelis am 2. Juli 1967 auf dem Platz vor der Westmauer in der Altstadt Hora. Foto GPO
Lesezeit: 19 Minuten

„Ist die Vergangenheit ein fremdes Land? Ist die Vergangenheit überhaupt Vergangenheit?“

Ein kürzlich veröffentlichtes Transkript der Protokolle des israelischen Sicherheitskabinetts erzählt über die spannungsgeladenen Sitzungen vor und während des Sechstagekrieges. Der Staatsarchivar Dr.Yaacov Lozowick hat die Protokolle analysiert. Der Erste Teil erschien am 26. Mai 2017, der zweite Teil am 01. Juni 2017.

von Yaacov Lozowick

Als die Gewehre am Abend des 10. Juni 1967 schwiegen, hatten sich der Nahe Osten und Israel für immer verändert. Die Diskussionen, die die Minister des israelischen Kabinetts am 14. Juni anfingen, formten das Rätsel, in welchem wir heute leben – somit lautet die Antwort: Nein, die Vergangenheit ist nicht Vergangenheit. Doch die vielleicht tiefgreifendste Sache, die die Vergangenheit so fremd macht, ist der Unterschied im Denken der Menschen: die fremdartigen Vorstellungen, die sie für selbstverständlich hielten und die selbstverständlichen Gedanken, die ihnen nie kamen. Die gut 20 Stunden Diskussionen, die in der Woche nach dem Sechs-Tage-Krieg geführt wurden, zeigen, dass die Minister, so nahe sie auch an der Gegenwart sind, doch in einer Vergangenheit gelebt hatten, die für uns verblüffend fremd ist.

Sie standen auf halbem Wege zwischen uns und dem Ersten Weltkrieg. Mit Ausnahme von Yigal Allon konnten sie sich alle an ihn erinnern und hatten miterlebt, wie die Landkarten in der Folge des Krieges systematisch neu gezeichnet wurden. Der Zweite Weltkrieg und die Shoah waren für sie in so frischer Erinnerung wie für uns die Regierung Clinton, und Israels Unabhängigkeitskrieg lag für sie so weit zurück wie für uns der Lewinsky-Skandal und der Film “Titanic”. Die Vereinigten Staaten hatten sie 1956 aus dem Sinai vertrieben: Das war wie die Erfindung des iPhones für uns. Der Beweis der völligen Nutzlosigkeit der Garantien, die Israel im Austausch für seinen Rückzug erhalten hatte, war so frisch in ihrer Erinnerung wie der Rauswurf von FBI-Chef James Comey uns. Als Menachem Begin seinen Widerstand gegen eine Rückgabe der West Bank an Jordanien begründete, indem er die polnische Annexion Ostdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg anführte, lag Westdeutschlands Anerkennung dieser Veränderung noch drei Jahre in der Zukunft (1970).

Hört man sich die Aufnahmen der Beratungen an, spürt man einen starken Hauch des Fremdartigen, was nicht nur daran liegt, dass das Hebräisch der Kabinettsmitglieder überraschend archaisch klingt. Sie bringen Argumente vor, die manchmal plausibel klingen, dann aber in die seltsamsten Richtungen abdrehen. Du hörst ihren Diskussionen zu und fragst dich, ob du deinen Reisepass dabei hast, obwohl sie doch von dem Land reden, das direkt vor deinem Fenster liegt.

***

Die Diskussionen fanden zwischen dem 14. und dem 19. Juni statt, in fünf verschiedenen Sitzungen: erst im Sicherheitskabinett (SK), dann in einem Unterausschuss, dann wieder im SK, dann in einem anderen Unterausschuss und schliesslich in einer langen Sitzung des vollständigen Kabinetts am 19. Juni.

Das Transkript der Sitzung vom 19. Juni wurde schon vor Jahren von der Geheimhaltung befreit; die Tatsache hingegen, dass es vor der Sitzung vom 19. Juni schon eine ganze Reihe von Sitzungen gegeben hatte, war bislang unbekannt.

