Wer sagte was? Ein Blick hinter die Kulissen des israelischen Sicherheitskabinetts im Juni 1967

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Die dreizehnte israelische Regierung, unter der Leitung von Levi Eshkol, dauerte vom 12 Januar 1966 bis am 17 März 1969 und wurde nach der Gründung der sechsten Knesset vereidigt. Foto GPO Archiv
Die dreizehnte israelische Regierung, unter der Leitung von Levi Eshkol, dauerte vom 12 Januar 1966 bis am 17 März 1969 und wurde nach der Gründung der sechsten Knesset vereidigt. Foto GPO Archiv
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Ein kürzlich veröffentlichtes Transkript der Protokolle des israelischen Sicherheitskabinetts erzählt über die spannungsgeladenen Sitzungen vor und während des Sechstagekrieges. Der Staatsarchivar Dr.Yaacov Lozowick hat die Protokolle analysiert. Erster Teil (Teil 2 folgt in Kürze).

von Yaacov Lozowick

Stellen Sie sich einen Krieg vor, in dem ein Komitee die Befehle gibt. Genau das ist es, was Israel seit 70 Jahren macht. Selbst der Sechs-Tage-Krieg, der beinahe wie ein Wunder anmutet, wurde von einem Komitee geführt. Einem streng geheimen Komitee, dessen Dokumente seit 50 Jahren niemand zu Gesicht bekommen hat. Bis heute: hier sind sie.

Israel hat keinen obersten Befehlshaber. Das Militär untersteht dem Kabinett, in dem jeder Minister, der Ministerpräsident inbegriffen, eine Stimme hat. Oft setzt das Kabinett ein kleineres Komitee ein – das sogenannte Sicherheitskabinett (SK) –, an das es die Aufsicht und Befehligung des Militärs delegiert, ohne dass dies das gesamte Kabinett von seiner rechtlichen Verantwortung entbinden würde. Wenn Entscheidungen von grosser Tragweite zu treffen sind, kann der Ministerpräsident das gesamte Kabinett zum SK erklären. Dies sichert die Geheimhaltung, denn auf die Weitergabe von Informationen des SK stehen hohe Strafen. Levi Eschkol hat seine Kollegen oft daran erinnert, dass schon die blosse Tatsache, dass sie sich getroffen haben, ein Staatsgeheimnis ist.

Das Sicherheitskabinett 1967

Zwischen Januar und Juli 1967 tagte das SK in unregelmässigen Abständen 36-mal. Drei Zusammenkünfte fanden in den letzten 24 Stunden des Krieges statt, dann gab es innerhalb von zwei Tagen drei Treffen, in denen es um die Frage ging, was mit den neuen Gebieten geschehen solle. Es gab fünf Treffen im Januar, aber nur eins im März. Während das vollständige Kabinett jede Woche zusammentritt, ist das SK sporadischer Natur, was das Anschwellen und Abebben militärischer Spannungen widerspiegelt. Im Vorfeld des Sechs-Tage-Kriegs gab es von diesen eine Menge.

Das ganze Kabinett umfasste 18 Minister, davon gehörten zehn dem SK an. Kurz vor dem Krieg war eine Regierung der nationalen Einheit gebildet worden, Moshe Dayan, Menachem Begin und Yosef Sapir stiessen dazu. Es gab keine Frau, mit Ausnahme von Yael Uzai, der Kabinettsekretärin (eine hohe Zivilbeamtin), die bei allen Treffen anwesend war.

Politiker, die sie waren, tendierten die Minister zum Wortreichtum: Die 935 Seiten der Transkription geben gut hundert Stunden Gespräch wider.

***

Zwischen Januar und Mitte Mai stand Syrien im Mittelpunkt der Treffen. Vom 15. Mai bis zum 4. Juni bemühte sich das SK, die Bedeutung dessen zu begreifen, was in Ägypten vor sich ging, und eine Antwort darauf zu finden. Während der sechs Tage vom 5. bis 10. Juni versuchte es, Herr der Lage zu bleiben, mit gemischtem Erfolg. Nach dem Krieg gab es intensive Diskussionen über die erstaunliche neue Welt, die sich aufgetan hatte, und was das alles bedeutete.

