100 Jahre Familientradition – Teil 2

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Foto: Rolf Stürm
Lesezeit: 9 Minuten

Eine Artikelserie zum Umgang heutiger Unternehmer mit der Arisierungsvergangenheit ihrer Firma.

Teil 2: Die Flesch-Werke AG in Frankfurt am Main und Oberlahnstein. Der erste Teil erschien am 11. September 2015.

Von Armin H. Flesch

Bis heute wird arisiert: Die Wahrheit. So auch im zweiten Fall dieser Artikelserie. Sie be­schreibt den geradezu archetypischen Fall einer Arisierung, die massgeblich von der Dresdner Bank mit Unterstützung von Nazi-Partei und Justiz abgewickelt wurde. Wie in zahllosen vergleichbaren Fällen wird die Kün­digung eines bereits vor 1933 bestehenden Kredits zum Hebel, mit dem die jüdi­schen Eigentümer aus ihrem Unternehmen gedrängt werden. Ein Tochterunternehmen der Bank wird zum Zwischenhändler und ihr Auf­sichts­­ratsvorsitzender zum Hehler, der einen alten Kriegs­kameraden, inzwischen natio­nal­so­zialis­ti­scher Wirt­schaftsfunktionär, am glän­zen­den Geschäft beteiligt. Beide ver­kaufen das Unternehmen an eine sächsi­sche Chemiefirma; nach 1945 wird es zu deren neuer Zentrale in West­deutsch­land. Als 1951 der ursprüngliche Eigentümer, der die Nazi­zeit im Exil über­lebt hat, seine Rechte am Unternehmen einklagen will, kooperieren die Ariseure erneut, und das Gericht folgt ihrer Darstellung. Aus mehrfachem Unrecht wird ein rechts­kräf­­ti­ges Urteil – ein archetypischer Fall.

Warum ist es am Rhein so schön?
Auf dem Weg von Koblenz ins romantische Mittelrheintal überquert eine Brücke der Bundesstrasse 42 kurz hinter Oberlahnstein die Gleise der Eisenbahn. Hier, direkt am Rheinufer, erstreckt sich das weitläufige Fabrikgelände der Firma Zschimmer & Schwarz. Die meisten Gebäude sind hell und freundlich verkleidet und strahlen in der Sonne. Schräg vis-a-vis liegt Schloss Stolzenfels, der Rhein fliesst breit und behäbig vorbei und die biolo­gische Kläranlage von Zschimmer & Schwarz sorgt dafür, dass die Firmenabwässer das schöne Bild nicht trüben.

Dafür sorgt auch der Umgang des „mittelstän­di­schen Chemie­unter­nehmens in Fami­li­en­besitz“ mit seiner eigenen Geschichte. Und die ist dem Unternehmen wichtig, auf der Homepage findet man den entsprechenden Reiter ganz oben: „1894 gründeten Otto Zschimmer und Max Schwarz in Chemnitz eine Chemikalien-, Farben- und Drogen­gross­handlung. Das Unternehmen entwickelte sich rasch und erfreulich gut.“ Chemnitz, das sich später vorübergehend Karl-Marx-Stadt nannte, liegt in Sachsen – einem Teil Deutsch­­­lands, der familienge­führten Un­ter­nehmen zwischen 1945 und ’90 bekanntlich nicht sonder­lich hold war. So ist leicht vorstellbar, warum sich der Hauptsitz von Zschimmer & Schwarz nicht mehr dort, sondern in Lahn­stein befindet. Wann die Firma in den Westen kam, erfährt der Interes­­sierte ebenfalls auf deren Homepage: „1939 wurde in Lahn­stein am Rhein eine Chemie- und Gerbstofffabrik er­wor­ben. Sie bildete nach dem Krieg die Basis zum Aufbau des Hauptsitzes der heutigen Firmen­grup­pe.“ Unter welchen Be­dingungen diese Fabrik jedoch erworben wurde, wie sie zuvor hiess und wem sie ge­hör­te, darüber verrät uns www.zschimmer-schwarz.com leider nichts.

