Eine Artikelserie zum Umgang heutiger Unternehmer mit der Arisierungsvergangenheit ihrer Firma.
Teil 2: Die Flesch-Werke AG in Frankfurt am Main und Oberlahnstein. Der erste Teil erschien am 11. September 2015.
Von Armin H. Flesch
Bis heute wird arisiert: Die Wahrheit. So auch im zweiten Fall dieser Artikelserie. Sie beschreibt den geradezu archetypischen Fall einer Arisierung, die massgeblich von der Dresdner Bank mit Unterstützung von Nazi-Partei und Justiz abgewickelt wurde. Wie in zahllosen vergleichbaren Fällen wird die Kündigung eines bereits vor 1933 bestehenden Kredits zum Hebel, mit dem die jüdischen Eigentümer aus ihrem Unternehmen gedrängt werden. Ein Tochterunternehmen der Bank wird zum Zwischenhändler und ihr Aufsichtsratsvorsitzender zum Hehler, der einen alten Kriegskameraden, inzwischen nationalsozialistischer Wirtschaftsfunktionär, am glänzenden Geschäft beteiligt. Beide verkaufen das Unternehmen an eine sächsische Chemiefirma; nach 1945 wird es zu deren neuer Zentrale in Westdeutschland. Als 1951 der ursprüngliche Eigentümer, der die Nazizeit im Exil überlebt hat, seine Rechte am Unternehmen einklagen will, kooperieren die Ariseure erneut, und das Gericht folgt ihrer Darstellung. Aus mehrfachem Unrecht wird ein rechtskräftiges Urteil – ein archetypischer Fall.
Warum ist es am Rhein so schön?
Auf dem Weg von Koblenz ins romantische Mittelrheintal überquert eine Brücke der Bundesstrasse 42 kurz hinter Oberlahnstein die Gleise der Eisenbahn. Hier, direkt am Rheinufer, erstreckt sich das weitläufige Fabrikgelände der Firma Zschimmer & Schwarz. Die meisten Gebäude sind hell und freundlich verkleidet und strahlen in der Sonne. Schräg vis-a-vis liegt Schloss Stolzenfels, der Rhein fliesst breit und behäbig vorbei und die biologische Kläranlage von Zschimmer & Schwarz sorgt dafür, dass die Firmenabwässer das schöne Bild nicht trüben.
Dafür sorgt auch der Umgang des „mittelständischen Chemieunternehmens in Familienbesitz“ mit seiner eigenen Geschichte. Und die ist dem Unternehmen wichtig, auf der Homepage findet man den entsprechenden Reiter ganz oben: „1894 gründeten Otto Zschimmer und Max Schwarz in Chemnitz eine Chemikalien-, Farben- und Drogengrosshandlung. Das Unternehmen entwickelte sich rasch und erfreulich gut.“ Chemnitz, das sich später vorübergehend Karl-Marx-Stadt nannte, liegt in Sachsen – einem Teil Deutschlands, der familiengeführten Unternehmen zwischen 1945 und ’90 bekanntlich nicht sonderlich hold war. So ist leicht vorstellbar, warum sich der Hauptsitz von Zschimmer & Schwarz nicht mehr dort, sondern in Lahnstein befindet. Wann die Firma in den Westen kam, erfährt der Interessierte ebenfalls auf deren Homepage: „1939 wurde in Lahnstein am Rhein eine Chemie- und Gerbstofffabrik erworben. Sie bildete nach dem Krieg die Basis zum Aufbau des Hauptsitzes der heutigen Firmengruppe.“ Unter welchen Bedingungen diese Fabrik jedoch erworben wurde, wie sie zuvor hiess und wem sie gehörte, darüber verrät uns www.zschimmer-schwarz.com leider nichts.