Ersatzwohnungen für die Araber

Das Thema des ersten Treffens am 14. Juni war Israels internationale Position, nicht die Zukunft der Gebiete; darüber sollte erst am 15. gesprochen werden. Im grossen und ganzen gelang es den Ministern – wenn auch nur unter Anstrengung –, sich an die Tagesordnung zu halten. Doch Jerusalem kam immer wieder hoch, so, als könnten die Minister ihre Hände nicht von einem lange ersehnten Pokal lassen. Doch was sollte mit den Arabern geschehen, die seit 1948 ins Jüdische Viertel gezogen waren? Alle waren sich einig, dass sie gehen müssten. Der einfachste Plan war, dass Israel die Dutzenden von ursprünglichen Synagogen reinigen und wiederherstellen sollte. Da in einigen von ihnen nun Araber wohnten, sollten diese irgendwie von dort weggebracht werden. Yigal Allon schlug vor, sie auf eine “intelligente Art” wegzubringen – worauf Levi Eschkol mit einer seiner typischen Spitzen entgegnete: “Intelligent mit Bulldozern”. Zudem, fuhr Allon fort, müssen wir die leeren Gebiete um die Altstadt herum mit neuen jüdischen Vierteln füllen. Moshe Haim Shapira, sonst einer seiner Hauptwidersacher, stimmte weitgehend zu:

Was Juden aus der Altstadt betrifft: Es fällt mir schwer, dies zu sagen; ihr wisst, dass ich dagegen bin, irgendjemanden aus seiner Wohnung zu zwingen. Aber dieser Fall liegt anders. Dies sind jüdische Wohnungen und jüdisches Land, das den Juden gehört, die 1948 vertrieben wurden, und jetzt leben die Araber dort. Ich denke nicht, dass wir sie ausweisen sollten, doch im Lauf der Zeit sollten wir ihnen klar machen, dass wir wiederaufbauen werden; es wird eine Menge Bauarbeiten um die Synagogen herum geben, und es wäre für sie besser, wegzuziehen. Wir müssen für sie andere Wohnungen finden und sie von einem Ort zum anderen bringen. Vielleicht nicht alle auf einmal.

Am Ende der Sitzung wurde beschlossen, Jerusalem wiederzuvereinigen und einen Plan für die Umsiedlung der Araber im Jüdischen Viertel in Ersatzwohnungen innerhalb Jerusalems oder in seiner Nähe vorzubereiten. Noch bevor die Diskussionen über die Gebiete begannen, war die Zukunft Jerusalems beschlossen. Später in jener Woche bat Eschkol Menachem Begin, aus einem Unterausschuss zu berichten, der das Gesetz zur Annexion Jerusalems vorbereitete:

Begin: Wir haben jemanden einen ersten Stadtplan der vereinigten Stadt zeichnen lassen. Es ist ein so schöner Stadtplan! Die Altstadt ist genau in der Mitte!

Pinchas Sapir: Sie ist das Zentrum der Welt.

Eschkol: Der Nabel der Erde.

Um 10 Uhr am 15. Juni trat ein Unterausschuss von fünf Ministern zusammen, um den Entwurf für ein Richtlinienpapier zu erstellen. Eschkol, der nie gut darin war, Sitzungen zu dominieren und zu kontrollieren, unternahm einen aussichtslosen Versuch, die Sache kurz zu machen:

Wir wollen pragmatisch sein und Ergebnisse erzielen. Ich würde gern mit einer Diskussion über den Golan anfangen.

Allon: Ich denke, jeder von uns sollte seine Anschauungen in zehn Minuten vortragen. Vielleicht fangen Eban oder Dayan an.

Eschkol: Das ist Zeitverschwendung, weil jedes Gebiet eine andere Art von Problemen aufwirft. Lasst uns mit dem Golan beginnen, weil wir auf die Syrer besonders wütend sind. Wir werden das Gebiet nicht besiedeln, also lasst uns zu [Präsident Lyndon] Johnson sagen: “Schau, wir wollen permanenten Frieden, keine Bedrohung unserer Wasserresourcen, und eine 20 bis 25 Kilometer breite demilitarisierte Zone.”

