Historisches Dokument – Assads Grossvater über Muslime und Minderheiten

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Ein Blick auf den Brief, der von alewitischen Anführern an den früheren französischen Premierminister Léon Blum zugesandt wurde.
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Im Hintergrund des Bürgerkrieges in Syrien steht die Tatsache, dass das moderne Syrien auf den Knien des Französischen Mandats geboren wurde, das 1943 endete. So wie auch andere Staaten im Nahen Osten, leidet Syrien an vielen Erbkrankheiten, die aus Fehlern der Staaten entstammen, die mit einem Mandat beauftragt wurden – Frankreich und Grossbritannien. Der primäre Fehler der europäischen Mächte im Nahen Osten war es, Staaten mit verschiedenen ethnischen, religiösen, konfessionellen und stammeszugehörige Gruppen zu schaffen, die antagonistisch zueinander gestellt sind, in der Hoffnung, dass der Tag kommen werde, an dem sie alle gemeinsam am Lagerfeuer sitzen und patriotische Lieder in stimmiger Harmonie singen. Das ist nicht geschehen, es geschieht auch im Augenblick nicht und auch nicht in absehbarer Zukunft.

Am 30. August 2012 wurde in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates der Bürgerkrieg in Syrien, der allein zu diesem Zeitpunkt mehr als fünftausend Menschen das Leben kostete, diskutiert. Zwei der Redner waren der französische Aussenminister Laurent Fabius und der syrische UN-Vertreter Bashal al-Jafari, der die westlichen Staaten angriff, allen voran Frankreich wegen seiner Unterstützung für die Rebellen. Der französische Minister erwiderte, indem er sich auch ein Schreiben von alewitischen Anführern an den früheren französischen Premierminister Léon Blum bezog. Zu diesen alewitischen Anführern gehörte Suleiman al-Assad, Bashir al-Assads Grossvater. In diesem Brief, der am 15. Juni 1936 eingegangen ist, wird Frankreich gebeten, sich nicht aus Syrien zurückzuziehen und Syrien keine Unabhängigkeit zu gewähren. Dieser Brief befindet sich im Archiv des französischen Aussenministeriums.

Damals gab es Kontakte zwischen der französischen Regierung und einer Gruppe syrischer Intellektueller, die an die Möglichkeit einer Gründung eines Gross-Syriens glaubte, ein Staat, der unterschiedliche Gruppen umschliesst, wie in Europa. Die folgende Dokument wurde in der Vergangenheit zwar in der libanesischen Zeitung Al-Nahar und der ägyptischen Zeitung Al-Ahram veröffentlicht, machte aber keine Schlagzeilen. Nachfolgend wird das besagte Dokument in seiner Gesamtlänge aufgeführt. Beim Durchlesen sollt man sich die Ereignisse in Syrien der letzten eineinhalb Jahre [Anm. seit 2011] vor Augen halten. Meine Kommentare sind in Klammern beigefügt.

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Sehr geehrter Herr Leon Blum Premierminister von Frankreich:

Angesichts der Verhandlungen, die zwischen Frankreich und Syrien geführt werden, wollen wir – die alewitischen Führer von Syrien – ehrerbietig Ihre Aufmerksamkeit und die Ihrer Partei [Sozialisten] auf folgende Punkte bringen:

