Der EU-Anforderungskatalog an die Türkei und Palästina

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Foto Amio Cajander. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0 über Wikimedia Commons.
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Im Vergleich zu den streng eingeforderten Reformen in der Türkei, beurteilt die EU die palästinensischen Reformen mit Nachsicht und lässt dadurch ihre Doppelzüngigkeit und mangelnde Integrität erkennen.  Damit disqualifiziert sie sich für eine bedeutende Rolle im Nahost-Friedensprozess in der Gestalt eines ehrlichen Vermittlers.

Die Scheinheiligkeit der EU wird zweifelsohne sichtbar, wenn man die Benchmarks miteinander vergleicht, welche die EU für den Beitrittskandidaten Türkei einerseits und die Palästinenser, die einen eigenen Staat wollen, gesetzt hat.

Europäische Massstäbe für Palästinenser loben fabrizierte, nicht-existente Reformen und Aufrufe, die erforderlichen Fortschritte, wie in der Roadmap vorgegeben, fallenzulassen. Dadurch soll ein Weg erfunden wegen, einen palästinensischen Staat sofort zu gründen, obwohl dieser das Überleben des freien und demokratischen Israels gefährden würde.

Die historische Entscheidung der Europäischen Kommission Mitte Dezember 2004, die Türkei sei nun für Beitrittsverhandlungen mit der EU bereit, liefert eine gute Gelegenheit, die unterschiedlichen Massstäbe bei der Bewertung von Türken und Palästinensern aufzuzeigen.

Das Ziel der Türken ist die Mitgliedschaft in der EU – eine politischen Verbindung, die eine eisengepanzerte Umkehrbarkeitsklausel beinhaltet, sollte die Türkei ihre Zusage nicht einhalten. Das Ziel der Palästinenser ist ein eigener, souveräner Staat – ein Status, für den es keinen Umkehrmechanismus gibt, sollte Palästina zu einem Schurkenstaat werden. Der Massstab um Bereitschaft zu bewerten, sollte gleich sein, wenn nicht sogar strenger für Palästinenser, wenn man bedenkt, dass ihre Gesellschaft bewusst und absichtlich ihre eigene Jugend für politische Gewinne und taktische Vorteile opfert und dass ihre politische Führung Selbstmordattentäter verteidigt und rühmt.

Seit 50 Jahren nun klopft die Türkei an die Pforten der EU und ersucht um Mitgliedschaft. Doch die Europäer hatten es bisher nicht eilig, ein muslimisches Land in ihre Reihen aufzunehmen, auch wenn die Türkei das westlichste und demokratischste muslimische Land im Nahen Osten ist. Obwohl die Türkei bereits strategischer NATO-Partner ist und etwa 4 Millionen seiner Bürger als friedvolle und produktive Gastarbeiter in Europa leben, scheinen Fakten die EU nicht zu überzeugen. 1999 wurde die Türkei als Beitrittskandidat anerkannt, doch ohne Zeitrahmen für tatsächliche Verhandlungen. Nach fünf Jahren weitreichender Verfassungs- und Rechtsreformen in der Türkei, schloss die EU, dass die Türkei den Punkt erreicht habe, ab dem Verhandlungen „unter bestimmten Bedingungen“ beginnen könnten. Doch es ist viel zu früh, die Korken knallen zu lassen.

Verhandlungen würden zehn bis fünfzehn Jahre dauern und auch dann „wäre das Ergebnis keine ausgemachte Sache“ erklärte Romano Prodi, Präsident der Europäischen Kommission.

Der erste Massstab für Entwicklung ist die Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskriterien, die im Juni 1993 von der EU angenommen wurden.

„…Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben…“

Olli Rehn, damaliger EU-Erweiterungskommissar, sagte, es gäbe keinen „Rabatt“ für die Türkei und dass es „einen Ausschlussmechanismus geben wird im Falle eines ernsthaften  und andauernden Verstosses gegen demokratische Grundregeln.“ Rehn nennt „Frauenrechte, Gewerkschaftsrechte, Minderheitenrechte und Probleme, mit denen nicht-muslimische Religionsgemeinschaften konfrontiert sind“ und „Konsolidierung und Erweiterung“ von Rechtsreformen darunter „Anpassung der Gesetzesvollzug und Rechtspraxis im Geiste der Reformen“. Tatsächlich verlangt die EU eine vollständige Veränderung, von Frauenrechte bis Müllrecycling.

Sowie der Antrag der Türkei auf EU-Mitgliedschaft leistungsbezogen bewertet wird, sollte dies auch für die palästinensischen Bestrebungen gelten. Die Osloer Abkommen sahen einen Zeitplan von fünf Jahren vor, um eine begrenzte palästinensische Selbstbestimmung aufzubauen (die 1999 hätte vollzogen sein sollen). Die Abkommen verlangten von den Palästinensern, den bewaffneten Kampf aufzugeben, ein Ende des Konflikts zu verhandeln und eine Infrastruktur für eine aufgeklärte Selbstregierung zu schaffen. Diese Bedingungen wurden nie erfüllt. Die Drei-Phasen Roadmap (2003) sieht die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates und eine Beilegung des Nahost-Konflikts bis 2005 vor. Der Zeitplan der Phase II sieht die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit provisorischen Grenzen innerhalb von sechs Monaten vor bis Ende 2003. Phase II ist jedoch von Phase I abhängig, die das „sofortigen Ende der Gewalt gegen Israelis“ und umfangreiche Reformen in der Palästinensischen Autonomiebehörde fordert.

Bei der Türkei jedoch gibt Romano Parodi die viele Aspekte des Landes zu bedenken, die „eine tiefgründige Reflexion und klare Vorsichtsmassnahmen bei der Durchführung von Beitrittsverhandlungen verlangen, so dass die Integration der Türkei nicht die Struktur schwächt, die wir seit mehr als 50 Jahren aufbauen.“

Die gleichen Empfindlichkeiten und Besonnenheit der EU der Türkei gegenüber und ihre Auswirkungen auf die europäische Sicherheit und Stabilität, ist kaum erkennbar, wenn es um die Gefahren geht, die Palästinenser für die Schwächung der Struktur darstellen, die Israel nun seit 64 Jahren aufgebaut hat. Eine Struktur, die das Land von einer „Entwicklungsnation“ in den 1950er Jahren zur „wichtigsten aufsteigenden Wirtschaft“ gemacht hat.

Die Türkei wird eingehend geprüft, ob sie für eine Mitgliedschaft in der EU bereit ist – und ihre Fähigkeit, Seite an Seite mit England, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und anderen EU-Mitgliedsstaaten zu leben ohne eine Beeinträchtigung für ihre Nachbarn zu sein.

Während die EU die Türkei prüft und weiter prüft, hat sie auch beurteilt, ob die Palästinensischen Autonomiebehörde bereit für Staatlichkeit ist – und ihre Fähigkeit, Seite an Seite mit Israel zu leben, ohne seinen Nachbar in Gefahr zu bringen. Die Türkei und die Palästinenser haben zwar unterschiedliche Ziele, doch in beiden Fällen erklärte die EU, dass die Umsetzung der beiden Ziele beide Male verlange, dass beide Gesellschaften weitreichende Reformen durchlaufen, westliche Werte und Verhaltensstandards annehmen müssen.

Originalversion: European Union Policy of Hypocrisy: Applying Double Standards by Requiring of Israel a Behavior Not Expected or Demanded of any Other Democratic Nation by © Eli E. Hertz. Myths and Facts, December 13, 2012.