An diesem Punkt fing Abba Eban an, die amerikanische und die sowjetische Position zu beschreiben. Eschkol versuchte es noch einmal:

Wir müssen uns kurz halten, wenn wir bis zum Abend ein Dokument für das Sicherheitskabinett entwerfen und dann vielleicht zum vollständigen Kabinett gehen wollen. Doch ich verstehe, dass jeder von euch seine Position darlegen will. So sei es also.

Menachem Begin der “Hardliner”

Begin fing an, und seine Position zum Sinai und dem Golan ist überraschend: Er war dafür, diese in ihrer Gesamtheit, gegen Frieden zu tauschen. Begin war 1967 der einzige Minister, der später Ministerpräsident werden sollte. Als er 1977 gewählt wurde, dachten die Israelis und die Welt, er wäre ein Hardliner (und in vielerlei Hinsicht war er das); als er 1978 den gesamten Sinai für Frieden mit Ägypten eintauschte, waren viele von uns verblüfft. Hätten wir diese streng geheimen Transkripte lessen können, hätten wir gewusst, dass dies von Tag 1 an seine Haltung gewesen war. Die meisten der Minister stimmten zu. Der Löwenanteil der Diskussion konzentrierte sich auf den Punkt, wo es Meinungsverschiedenheiten gab: Was tun mit Gaza, der Westbank und den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die 1948 entwurzelt worden waren und seither in Lagern lebten, vor allem in Gaza? Begin sprach gut zehn Minuten über die Zukunft des “westlichen Landes von Israel” (die östliche Hälfte war das Königreich Jordanien, das 1923 vom Mandatsgebiet Palästina abgetrennt worden war):

Ich werde den lateinischen Ausdruck „patria res sacra extra commercium“ benutzen (“das Vaterland ist jenseits des Handels”, d.h. es ist nichts, was man eintauschen kann). Ich sehe eine Gefahr, wenn wir nur über Jerusalem reden; das Ja wird das Nein andeuten. Ich finde, wir haben ein starkes moralisches Argument. Jordanien hat uns angegriffen, zuerst, indem es sein Militär unter ägyptisches Kommando gestellt hat, und dann, indem es uns bombardiert hat, selbst nachdem wir es zweimal dazu aufgerufen hatten, damit aufzuhören. Die Handlungen des Aggressors sind wichtig, um Selbstverteidigung zu definieren. Wer ist König Hussein, dass er das Gebiet für sich beanspruchen kann? Jordanien hat es 1949 unrechtmässig annektiert, nach einem Angriffskrieg. Und was würden wir aufgeben? Nicht Jerusalem, und nicht Hebron oder Bethlehem; was also bleibt, ist das Dreieck [ein in Vergessenheit geratener Begriff für die West Bank], und das ist das Gebiet, von wo aus die jordanische Artillerie Tel Aviv bombardiert hat. Das gleiche gilt für Gaza: Ägypten hat keinen rechtsgültigen Anspruch darauf. Wenn wir irgendeine Bereitschaft zeigen, das, was das Mandatsgebiet Palästina war, zu teilen, dann werden wir mit Forderungen konfrontiert werden, einem palästinensischen Staat zuzustimmen, und dann werden sie Lydda, Ramla und Jaffa fordern. Wir müssen erklären, dass unsere Position auf right is might gründet, während die der Araber might is right ist [Englisch im Original], und die Welt wird uns verstehen.