„Freiheit. Eigentum. Wettbewerb. Verantwortung.“
Unter www.familienunternehmer.eu findet man im Internet die Homepage des eingetra­genen Vereins gleichen Namens, der sich so hehren Wer­ten wie Frei­heit, Eigentum, Wett­­be­werb und Verantwortung verpflichtet fühlt. Regional­vor­sitzender für Rhein­hes­sen – eine liebliche Gegend mit Weinbergen und alten Raubritterburgen – ist Chri­stian Rudolf Schwarz. Der 47jährige ist zugleich einer von 25 Anteilshaltern der Zschimmer & Schwarz Holding GmbH & Co KG. Auch er möchte die Frage, wie sein Unter­neh­men an den Rhein kam, lieber nicht beantworten: „Wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage an die Ge­schäfts­leitung in Lahnstein.“

Christian Rudolf Schwarz, Z&S-Miteigentümer: "Wenden Sie sich an die Geschäftsleitung." Screenshot familienunternehmer.eu
Christian Rudolf Schwarz, Z&S-Miteigentümer: “Wenden Sie sich an die Geschäftsleitung.” Screenshot familienunternehmer.eu

„Alles rechtmässig verlaufen“
Die Geschäftsleitung, namentlich Dietmar Clausen, einer der drei Geschäftsführer von Zschim­mer & Schwarz, steht zu einem Interview­-Termin ebenfalls nicht zur Verfügung. Die Erwäh­nung des ursprünglichen Namens der Lahn­steiner Fa­brik, der „Flesch-Werke AG“ mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, werde auf der Home­page demnächst nach­ge­holt, der Kauf des Lahnsteiner Werks sei rechtmässig verlaufen. 2014 habe man ausser­dem eine Firmenchronik herausge­ge­ben, in der alles korrekt dargestellt werde.

Einige Tage nach dem Telefonat mit Dietmar Clausen trifft ein Brief aus Lahnstein ein. Aus dem Um­schlag kommen sechs fotokopierte Blätter mit dem Kapitel der Firmen­chronik, das die Übernahme der Flesch-Werke beschreibt. Scheinbar ein völlig normaler Vorgang: „Die Gerbstoff­wer­­ke Carl Flesch jr. gerieten […] in wirt­schaft­liche Schwierig­keiten und verpfändeten 1926 ihre Aktien an ein Bankenkon­sor­tium unter Führung der Dresdner Bank. Die Kre­dite konnten nicht zurückgezahlt wer­den, und so entschlossen sich die Banken im Sep­tem­ber 1937, die Aktien zu ver­stei­gern. Käufer war das Berliner Bankhaus Hardy & Co., das die Aktien allerdings weni­ge Monate später an einen Privatinvestor verkaufte.“

Die eigene Geschichte steht bei Zschimmer & Schwarz ganz oben. Screenshot zschimmer-schwarz.com
Die eigene Geschichte steht bei Zschimmer & Schwarz ganz oben. Screenshot zschimmer-schwarz.com

„Den Natio­nal­sozia­listen nahegestanden“
Der Name des „Privatinvestors“ wird jedoch ebenso wenig erwähnt wie der Umstand, dass tat­sächlich zwei Herren die Flesch-Aktien übernahmen. Beim ersten handelte es sich um Carl Goetz, seit 1933 Vorstandssprecher der Dresdner Bank und ab 1936 ihr Aufsichts­ratsvor­sitzen­der. Die Dresdner Bank – „Hausbank der SS“ und mit zwei Vor­ständen und einem Direktor im „Freundeskreis Reichs­führer SS“ vertreten – war mehr als jedes andere deutsche Geldinstitut in die Ari­sierung jüdischer Unternehmen ver­wickelt. In der Chronik von Zschimmer & Schwarz ist sie aber nur eine Bank, „die den Natio­nal­sozia­listen nahege­stan­den haben soll.“ Im Fall der Flesch-Werke immerhin besonders nah, denn als in der Chronik namentlich nicht erwähn­ter „Privatinvestor“ erwirbt Carl Goetz 1937 die Hälfte aller Flesch-Aktien zum Schnäppchenpreis von 100.000,- Reichsmark.

Alte Kameraden
Privatinvestor Nummer zwei ist der thü­­ring­­­­ische NSDAP-Gauwirtschaftsberater Otto Eberhardt. Die sogenann­ten Gau­wirt­schafts­­­berater spielten bei der Arisierung eine zen­trale Rolle, in­dem sie Fir­mendossiers anlegten, durch die Einschaltung von Ju­s­tiz und Gestapo Druck auf jüdische Eigentümer ausübten, von kooperierenden Gläubi­ger­banken Kredite kündigen liessen und nach po­ten­tiellen Käufern Ausschau hielten.