Ein Komitee macht aus, dass man einen Fächer unterschiedlicher Meinungen bekommt. Davon gab es 1967 viel. Das Problem ist, dass zu viele verschiedene Meinungen es schwer machen, einen Entschluss zu fassen. Doch die Entscheidungen mussten getroffen werden – erwidert man den syrischen Artilleriebeschuss oder nicht –, darum waren die Debatten selten fruchtlos. Trotz wesentlicher Unterschiede, was die Sichtweise, die Ideologie und den Charakter betraf, hörten die Minister einander zu und verfolgten die Entwicklungen so aufgeschlossen, dass das Ergebnis einer Beratung keineswegs schon vorher feststand.

Menachem Begin mit Levi Eshkol am Sinai 1967. Foto GPO Archiv
Menachem Begin mit Levi Eshkol am Sinai 1967. Foto GPO Archiv

Die zwei Falken im Kabinett: Yisrael Galili und Yigal Allon

Es gab zwei Falken: Yisrael Galili und Yigal Allon. Der damals 56 Jahre alte Galili war wohl der mächtigste israelische Politiker, von dem man je gehört hat; doch nur wenige Israelis erinnern sich an ihn. Er war ein früherer Haganah-Führer und hatte wenig Neigung zur Zurückhaltung, als es um den syrischen Beschuss der Landwirte an der Grenze ging:

“Ich denke, nicht auf Panzerbeschuss zu reagieren, ist jenseits dessen, was wir erdulden können, vor allem, da wir das ja bereits versucht haben. Einmal haben wir nicht geantwortet, und das hat sie womöglich dazu ermuntert, es wieder zu versuchen. Wenn die Logik des Nichtreagierens wäre, dass dies zu beiderseitiger Ruhe an der Grenze führen würde, könnten wir uns viel Mühe ersparen. Leider hat sich diese Botschaft über die Jahre nicht als überzeugend erwiesen. … Ich hoffe nicht, dass es an der Nordgrenze zu irgendeiner Eskalation kommt. Doch wann immer wir in den letzten Jahren lasch waren, mussten wir später den Preis dafür in Blut zahlen. Wenn wir Feuer mit Feuer bekämpft haben, haben wir die Kontrolle über das Feld erlangt, nicht aber, wenn wir uns zurückgehalten haben .“ (3. Januar)

“Das ist elementar: Man kann nicht nicht zurückschiessen … Wenn sie beabsichtigen, ihr Feuer auf ganzer Linie auszudehnen, wie sollte ein Ausbleiben einer Reaktion unsererseits sie davon abhalten? Wenn sie nicht vorhaben, die Front zu verbreitern, dann müssen wir auf jeden Fall dort reagieren, wo sie auf uns schiessen”. (7. Januar)

Allon (49) war der Kommandant der Palmach und ein General gewesen. Wie Galili gehörte er zum rechten Flügel der regierenden Partei Achdut Ha’avoda (Einheit der Arbeit):

“Wir müssen aufhören, anzunehmen, dass die Syrer so denken, wie wir denken. Sie interpretieren das, was wir tun, anders, als wir uns das wünschen, und so bringen wir unser Volk in gefährliche Situationen…

Wir sind an der Grenze zu Syrien in einer topografisch schlechteren Lage, und die erzwungenen Bedingungen der Waffenstillstandsvereinbarung sind schlecht für uns. Es gibt demilitarisierte Zonen, doch auch da, wo wir eingeschränkt sind, was die Stationierung von Waffen betrifft, geht es immer noch um unser souveränes Territorium. Wir können es nicht zulassen, dass die Syrer auf unser Gebiet eindringen, ob demilitarisiert oder nicht. Wir können nicht davor zurückschrecken, unser eigenes Territorium zu nutzen. Wir haben für ein oder zwei Monate aufgehört, unsere Felder zu bewirtschaften, weil [UN-General Odd] Bull um Zeit gebeten hatte, ein Abkommen mit den Syrern zu erzielen. Die gaben wir ihm, niemand kann das bestreiten. Es hatte keinen Erfolg. Heute erlauben wir syrischen Schafhirten, die demilitarisierten Gebiete zu betreten, morgen werden sie die nicht demilitarisierten Gebiete betreten, und schon bald werden wir nicht mehr in der Lage sein, auf unserem eigenen Territorium zu bauen.