  1. Die alewitische Nation [sic!!], die im Laufe der Jahre ihre Unabhängigkeit kraft viel Eifers und vieler Opfer ihre Unabhängigkeit bewahrt hat, ist eine Nation, die sich von der muslimischen sunnitischen Nation in ihrem religiösen Glauben, Bräuchen und Geschichte unterschiedet. Noch nie stand die alewitische Nation [die in den Bergen der syrischen Westküste lebt] unter der Herrschaft der [Muslime], die die Binnenstädte des Landes regieren.
  2. Die alewitische Nation weigert sich, in das muslimische Syrien eingegliedert zu werden, weil die islamische Religion als offizielle Religion des Staates gesehen und die alewitische Nation von ihr als Häretiker betrachtet wird. Daher bitten wir Sie, das fürchterliche und schreckliche Schicksal zu bedenken, welches die Alewiten erwartet, wenn sie zur Eingliederung in Syrien gezwungen würden, wenn es frei von der Oberaufsicht des Mandats ist und es in ihrer Macht steht, Gesetze, die ihrer Religion entstammen, umzusetzen. [Nach dem Islam hat ein Häretiker, der Gottesbilder anbetet, die Wahl zum Islam zu konvertieren oder getötet zu werden.]
  3. Syrien Unabhängigkeit zu gewähren und das Mandat aufzuheben, wäre ein gutes Beispiel sozialistischer Prinzipien in Syrien. Aber die Bedeutung vollständiger Unabhängigkeit wäre die Kontrolle einiger muslimischer Familien über die alewitische Nation in Cilicioa, in Askadron [der Schandschak Alexandretta wurde von Frankreich von Syrien abgetrennt und 1939 der Türkei angegliedert] und in den Ansariyya Bergen [Berge im Westen Syriens, die topographische Fortsetzung der Libanonberge]. Sogar ein Parlament und eine konstitutionelle Regierung werden persönliche Freiheit nicht sicherstellen. Diese parlamentarische Kontrolle ist nur eine Fassade, der es an effektivem Wert fehlt und in Wirklichkeit wird sie von religiösem Fanatismus kontrolliert, der Minderheiten ins Visier nimmt. Wollen die Führer in Frankreich, dass die Muslime die alewitische Nation kontrollieren und sie in den Schoss des Elends stossen?
  4. Der Geist des Fanatismus und der Engstirnigkeit, dessen Wurzeln tief im Herzen der arabischen Muslime gegen alle Nicht-Muslime verankert sind, ist der Geist, der die islamische Religion stetig nährt. Und daher gibt es keine Hoffnung, dass sich die Situation ändern wird. Wenn das Mandat aufgehoben wird, wird die Bedrohung vor Tod und Zerstörung zu einer Gefahr für die Minderheiten in Syrien werden, sogar dann, wenn die Aufhebung [des Mandats] Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit verfügen wird. Warum, weil wir sogar heute bereits sehen, wie die muslimischen Einwohner von Damaskus die Juden zwingen unter ihrer Schutzherrschaft zu leben, um ein Dokument zu unterzeichnen, das es ihnen verbietet, Nahrungsmittel ihren jüdischen Brüdern zu schicken, die unter dem Desaster in Palästina leiden [in den Tagen der grossen arabischen Rebellion 1936-39]. Die Lage der Juden in Palästina am stärksten ist und der beste eindeutige Beweis der Wichtigkeit der religiösen Probleme unter muslimischen Arabern gegenüber jedem, der nicht dem Islam angehört. Diese guten Juden, die den muslimischen Arabern Zivilisation und Frieden gebracht haben, haben Wohlstand und Reichtum nach Palästina gebracht, haben niemanden verletzt und nichts durch Zwang weggenommen, und trotzdem haben die Muslimen den heiligen Krieg gegen sie erklärt und nicht gezögert, ihre Kinder und Frauen niederzumetzeln, trotz der Tatsache, dass England in Palästina und Frankreich in Syrien ist. Daher erwartet die Juden und andere Minderheiten eine düstere Zukunft, wenn das Mandat aufgehoben würde und das muslimische Syrien wird mit dem muslimischen Palästina vereint. Diese Union ist das ultimative Ziel der muslimischen Araber.
  5. Wir schätzen Ihren freigiebigen Geist in der Verteidigung des syrischen Volkes und Ihren Wunsch, seine Unabhängigkeit umzusetzen, aber gegenwärtig ist Syrien weit entfernt von diesem erhabenen Ziel, dass Sie für es anstreben, weil es noch im Geist des religiösen Feudalismus gefangen ist. Wir glauben nicht, dass die französische Regierung und die französische sozialistische Partei der syrischen Unabhängigkeit zustimmen wird, da ihre Umsetzung Unterwerfung der alewitischen Nation zur Folge haben wird, und die Alewiten der Gefahr des Todes und Zerstörung aussetzt sein werden. Es kann nicht sein, dass Sie der [nationalistischen] syrischen Forderung nach Annektierung der alewitischen Nation in Syrien zustimmen können, weil Ihrer erhabenen Prinzipien – wenn sie die Idee von Freiheit unterstützen – diese Situation nicht anerkennen kann, in der eine Nation [die Muslime] versuchen eine andere [die Alewiten] durch erzwingen ihrer Einverleibung zu unterdrücken.
  6. Sie mögen es für angebracht halten, die Rechte der Alewiten und anderer Minderheiten in der Formulierung des Abkommens zu versichern [das französisch-syrische Abkommen, welches die Beziehung zwischen beiden Staaten definiert]. Aber wir möchten betonten, dass Verträge in der syrisch islamischen Mentalität keinen Wert haben. Wir haben dies in der Vergangenheit mit dem Abkommen, das England mit dem Irak unterzeichnete, gesehen, welches den Iraker untersagte, Assyrer und die Jesiden niederzumetzeln. Die alewitische Nation, die wir die Unterzeichnenden repräsentieren, schreit förmlich auf und fordert die französische Regierung und die französische sozialistische Partei auf, ihre Freiheit und Unabhängigkeit innerhalb seiner kleinen Grenzen sicherzustellen [ein unabhängiger alewitischer Staat!!]. Die alewitische Nation legt das Wohl ihrer Nation in den Hände der französischen Sozialisten und ist sich sicher, dass es gewichtige und verlässlichen Unterstützung für die Nation von diesem treuen Freund erhalten wird, der Frankreich grosse Dienste erbracht hat, und sich nun unter Gefahr des Todes und Zerstörung befindet.

[Unterzeichnet von]: Aziz Agha al-Hawash, Mahmud Agha Jadid, Mahmud Bek Jadid, Suleiman Asad [Grossvater von Bashir al-Assad], Suleiman al-Murshid, Mahmud Suleiman al-Ahmad.