„Freiheit. Eigentum. Wettbewerb. Verantwortung.“
Unter www.familienunternehmer.eu findet man im Internet die Homepage des eingetragenen Vereins gleichen Namens, der sich so hehren Werten wie Freiheit, Eigentum, Wettbewerb und Verantwortung verpflichtet fühlt. Regionalvorsitzender für Rheinhessen – eine liebliche Gegend mit Weinbergen und alten Raubritterburgen – ist Christian Rudolf Schwarz. Der 47jährige ist zugleich einer von 25 Anteilshaltern der Zschimmer & Schwarz Holding GmbH & Co KG. Auch er möchte die Frage, wie sein Unternehmen an den Rhein kam, lieber nicht beantworten: „Wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage an die Geschäftsleitung in Lahnstein.“

„Alles rechtmässig verlaufen“
Die Geschäftsleitung, namentlich Dietmar Clausen, einer der drei Geschäftsführer von Zschimmer & Schwarz, steht zu einem Interview-Termin ebenfalls nicht zur Verfügung. Die Erwähnung des ursprünglichen Namens der Lahnsteiner Fabrik, der „Flesch-Werke AG“ mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, werde auf der Homepage demnächst nachgeholt, der Kauf des Lahnsteiner Werks sei rechtmässig verlaufen. 2014 habe man ausserdem eine Firmenchronik herausgegeben, in der alles korrekt dargestellt werde.
Einige Tage nach dem Telefonat mit Dietmar Clausen trifft ein Brief aus Lahnstein ein. Aus dem Umschlag kommen sechs fotokopierte Blätter mit dem Kapitel der Firmenchronik, das die Übernahme der Flesch-Werke beschreibt. Scheinbar ein völlig normaler Vorgang: „Die Gerbstoffwerke Carl Flesch jr. gerieten […] in wirtschaftliche Schwierigkeiten und verpfändeten 1926 ihre Aktien an ein Bankenkonsortium unter Führung der Dresdner Bank. Die Kredite konnten nicht zurückgezahlt werden, und so entschlossen sich die Banken im September 1937, die Aktien zu versteigern. Käufer war das Berliner Bankhaus Hardy & Co., das die Aktien allerdings wenige Monate später an einen Privatinvestor verkaufte.“

„Den Nationalsozialisten nahegestanden“
Der Name des „Privatinvestors“ wird jedoch ebenso wenig erwähnt wie der Umstand, dass tatsächlich zwei Herren die Flesch-Aktien übernahmen. Beim ersten handelte es sich um Carl Goetz, seit 1933 Vorstandssprecher der Dresdner Bank und ab 1936 ihr Aufsichtsratsvorsitzender. Die Dresdner Bank – „Hausbank der SS“ und mit zwei Vorständen und einem Direktor im „Freundeskreis Reichsführer SS“ vertreten – war mehr als jedes andere deutsche Geldinstitut in die Arisierung jüdischer Unternehmen verwickelt. In der Chronik von Zschimmer & Schwarz ist sie aber nur eine Bank, „die den Nationalsozialisten nahegestanden haben soll.“ Im Fall der Flesch-Werke immerhin besonders nah, denn als in der Chronik namentlich nicht erwähnter „Privatinvestor“ erwirbt Carl Goetz 1937 die Hälfte aller Flesch-Aktien zum Schnäppchenpreis von 100.000,- Reichsmark.
Alte Kameraden
Privatinvestor Nummer zwei ist der thüringische NSDAP-Gauwirtschaftsberater Otto Eberhardt. Die sogenannten Gauwirtschaftsberater spielten bei der Arisierung eine zentrale Rolle, indem sie Firmendossiers anlegten, durch die Einschaltung von Justiz und Gestapo Druck auf jüdische Eigentümer ausübten, von kooperierenden Gläubigerbanken Kredite kündigen liessen und nach potentiellen Käufern Ausschau hielten.