Was sollten wir tun? Die Bevölkerung kann nicht als ganze die israelische Staatsbürgerschaft erhalten. Selbst in Amerika dauert es fünf Jahre, die Staatsbürgerschaft zu bekommen, und den Arabern in der West Bank wurde 19 Jahre lang beigebracht, uns zu hassen. Wir werden ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung für sieben Jahre geben, dann werden sie an den nächsten drei Wahlen nicht teilnehmen; unterdessen werden wir mehr jüdische Einwanderer ins Land holen und unsere Geburtenrate steigern. Nach sieben Jahren werden wir fragen, wer die israelische Staatsbürgerschaft will und wer vielleicht woanders hinziehen will. Selbst wenn die meisten von ihnen Bürger sein wollen, können wir mit einer arabischen Minderheit leben, so, wie wir das bislang auch getan haben. Wir müssen zudem eine Art Wirtschaftsunion mit Jordanien entwickeln. Wir haben viel zu bieten, und vielleicht gelingt es uns, eine boomende Wirtschaft zu schaffen, die beiden Seiten dient. Was die Flüchtlinge in Gaza betrifft, so müssen wir sie verlegen; vielleicht können wir sie um El-Arisch [im Nordsinai] herum ansiedeln, so, wie es der zionistischen Bewegung [zu Beginn des 20. Jahrhunderts] vorgeschlagen worden war.

Rabbi Shlomo Goren umgeben von IDF-Soldaten vor dem Kotel. Foto: Eli Landau
Rabbi Shlomo Goren umgeben von IDF-Soldaten vor dem Kotel. Foto: Eli Landau

Zusammenarbeit mit den Arabern

Ein gigantisches humanitäres Projekt starten

Allon, ebenfalls ein Falke, sah die Dinge aus der 1948er-Perspektive, als er als junger General erlebt hatte, dass die Resultate eines Krieges international anerkannt wurden:

Die Gebiete, die Teil des Landes Israel sind, werden von vielen Arabern bewohnt, während die Gebiete, die wir von Ägypten und Syrien erobert haben, zum grössten Teil unbewohnt sind. Es wäre viel einfacher, wenn es andersherum gewesen wäre.

Die Haschemiten sind kein stabiles Regime, und wir sollten nicht erwägen, die Kontrolle irgendeines Teils des Landes Israel an jemand anderen zu übergeben als an die örtlichen Araber.

Das Erste, was wir machen sollten, ist, ein gigantisches humanitäres Projekt zu starten, um die Flüchtlinge aus Gaza sesshaft zu machen, von denen es wahrscheinlich etwa 350.000 gibt, von denen niemand Bürgerrechte besitzt. Lasst uns alle unsere Anstrengungen darauf richten, Wohnungen für zunächst 50.000 von ihnen zu bauen, vielleicht im Nordsinai. Das wird die Dynamik der Situation verändern.

Wir sollten die Region im Süden von Jerusalem sofort annektieren, aus Sicherheitsgründen und aus politischen. Dieses Gebiet muss Teil von Israel sein. Was die Araber im Dreieck betrifft: Ich glaube, es sind etwa 800.000. Ich schlage nicht vor, dass wir dort einen souveränen palästinensischen Staat schaffen, doch ich denke, dass wir, sobald wir einige kleinere Veränderungen der Grenze vorgenommen haben, dort eine arabische Autonomie einführen sollten, die mit Israel für 50 bis 99 Jahre verbunden bleibt. Ich würde sie durch die Annexion des Jordantals von Jordanien trennen; dort gibt es kaum Araber und wir können dort Siedlungen hinsetzen. Wir werden ihnen freien Zugang zum Hafen Haifa geben. Wer weiss, vielleicht wandern einige von ihnen zum Golf oder nach Europa aus.

Moshe Dayan stimmte mit Allon und Begin darin überein, dass der Jordan Israels östliche Grenze sein müsse, hatte aber einen anderen Vorschlag im Hinblick auf die arabische Bevölkerung:

Wir sollten unverzüglich versuchen, örtliche Araber in der West Bank zu finden, mit denen wir zusammenarbeiten können. Lasst uns einen Rat ihrer Vertreter einrichten, der mit uns arbeiten wird. Es wird dort Bürgermeister geben, eine Verwaltung, den Rat, und dann werden sie mit dem Militärgouverneur zusammenarbeiten, und wir werden sehen, was passiert. Wir stellen Dienstleistungen zur Verfügung, und wir können hoffen, dass sie zustimmen werden, mit uns für eine Weile zu kooperieren. Was die Umsiedlung von 50.000 Arabern aus Gaza betrifft – das wird Jahre dauern. Ich denke nicht, dass wir schon so weit planen sollten; schliesslich haben sie gerade einen Krieg so böse verloren.