Je länger wir nicht reagieren, desto frecher wird die syrische Wildkatze werden. So begreift sie das Ausbleiben einer Antwort unsererseits. Heute hat sie auf einen unserer Traktorfahrer geschossen, der auf einer wichtigen Ortsstrasse fuhr, die weit entfernt ist von jeglicher demilitarisierten Zone. Die Menschen ziehen dort ihre Kinder gross, und die Syrer lassen sie nicht ihr Leben führen. Je mehr von der falsch verstandenen Mässigung wir an den Tag legen, desto harscher werden wir später sein müssen.” (9. Januar 1967)

Dann beschwerte er sich darüber, dass das SK den Generälen zu viele detaillierte Vorgaben mache: Es gehe nicht jeden Tag darum, die Altstadt von Jerusalem oder die Westbank zu erobern, was ja tatsächlich keine Entscheidungen seien, die man den Generälen überlassen könne. Darauf antwortete Moshe Haim Shapira (65) scharf:

“Dem Militär detaillierte Vorgaben zu machen, das ist genau das, wozu diese Gruppe da ist. Die Leute hier sollen einen kühlen Kopf haben, nicht schiessfreudig sein. Von uns erwartet man, dass wir zurückhaltend sind. “

Die zwei Tauben im Kabinett: Moshe Haim Shapira und Yisrael Barzilai

“Es ist besser, im Alarmzustand zu sein als im Krieg.”

Shapira ist eine der Überraschungen des Transkripts. Der Innenminister war der Vorsitzende der Nationalreligiösen Partei – die wenige Jahre später (und nach seinem Tod) die politische Heimat und das Sprungbrett der Siedlerbewegung werden sollte. 1967 war er eine der beiden zahmsten Tauben im SK. Nehmen wir etwa das Treffen vom 12. Januar, wo es darum ging, dass die IDF, verzweifelt über die ununterbrochenen Angriffe der Syrer, die Erlaubnis verlangte, die Reaktion zu verschärfen. Shapira war strikt dagegen:

“Ich sehe, dass wir einen neuen Vorschlag auf dem Tisch haben. Wir eskalieren. Es gibt hier grössere Experten als mich, doch soweit ich das sehe, haben wir bislang mit denselben Waffen vergolten. Sie haben Panzer eingesetzt, wir haben mit Panzern geantwortet. Wir haben gesagt: Wenn sie unsere Dörfer beschiessen, antworten wir mit Panzern, doch da unsere Panzer gegen ihre Artillerie nicht effektiv sind, haben wir keine andere Wahl, als Flugzeuge einzusetzen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Der Stabschef sagt, sie werden uns wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben. Ich glaube, unsere Nachbarn treiben uns auch ohne zu schiessen in den Wahnsinn. Das ist das Schicksal unseres Landes, das von Feinden umgeben ist. Bislang haben wir immer gesagt, wir könnten es rechtfertigen, unsere Luftwaffe einzusetzen, um unsere Zivilbevölkerung zu schützen. Diese Politik zu ändern und Flugzeuge einzusetzen [gegen syrische militärische Ziele, die nicht auf Dörfer schiessen], könnte zu Krieg führen. Das kann ich nicht akzeptieren. … Ich verstehe es, wenn der Stabschef sagt, wie hart es ist, im Zustand permanenter Wachsamkeit und hoher Alarmstufe zu leben. Nun, ich sage, es ist besser, im Alarmzustand zu sein als im Krieg.”

Shapira verkündete zudem, das SK habe nicht die Befugnis zu einer Eskalation, dafür benötige man das gesamte Kabinett; er werde seiner Partei Bericht erstatten und eigentlich müsste die Entscheidung der Knesset vorgelegt werden. Die zweite weisse Taube, Gesundheitsminister Yisrael Barzilai (52) von der linksgerichteten Mapam-Partei, sprang ihm bei. Auch wir müssen erst mit unserer Parteiführung reden, sagte er, und blockierte damit quasi den Vorstoss.

Menachem Begin (Mitte) mit Levi Eshkol 1967. Foto GPO Archiv
Menachem Begin (Mitte) mit Levi Eshkol 1967. Foto GPO Archiv

Barzilai konnte manchmal sogar noch pazifistischer sein als Shapira. Als die syrische Armee am 7. April israelische Landwirte beschoss, reagierten die Israelis mit Luftangriffen, und in dem folgenden Scharmützel wurden sieben syrische Kampfjets abgeschossen. Barzilai tobte:

“Letzte Woche habe ich abgelehnt, dass wir diejenigen unserer Felder bewirtschaften, die die UNO als problematisch ausgewiesen hat, insbesondere, wenn dies syrischen Beschuss anzieht und eine Eskalation unausweichlich wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir dies provoziert haben. Wir haben die Angelegenheit hier im Komitee diskutiert, und es scheint mir, dass jemand unsere Entscheidung vorweggenommen hat. Vielleicht irre ich mich, wenn ja, beweist es. Wenn ich Recht habe, dann war das ein schwerer Fehler in unserem Prozess der Entscheidungsfindung.” (9. April).