Exakt nach diesem Drehbuch verläuft auch die Arisierung im Fall der Flesch-Werke AG: Parallel zur Kündigung des Bankkredits wird Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender Herbert Flesch wegen angeblicher Devisenvergehen denunziert und sitzt daraufhin für elf Monate in Gestapo-Haft. Sein Vater Carl Flesch, Aufsichtsratsvorsitzender der AG, wird derweil unter Druck gesetzt: Wolle er die Einlieferung des Sohnes in ein KZ verhindern, solle er ihn aus der Geschäftsleitung entlassen. Nachdem dies erfolgt ist, kommt Herbert Flesch 1935 aus der Haft frei, man gibt ihm seinen Reisepass zurück und zeigt ihn und einen seiner Chemiker sogleich wegen angeblichen Landesverrats an. Um einer weiteren Inhaftierung zu entgehen, verlässt Herbert Flesch über Nacht Deutschland. Kurz darauf stirbt sein Vater, und die Ariseure haben freie Bahn. Einen Tag nach Herbert Fleschs Zwangsausbürgerung im Jahr 1937 werden die Aktien zunächst an Hardy & Co, eine Tochter der Dresdner Bank, verkauft und kurz darauf an Goetz und Eberhardt weitergereicht.
Die Kooperation von Carl Goetz und Otto Eberhardt ist kein Zufall, die beiden waren seit langem befreundet. Zusammen mit Fritz Sauckel, seit 1927 Gauleiter von Thüringen, sassen sie während des Ersten Weltkriegs im selben französischen Kriegsgefangenenlager. Nun sitzen sie an den Schaltstellen von Staat, Partei und Wirtschaft und bilden ein in Arisierungs-Angelegenheiten höchst erfolgreich agierendes Trio. Über Goetz und die Erben Eberhardts, der im Januar 1939 bei einem Verkehrsunfall gestorben ist, gelangen die Flesch-Werke in Oberlahnstein noch im selben Jahr in den Besitz von Zschimmer & Schwarz.
Keinerlei Vorteile gehabt
Fragt sich, warum ausgerechnet Zschimmer & Schwarz? Doch die Antwort ist einfach und leicht zu recherchieren: Das sächsische Chemieunternehmen besitzt seinerzeit eine Fabrik im thüringischen Ort Greiz-Dölau. Werksleiter dieses „Nationalsozialistischen Musterbetriebs“ und Mitinhaber des Unternehmens ist Dr. ing. Rudolf Friedrich Wilhelm Schwarz, NS-Parteigenosse seit 1933, Mitglied in vier Parteiorganisationen sowie ab 1936 Kreiswirtschaftsberater der NSDAP im Landkreis Greiz. Damit gehört er zum Stab Otto Eberhardts und ist unter anderem für die Erfassung all jener Unternehmen im Landkreis zuständig, die man gewinnbringend zu „entjuden“ gedenkt. Seine Informationen reicht Rudolf Schwarz in regelmässigen Berichten an Eberhardt weiter. In umgekehrter Richtung wechselt eine hübsche, frisch arisierte Fabrik am Rhein den Besitzer, die bestens ins Unternehmensprofil von Zschimmer & Schwarz passt. Dessen ungeachtet wird Dr. Rudolf Schwarz später, bei seiner Entnazifizierung, behaupten, durch seine Parteimitgliedschaft „keinerlei Vorteile gehabt“ zu haben: „Meine, wenn auch geringe Tätigkeit als Kreiswirtschaftsberater hat mich nur noch von meiner beruflichen Arbeit abgehalten.“

Herbert Flesch, der zunächst nach Paris, später nach Barcelona geflohen war, überlebt den Krieg im kolumbianischen Barranquilla, fernab von Deutschland und seinen Vernichtungslagern. Doch Verfolgung und Gestapohaft haben Spuren hinterlassen. Die Angst vor Antisemitismus in einem südamerikanischen Land, in dem viele Deutsche leben, sitzt so tief, dass er sich katholisch taufen lässt und jeden Hinweis auf seine jüdische Herkunft vermeidet. Auch in Kolumbien ist Herbert Flesch ein erfolgreicher Unternehmer; praktisch aus dem Nichts baut der studierte Chemiker dort das grösste Produktionsunternehmen des Landes für Farben und Lacke auf.