Eban war damit einverstanden, mit Ägypten und Syrien im Tausch gegen den Sinai und den Golan Frieden zu schliessen. Er gab zu, dass er im Hinblick auf die West Bank und Gaza kein klares Ziel sehe und sinnierte:

Wir sehen das Beispiel von Rhodesien, wo einige Bürger wählen und andere nicht.  Mir scheint die vielleicht beste Idee die zu sein, eine Einheit zu errichten, wo der Bevölkerung gestattet ist, zu wählen und ihre eigene Selbstverwaltung aufzubauen. Das Problem ist, dass sie sich wahrscheinlich irgendeinem arabischen Land werden anschliessen wollen, Jordanien oder vielleicht dem Irak…

Yaacov Herzog: Oder vielleicht Israel?

Eban: Das wäre grossartig! In der Zwischenzeit schlage ich vor, dass wir eine Interimsregelung treffen, die ihnen Autonomie gibt, während wir für die Sicherheit verantwortlich sind. Vielleicht werden sie bei der UNO eine Stimme haben – wir werden sehen müssen, wie sich die Dinge entwickeln. Wer weiss, vielleicht wird Hussein willens sein, mit uns zu verhandeln, selbst wenn er weiss, dass wir Jerusalem nicht aufgeben werden. Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln.

Ein israelischer Fallschirmjäger, der an den Kämpfen rund um die Altstadt von Jerusalem teilnahm, feiert seine Hochzeit vor der Westmauer am 09. Juni 1967. Foto Haron Zuckerman / GPO
Ein israelischer Fallschirmjäger, der an den Kämpfen rund um die Altstadt von Jerusalem teilnahm, feiert seine Hochzeit vor der Westmauer am 09. Juni 1967. Foto Haron Zuckerman / GPO

Was man in der Wirklichkeit erreichen kann

Eschkol versuchte ein Fazit zu ziehen: Ich glaube, wir spielen die meiste Zeit Schach mit uns selbst. Nicht, dass er selbst eine klare Position gehabt hätte. Als das Sicherheitskabinett fünf Stunden später wieder für eine fünfstündige Sitzung zusammentrat, begann Eschkol, indem er die Zusammenfassung der Morgensitzung vorlas. Gleich zu Anfang scherzte er: “Dies ist zum grössten Teil Fiktion [weil es nur ein Selbstgespräch ist]. Doch das Wichtige ist, dass wir nach Frieden streben; wir sind in den Krieg gezogen, um Friedensverträge zu erreichen.” Er scheint die ganze Serie von Sitzungen vor allem als eine notwendige Übung in Selbsttäuschung angesehen zu haben, die es Abba Eban ermöglichen würde, den Amerikanern zu sagen: Sollten sie die Araber an den Verhandlungstisch bekommen, würde Israel verhandeln. Auf diese Weise hatten Israels Führer seit Jahrzehnten operiert: Es sind nicht die Proklamationen, die wichtig sind, sondern das, was man in der Wirklichkeit erreichen kann.

In den folgenden drei Sitzungen sprachen die Minister.

Pinchas Sapir, Finanzminister:

Wenn wir eine Million arabische Bürger hinzubekommen, wird das explosiv, es wird die politische Landkarte verändern. Auch können wir nicht mit zwei verschiedenen Bevölkerungen leben, Juden mit hohem Lebensstandard und Araber mit einem niedrigen. … Es ist möglich, einen Krieg zu gewinnen und dann in einem permanenten Konflikt zu bleiben, der schlimmer ist als Krieg.