Die hitzige Debatte um die Bewirschaftung von 60 Hektar braches Land

Die Fülle verschiedener Meinungen im SK zeigte sich deutlich am 11. April 1967, vier Tage nach dem Abschuss der sechs syrischen Flugzeuge. Generalleutnant Yitzhak Rabin (45), Generalstabschef und häufiger Teilnehmer der Treffen, sah eine Gelegenheit, Israels Souveränität über 60 Hektar Land in der Nähe des Kibbutz Almagor herzustellen, ein Gebiet, das seit der Unabhängigkeit nicht bewirtschaftet worden war. Bald wurde klar, dass nicht nur die Tauben zögerlich waren, sondern auch Zentristen wie Bildungsminister Zalman Aran (68), Tourismusminister Moshe Kol (56) oder der Minister für religiöse Angelegenheiten, Zerach Wahrhaftig (61). Vielleicht überrascht von dem Widerstand gegen etwas, von dem er gedacht hatte, dass es eine klare Angelegenheit wäre, nahm Levi Eschkol (71), der Ministerpräsident und Verteidigungsminister, eine für ihn ungewöhnlich entschlossene Position ein. Er wandte sich gegen die Meinung, dass Israel, weil es bislang viele Jahre lang freiwillig davon abgesehen hatte, den Abschnitt zu kultivieren, dies auch weiterhin tun könne. Er schäumte:

“Wir waren 2000 Jahre im Exil, und dann gab es Kampf und einen Krieg. Ich kann mich noch an den Aufschrei erinnern, den es gab, als wir bei Jerusalem 2,5 Dunam (weniger als 0,4 Hektar) aufgaben. Wie rechtfertigen wir es in diesem Fall, 600 Dunam aufzugeben? Und warum dann nicht gleich aufhören, darauf zu bestehen, all die anderen Felder zu bewirtschaften, wo die Syrer auf uns schiessen? Was, wenn wir diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt hätten? Hättet ihr gesagt, wir sollten warten, die Syrer wurden gedemütigt, wir müssen ihnen Zeit geben? Wenn nicht jetzt, wann? Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir es für Generationen bereuen.”

“Sind wir auf einen grösseren Konflikt eingestellt?”

Seine Leidenschaft überzeugte nicht. Ein Minister, der fürchtete, dass man vor einer Entscheidung von grosser Tragweite stand, verlangte, dass das ganze Kabinett einbezogen werde. In einer Abendsitzung zeigte sich, dass das Gesamtkabinett ebenso skeptisch war. Zalman Aran gab, obgleich er zu Eschkols Mapai-Fraktion gehörte, den Bedenken Ausdruck:

“Ich fürchte, dass wir an einem Scheideweg stehen. Seit heute morgen wissen wir, dass die Syrer nicht in einem solchen Schockzustand sind, dass sie aufhören würden, auf unsere Bauern zu schiessen. Vielleicht bereiten sie zusammen mit den Ägyptern einen Plan vor, das müssen wir in Betracht ziehen. Wenn wir beschliessen, die Luftwaffe einzusetzen, um die Bewirtschaftung jener 600 Dunam zu schützen, dann müssen wir auf einen grösseren Konflikt vorbereitet sein. Vielleicht wird das im UN-Sicherheitsrat debattiert werden. Sind wir auf einen grösseren Konflikt eingestellt? Mein Gefühl sagt eher nein. Trotzdem ist da immer noch das Thema, in der Lage zu sein, die Felder auf unserem eigenen Territorium zu bewirtschaften. Sind wir bereit, den Status quo fortzusetzen? Ich brauche mehr Zeit, darüber nachzudenken und fordere, dass es heute abend keine Entscheidung darüber gibt.”

Es gab keine. Weder an jenem Abend noch überhaupt. Grössere Ereignisse sollten bald darauf in den Vordergrund treten und zwei Jahrzehnte der Gewalt an der syrischen Grenze für immer unter sich begraben.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache im Tablet Magazine, auf tabletmag.com publiziert. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.