Exakt nach die­sem Drehbuch verläuft auch die Arisierung im Fall der Flesch-Werke AG: Parallel zur Kündigung des Bankkredits wird Hauptakti­o­när und Vorstandsvorsitzender Herbert Flesch wegen angeblicher Devisen­ver­gehen denunziert und sitzt daraufhin für elf Monate in Gestapo-Haft. Sein Vater Carl Flesch, Aufsichtsratsvorsitzender der AG, wird der­weil unter Druck gesetzt: Wolle er die Einlieferung des Soh­nes in ein KZ verhin­dern, sol­le er ihn aus der Geschäfts­leitung entlassen. Nachdem dies erfolgt ist, kommt Her­bert Flesch 1935 aus der Haft frei, man gibt ihm seinen Rei­sepass zurück und zeig­t ihn und einen seiner Chemi­ker sogleich wegen angeblichen Landes­ver­rats an. Um einer weite­ren Inhaf­tierung zu entgehen, verlässt Herbert Flesch über Nacht Deutschland. Kurz darauf stirbt sein Vater, und die Ari­seure haben freie Bahn. Einen Tag nach Herbert Fleschs Zwangsausbürgerung im Jahr 1937 werden die Aktien zunächst an Hardy & Co, eine Tochter der Dresdner Bank, verkauft und kurz darauf an Goetz und Eberhardt wei­ter­­gereicht.

Die Kooperation von Carl Goetz und Otto Eberhardt ist kein Zufall, die beiden waren seit langem befreundet. Zusammen mit Fritz Sauckel, seit 1927 Gauleiter von Thürin­gen, sassen sie während des Ersten Weltkriegs im selben französischen Kriegsgefangen­en­­lager. Nun sitzen sie an den Schaltstellen von Staat, Partei und Wirtschaft und bilden ein in Arisierung­s­-Angelegenheiten höchst erfolgreich agierendes Trio. Über Goetz und die Erben Eberhardts, der im Januar 1939 bei einem Verkehrsunfall gestor­ben ist, gelangen die Flesch-Werke in Oberlahnstein noch im selben Jahr in den Besitz von Zschim­mer & Schwarz.

Keinerlei Vorteile gehabt
Fragt sich, warum ausgerechnet Zschimmer & Schwarz? Doch die Antwort ist einfach und leicht zu recherchieren: Das sächsische Chemieunternehmen besitzt sei­ner­zeit eine Fabrik im thürin­gischen Ort Greiz-Dölau. Werksleiter dieses „National­sozia­listischen Musterbe­triebs“ und Mit­inhaber des Unternehmens ist Dr. ing. Rudolf Friedrich Wil­helm Schwarz, NS-Parteige­nos­se seit 1933, Mitglied in vier Parteiorganisationen sowie ab 1936 Kreiswirt­schafts­­berater der NSDAP im Landkreis Greiz. Damit gehört er zum Stab Otto Eber­hardts und ist unter anderem für die Erfas­sung all jener Unter­nehmen im Land­­kreis zuständig, die man gewinnbringend zu „entju­den“ gedenkt. Seine Informatio­nen reich­t Rudolf Schwarz in regelmässigen Be­rich­ten an Eberhardt weiter. In umge­kehr­ter Rich­tung wech­selt eine hübsche, frisch arisierte Fabrik am Rhein den Besitzer, die bestens ins Unter­neh­­mens­profil von Zschimmer & Schwarz passt. Dessen ungeachtet wird Dr. Rudolf Schwarz später, bei seiner Entnazi­fizierung, behaup­ten, durch seine Parteimit­glied­schaft „keinerlei Vor­teile gehabt“ zu haben: „Meine, wenn auch geringe Tätigkeit als Kreiswirt­schafts­berater hat mich nur noch von meiner beruf­lichen Arbeit abgehalten.“

Taufe aus Angst vor Antisemitismus: Herbert Flesch in den Vierziger Jahren in Kolumbien. Foto Armin H. Flesch
Taufe aus Angst vor Antisemitismus: Herbert Flesch in den Vierziger Jahren in Kolumbien. Foto Armin H. Flesch

Herbert Flesch, der zunächst nach Paris, später nach Barcelona geflohen war, überlebt den Krieg im kolumbianischen Barranquilla, fernab von Deutsch­­land und seinen Ver­nich­tungslagern. Doch Verfolgung und Gestapohaft haben Spuren hinterlassen. Die Angst vor Antisemitismus in einem südamerikanischen Land, in dem viele Deut­sche leben, sitzt so tief, dass er sich katholisch taufen lässt und jeden Hinweis auf seine jüdische Her­kunft vermeidet. Auch in Kolumbien ist Herbert Flesch ein erfolgreicher Unter­neh­mer; prak­tisch aus dem Nichts baut der studierte Chemiker dort das grösste Pro­duk­tions­unter­neh­­men des Landes für Farben und Lacke auf­.

Ariseure als „Streithelfer“

Nur noch Sammlerwert? Alte Aktie der Flesch-Werke AG .
Nur noch Sammlerwert? Alte Aktie der Flesch-Werke AG .