Ich bin nicht dagegen, die Flüchtlinge im Irak und in Syrien anzusiedeln. Ich denke, es ist natürlich, dass einige von ihnen sich dort niederlassen sollten, solange es nicht direkt an unserer Grenze ist. Wir können von ihnen nicht erwarten, nach Ägypten zu ziehen, wo die Bevölkerungszahl bereits explodiert. Irgendjemand erwähnte Australien oder Kanada. … Kurz vor dem Krieg gab es jede Menge internationale Befürchtungen. Manche fürchteten, die Juden würden wieder abgeschlachtet werden, doch viele hatten Angst vor einem Weltkrieg. Sie sehen diese Region als einen Ort, der einen Weltkrieg entzünden könnte. … Vielleicht sollte die Welt dieses Problem lösen.

Eschkol: Die Welt löst keine Probleme.

Sapir: Aber die Welt fürchtet sich vor einem dritten Weltkrieg. … Ich schätze, die Sache ist kompliziert.

Josef Burg war ein junger Minister und sollte noch für die nächsten dreissig Jahre Teil der israelischen Politik bleiben, davon viele als Führer der Nationalreligiösen Partei, die immer weiter nach rechts rücken und zur wichtigsten Heimt der Siedlerbewegung werden sollte. 1967 klang er nicht wie ein Siedler:

Ich denke, die Idee, die Westbank zu teilen, löst kein einziges Problem. Ich finde, wir müssen schauen, ob es eine Art örtliche Führung gibt, mit der wir auf der Basis einer Form von Selbstverwaltung zusammenarbeiten können. Ich weiss nicht, ob das funktionieren wird, sehe aber keine bessere Alternative. Ich sehe keinen ernsthaften Partner für Friedensgespräche. Vielleicht können wir die Iraner fragen, ob sie jemanden finden können, mit dem wir reden können – wenn nicht, ist all dies nur ein Gespräch mit uns selbst.

Der Führer seiner Partei, Moshe Haim Shapira, distanzierte sich sowohl von Begins Wunsch, die West Bank auf irgendeine Art zu kontrollieren, als auch von Allons Plan, sie zu teilen:

„Wir können 300.000 Araber integrieren“

Wir müssen unseren Freunden und unseren Feinden sagen, dass wir nach dauerhaftem Frieden streben, und wir werden keine Angriffe und Versuche des Eindringens zulassen. Wir streben nach Frieden, wollen aber sicher sein, dass wir nicht täglich bombardiert werden, und das bedeutet, dass der Sinai und der Golan demilitarisiert werden müssen. Das kann einige Änderungen an den Grenzen erfordern – darüber werden wir verhandeln, wenn die Zeit kommt.

Wir sollten versuchen, die arabische Front zu splitten, und die beste Art, dies zu tun, ist, ein Abkommen mit Hussein zu erreichen.

Die UNO diskutiert über Flüchtlinge. Wir müssen sagen, dass wir dieses Problem lösen wollen, und dazu müssen die arabischen Staaten, wir und der Rest der Welt alle an der Lösung mitwirken. Ich weiss, dass ich eine Minderheitsmeinung vertrete, wenn ich sage: Wir können 300.000 Araber integrieren – 100.000 in Jerusalem, die ursprüngliche Bevölkerung von 100.000 in Gaza und 100.000 der Flüchtlinge in Gaza. Wir haben bereits 250.000 arabische Bürger, dann werden wir also 550.000 haben. Über unsere östliche Grenze werden wir auf der Grundlage unserer Verhandlungen mit Hussein entscheiden; besser so, als wenn wir selbst entscheiden müssten, dass der Jordan die Grenze zu sein hat.

Zeev Shaerf stimmte zu, dass es keinen Sinn habe, auf dem Jordan zu beharren, und brachte zwei neue Argumente vor:

In der gesamten Geschichte des Landes Israel war der Jordan für 25 Jahre die Grenze, von 1923 bis 1948. Während der biblischen Epoche gab es Juden auf beiden Seiten des Flusses. Was die Sicherheitserwägungen betrifft, sind sie nicht eindeutig. Die Armee braucht den Fluss als Grenze nicht, und da es terroristische Aktivitäten geben wird, wird er nichts nützen. Solange wir über die feindliche Bevölkerung in der West Bank herrschen, werden die Terroristen unter ihr Basen finden, und die Aussengrenze wird keinen Unterschied machen.