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Damit endet das Dokument, das vor 86 [Anm. 87] Jahren geschrieben wurde, aber ebenso gestern hätte geschrieben sein können. Das Dokument beinhalt alle Krankheiten des Nahen Ostens, an denen die Völker der Region bis heute leiden: religiöser Fanatismus der Muslime, Gewalt, Marginalisierung von jedem, der nicht der herrschenden Gruppe angehört, Vorurteile die Gruppendenken bestimmen und westliche Ignoranz und Naivität bezügliche der Probleme der Region und wie diese zu lösen sind.

Und bei allem Respekt vor den Verfassern dieses Dokuments, auch sie haben ihre Probleme. Trotz der Tatsache, dass sie Araber sind und Arabisch sprechen, unterscheiden sie sich selbst von der allgemeinen arabisch-muslimischen Szene und definieren sich selbst als die alewitische „Nation“, nur weil sei Angehöriger einer anderen Religion sind.

Angesichts des Dokuments bestehen keine Zweifel, dass die Alewiten die notwendigen Schlussfolgerung zogen, weil seit 1966 über die Muslime in Syrien mit grausamer eiserner Hand regiert haben, weil sie nur allzu gut wussten, was geschehen würde, wenn es anders herum wäre.

Originalversion: Assad’s Grandfather’s 1936 Letter Predicts Muslim Slaughter of Minorities, Praises Zionists by Prof. Mordechai Kedar © The Jewish Press, September 20, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.

Die deutsche Version des Briefes ist eine wörtliche Übersetzung aus dem Englischen, das wiederum eine Übersetzung aus dem Französischen ist.

4 Kommentare

  1. Erstaunlich ist der Charakterwandel der Assad-Mannen innerhalb dreier Generationen. Der Grossvater, ein offenbar humanistisch gebildeter Mann, der um sein Volk, die Alawiten, besorgt war. Er wusste, dass die Muslime bei der erst besten Gelegenheit die Alawiten in Syrien vernichten würden, aus religiösen und ideologischen Gründen.

    Bereits sein Sohn bekämpfte als Machthaber die Muslime aufs Grausamste , und massakrierte etwa 20-30000 Muslime in Homs . Auch er ein gebildeter Mann, ein Militärpilot, der erste, aber schon nicht mehr einzige Schlächter aus dem Assad-Clan. Nun der Enkel, ein im Westen ausgebildeter Augenarzt, der mit seinem Familienclan Syrien tyrannisiert und ausblutet und in den letzten zwei Jahren für mehr als 100000 tote Syrer verantwortlich ist. Zudem sind mehr als tausend Zivilisten durch Giftgas absichtlich, aus innenpolitischen Gründen, massakriert worden. Man muss sich das vorstellen, dieser Mann ist für den Tod eines grossen Teils seiner Bevölkerung verantwortlich! Nutzniesser ist Präsident Putin, weil der aus militärischen Gründen eine Marinebasis im Mittelmeer benötigt.

    Ich glaube nicht, dass die Alawiten per se grausam sind. Im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass es sich um einen Gendefekt in der Familie der Assads handelt. Ein Fall für einen erfahrenen Psychopathologen.

    Im politischen und geografischen Umfeld Israels sind menschenverachtende Diktatoren und Führer an der Macht. Menschenrechte, Demokratie oder gar Liberalismus sind dort unbekannt und unerwünscht, bis heute im Jahr 2013. Die Aufklärung hat sich nie in diese Länder gewagt. Fast jeder dieser Diktatoren hat schon versucht Israel anzugreifen, bevor oder nachdem auch die eigene Bevölkerung von ihm bekämpft wurde.

    Syrien wurde, wie andere arabische Staaten auch, auf einem Gebiet von etwa 3,5 Millionen km2 des ehemaligen osmanischen Reiches als neue Staaten, teilweise auf dem Reissbrett geschaffen. Israel wurde im Jahr 1948 gegründet, auf demselben Gebiet, in dem vor etwa 2000 Jahren die Jüdischen Staaten Israel und Yehuda bereits 1-2000 Jahre lang existierten. Israel umfasst heute etwa 22.000 km2, die ihm von arabischen und islamischen Staaten streitig gemacht werden.

  2. Man müsste diesen Text samt Brief weit verbreiten. Könnte ich es, würde ich es tun. Leider bin ich zu alt (82) und lernte erst sehr spät mit Computer / Internet ein wenig umzugehen. Bin eigentlich ein Analphabet, was das anbelangt.
    lg
    caruso

  3. VIelen Dank für den Hinweis. Und das ist immer ein Problem, wenn man nicht vom Original übersetzt. Aus diesem Grund haben wir auch darauf hingewiesen.

  4. Danke, sehr interessant. Ein Hinweis: 'Nation' heisst im Französischen auch Volk, also eine zivilisatorische Einheit, nicht zwangsläufig mit einem Territorium (so wie z.B. die Juden vor der Gründung Israels).

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