Nach 1945 versucht er, die Rückgabe seiner Flesch-Werke-Aktien einzukla­gen. Den Ver­lust ihres einzigen west­deutschen Werks wollen die neuen Eigentümer je­doch eben­so vermeiden wie die an der Arisierung beteiligten Banken und „Privatinvestoren“ eine Ent­schä­di­gungs­­zah­lung. In der Chro­nik von Zschimmer & Schwarz liest sich das so: „Der Rechts­anwalt von Z&S kontaktierte zu Beginn des Verfah­rens alle [sic!] früheren Eigen­tümer der Aktien. Daraufhin traten das Bankhaus Hardy & Co. sowie die Dresdner Bank dem Pro­zess als sogenannte Streithelfer bei und schlos­sen sich in vollem Umfang den Ausfüh­rungen von Z&S an.“ Die Koop­e­ration der geübten „Streithelfer“ zahlt sich aus: Herbert Flesch, der Deutsch­land 1935 fluchtartig hatte verlassen müs­sen, kann die Machen­­schaf­ten der verein­ten Ariseure vor dem Landgericht Koblenz nicht be­wei­sen, und verliert das Verfahren. Sieben Jahre nach Ende des „Dritten Reichs“ werden die Flesch-Werke so zum zweiten Mal arisiert.

Epilog
Herbert Flesch wird es in den folgenden Jahren nicht mehr gelingen, vor einem deut­schen Gericht Recht zu bekommen. 1979 stirbt er 89jährig im spanischen Barcelona. Carl Goetz, den die Amerikaner von April ’46 bis Dezember ’47 inhaftiert hatten, gelangt nach Gründung der Bundesrepublik schnell zu altem Einfluss. 1952 wird er Aufsichts­rats­vorsitzender der Rhein-Ruhr Bank AG, einem der Nachfolgeinstitute der nach dem Krieg zerschlagenen Dresdner Bank. Nach deren erneutem Zusammen­schluss im Jahr 1957 ist Carl Goetz bis kurz vor seinem Tod ihr Aufsichtsratsvorsitzender, schliesslich sogar „Ehren­vorsit­zen­der“. Er wird mit dem Grosses Verdienstkreuz mit Stern und Schul­­ter­­band, einem der höch­sten Orden der Bundesrepublik, ausge­zeich­net und stirbt hochge­ehrt 1965 in Essen. Rudolf Schwarz, der einstige NSDAP-Kreiswirt­schaftsbera­ter, kehrt nach seiner Kriegsge­fang­enschaft 1945 nicht mehr nach Greiz oder Chemnitz zu­rück, sondern geht direkt nach Oberlahnstein. Dort arbeitet er am Aufbau der Firma Zschim­mer & Schwarz im Westen. Wegen seiner Nazi-Vergangenheit tritt er offiziell in die zweite Reihe zurück und fungiert zunächst als einfacher Angestellter. Sein Vater, Firmenchef Max Schwarz, wird Ehrenbür­ger der Stadt Lahnstein; die Strasse, an der die arisierten ehemaligen Flesch-Werke lie­gen, trägt heu­te seinen Namen.

„Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin; ein Märchen aus alten Zei­ten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.“ Die Loreley, Deutschlands meist­be­sungener Felsen, liegt nur knapp 30 Kilometer von Oberlahnstein entfernt. Das mehr­fach vertonte Gedicht von der „Lore-Lay“ stammt bekanntlich von Heinrich Heine, doch als Zschimmer & Schwarz 1939 die Fabrik am Rhein übernahm, da galt sein Verfasser als „unbekannt“ – gerade so unbekannt wie Herbert Flesch heute in Lahnstein. Beide waren Juden, beide starben im Exil. „Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fliesst der Rhein; der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein.“ Wenn heute die weisslackierten Hallen von Zschim­mer & Schwarz in der Abendsonne funkeln und der Rhein ruhig vor­über­fliesst, scheint die Welt wieder ganz in Ordnung. Die Nazi-Zeit ist schliesslich lang vorbei, und Eigentum hat sich in Freiheit mit Verantwortung gepaart. Aber in deutschen Archi­ven lauern Akten­ber­ge, an denen noch so manches Märchen zerschellen könnte.

Armin H. Flesch, Jahrgang 1962, lebt und arbeitet als Freier Autor und Journalist in Frankfurt am Main. Derzeit recherchiert er den Umgang heutiger Unternehmer und Eigentümer mit der Arisierungs-Vergangenheit ihrer Firma sowie die Familienschicksale der Angehörigen jüdischer deutscher Soldaten des Ersten Weltkriegs.

2 Kommentare

  1. Danke an Armin H. Flesch für diese spannende und wahre Geschichte. Ich hoffe es gibt bald mehr davon! Es wäre wünschenswert wenn noch mehr in deutschen Archi­ven lauernde Akten­ber­ge “ausgemistet” werden 🙂

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