Mein letzter Kommentar betrifft die heiligen Stätten. Wir müssen sehr vorsichtig sein, mit dem, was wir sagen. Wir haben die arabischen Muslime geschlagen, aber wir haben nicht die Christen geschlagen. Wir werden mit der christlichen Welt harte Diskussionen haben. Die christliche Welt dazu zu bringen, jüdische Kontrolle über ihre heiligen Stätten zu akzeptieren – so stark sind wir nicht. Wir werden uns darauf verständigen müssen, dass wir ein gewisses Mass an Kontrolle über die christlichen Stätten werden abgeben müssen. Wenn wir unverantwortliche Proklamationen machen, werden wir uns mit Forderungen konfrontiert sehen, Jerusalem zu internationalisieren, wie 1947.

Man stelle sich das Konzept einer politischen christlichen Welt vor! Gewiss, diese hatte über tausend Jahre lang existiert, doch irgendwo zwischen 1967 und 2017 ist sie von unserer Welt in jenes fremde Land gewandert.

Zalman Aran war einer der letzten Redner:

Ich zögere zu sprechen, weil meine Positionen so anders sind. Die Leute scheinen anzunehmen, wir hätten Zeit, abzuwarten und zuzusehen. Dem stimme ich nicht zu. Die haben wir nicht. Es gibt die Annahme, dass wir die Lage kontrollieren und wie sie sich entfaltet. Ich wünschte, das wäre wahr, doch das ist es nicht. Die dritte Annahme, die ich nicht akzeptiere, ist, dass wir Gebiete brauchen, in denen es keine Juden gibt, dafür aber Araber. Was wir brauchen, ist Frieden, der unsere Sicherheit garantiert – und den garantiert uns kein Stück Papier, von dem wir wissen, dass es wertlos sein wird. Wie also gewährleisten wir Sicherheit? Frieden mit Ägypten und Syrien ist wichtig. Gaza bleibt in Israel. In der West Bank müssen wir an Gebieten festhalten, von denen die Experten uns sagen, dass sie wesentlich für unsere Sicherheit sind, aber an sonst nichts. Das Flüchtlingsproblem zu lösen, ist, denke ich, wichtig für unsere Sicherheit. Vielleicht können wir es zum Teil lösen, indem wir sie in der West Bank ansiedeln.

Schliesslich war da noch Justizminister Yaacov Shimshon Shapira (nicht zu verwechseln mit Moshe Haim Shapira):

Was bedeutet das, dass die West Bank eine Selbstverwaltung haben wird, bei der die Sicherheits- und aussenpolitischen Belange von Israel kontrolliert werden, die Bevölkerung aber keine israelischen Bürger sein werden? Die Welt durchläuft die Dekolonialisierung, und wir werden unfairerweise angeklagt, kolonialistisch zu sein, und wir erwägen, Territorien zu regieren, die vor allem von Arabern bewohnt sind, während wir die Sicherheits- und aussenpolitischen Belange in unserer Hand belassen, wie die Scheichs vom Persischen Golf. Wer wird das akzeptieren? Wen werden wir überzeugen? Alle werden sagen, wir würden in der West Bank eine Kolonie errichten.

Entweder, oder. Entweder wir nehmen das Risiko auf uns, dass sie Bürger Israels werden, was das Ergebnis sein wird, wenn wir die West Bank kontrollieren; oder wir akzeptieren Begins Ideen: Bald werden wir einen binationalen Staat haben, und nach einer Weile werden wir eine Minderheit sein. Oder man akzeptiert, dass der grösste Teil der West Bank, mit Ausnahme von Jerusalem und einigen kleinen Grenzkorrekturen, Teil eines arabischen Landes wird. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Später in der Sitzung kam Eschkol wieder auf Yaacov Shimshon Shapiras Position zurück:

Was die Flüchtlinge betrifft, kann es nicht sein, dass wir keine Haltung dazu haben können. Wir müssen sagen, dass Israel das Problem nicht allein lösen wird. Es hat einen Krieg gegeben, und nun wünschen wir von Angesicht zu Angesicht an einem grossen Tisch zu sitzen und das Problem zu lösen. Und dann können wir nichts zu den Flüchtlingen sagen?

Y.S. Shapira: Sie sind nun in deinem Land. Du bist für sie verantwortlich.

Eschkol: Ich begreife nicht die Wut, die es gab, als ich kürzlich etwas über den Austausch von Bevölkerungen gesagt habe … Wenn Koexistenz unmöglich ist und Gemeinschaften nicht zusammenleben können, dann wird es Bevölkerungstausche geben. Wir haben vom Irak 100.000 Juden genommen, sie sollten 100.000 Araber nehmen. Es ist dieselbe Sprache, dort gibt es Wasser und jede Menge Land. Vielleicht werden sie nicht zustimmen, doch es scheint gewiss offensichtlich legitim.

Y.S.Shapira: Nein.

Eschkol: Warum nicht?

Y.S.Shapira: Weil sie hier die eingeborene Bevölkerung sind und du sie kontrollierst. Es gibt keinen Grund, warum Araber, die hier geboren wurden, in den Irak ziehen sollten.

***

Die Vergangenheit ist ein fremdes Land

Etwas Seltsames ereignete sich im Sommer 1967. So, wie Israels Kabinettsminister niemals den Sieg hatten kommen sehen, so sahen sie auch niemals die Jahrzehnte vorher, in denen wir seither leben. Als sie zu ihrer ersten Nachkriegssitzung zusammenkamen, kam es ihnen nie in den Sinn, dass sie ein Rätsel formten, das für Generationen ungelöst bleiben sollte. Die Diskussion, die sie zu führen wähnten, war dringend und unmittelbar: Die UNO war im Begriff, das Ergebnis des Sechs-Tage-Kriegs zu debattieren, und Israels Aussenminister brauchte Anweisungen. Doch dann stellte sich, verblüffenderweise, heraus, dass nicht nur Israel verstanden hatte, dass die diktierten Bedingungen von 1956 gescheitert waren. Israel hatte sich aus dem Sinai zurückgezogen im Tausch für weniger als Frieden und internationale Verpflichtungen. Die Abmachungen waren gescheitert und niemand wollte seine Versprechen einlösen. Die Länder, die im Mai nicht willens gewesen waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen, wollten im Juli keine neuen eingehen, darum zwangen sie Israel nicht aus den Gebieten, wie die Israelis erwartet hatten, dass sie es tun würden. Dann kam die zügige arabische Ablehnung der Friedensangebote. Unerwarteterweise entwickelten sich die vorübergehenden Einrichtungen, in die man im Sommer 1967 gestolpert war, zu langfristigen Bedingungen.

Die politische christliche Welt verschwand. Die Araber der West Bank wurden zu Palästinensern. Israel und Ägypten schmiedeten einen kümmerlichen, aber beständigen  Frieden. Syrien hörte auf zu existieren, während die Haschemiten immer noch auf ihrem Thron sitzen. Die Palästinenser erreichten mehr als Autonomie, aber keine Souveränität. Sie wandelten sich von einem zynisch benutzten militärischen Werkzeug arabischer Staaten in Israels aktivsten Widersacher. Ein Menschenrechtsvokabular tauchte auf. Allons Gedankenspiel begrenzter Besiedlung wurde zu einem Projekt von 400.000 Juden. Die Ideen der Vergangenheit wurden obsolet – doch die Verhältnisse, die sie unbeabsichtigt ermöglicht hatten, sind immer noch mit uns. Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, und sie ist nicht einmal Vergangenheit.

Der Historiker Dr. Yaacov Lozowick ist israelischer Staatsarchivar und war von 1993 bis 2007 Direktor des Archivs in Yad Vashem. Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache im Tablet Magazine, auf tabletmag.com publiziert. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.