Ariseure als „Streithelfer“

Nach 1945 versucht er, die Rückgabe seiner Flesch-Werke-Aktien einzuklagen. Den Verlust ihres einzigen westdeutschen Werks wollen die neuen Eigentümer jedoch ebenso vermeiden wie die an der Arisierung beteiligten Banken und „Privatinvestoren“ eine Entschädigungszahlung. In der Chronik von Zschimmer & Schwarz liest sich das so: „Der Rechtsanwalt von Z&S kontaktierte zu Beginn des Verfahrens alle [sic!] früheren Eigentümer der Aktien. Daraufhin traten das Bankhaus Hardy & Co. sowie die Dresdner Bank dem Prozess als sogenannte Streithelfer bei und schlossen sich in vollem Umfang den Ausführungen von Z&S an.“ Die Kooperation der geübten „Streithelfer“ zahlt sich aus: Herbert Flesch, der Deutschland 1935 fluchtartig hatte verlassen müssen, kann die Machenschaften der vereinten Ariseure vor dem Landgericht Koblenz nicht beweisen, und verliert das Verfahren. Sieben Jahre nach Ende des „Dritten Reichs“ werden die Flesch-Werke so zum zweiten Mal arisiert.
Epilog
Herbert Flesch wird es in den folgenden Jahren nicht mehr gelingen, vor einem deutschen Gericht Recht zu bekommen. 1979 stirbt er 89jährig im spanischen Barcelona. Carl Goetz, den die Amerikaner von April ’46 bis Dezember ’47 inhaftiert hatten, gelangt nach Gründung der Bundesrepublik schnell zu altem Einfluss. 1952 wird er Aufsichtsratsvorsitzender der Rhein-Ruhr Bank AG, einem der Nachfolgeinstitute der nach dem Krieg zerschlagenen Dresdner Bank. Nach deren erneutem Zusammenschluss im Jahr 1957 ist Carl Goetz bis kurz vor seinem Tod ihr Aufsichtsratsvorsitzender, schliesslich sogar „Ehrenvorsitzender“. Er wird mit dem Grosses Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, einem der höchsten Orden der Bundesrepublik, ausgezeichnet und stirbt hochgeehrt 1965 in Essen. Rudolf Schwarz, der einstige NSDAP-Kreiswirtschaftsberater, kehrt nach seiner Kriegsgefangenschaft 1945 nicht mehr nach Greiz oder Chemnitz zurück, sondern geht direkt nach Oberlahnstein. Dort arbeitet er am Aufbau der Firma Zschimmer & Schwarz im Westen. Wegen seiner Nazi-Vergangenheit tritt er offiziell in die zweite Reihe zurück und fungiert zunächst als einfacher Angestellter. Sein Vater, Firmenchef Max Schwarz, wird Ehrenbürger der Stadt Lahnstein; die Strasse, an der die arisierten ehemaligen Flesch-Werke liegen, trägt heute seinen Namen.
„Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin; ein Märchen aus alten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.“ Die Loreley, Deutschlands meistbesungener Felsen, liegt nur knapp 30 Kilometer von Oberlahnstein entfernt. Das mehrfach vertonte Gedicht von der „Lore-Lay“ stammt bekanntlich von Heinrich Heine, doch als Zschimmer & Schwarz 1939 die Fabrik am Rhein übernahm, da galt sein Verfasser als „unbekannt“ – gerade so unbekannt wie Herbert Flesch heute in Lahnstein. Beide waren Juden, beide starben im Exil. „Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fliesst der Rhein; der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein.“ Wenn heute die weisslackierten Hallen von Zschimmer & Schwarz in der Abendsonne funkeln und der Rhein ruhig vorüberfliesst, scheint die Welt wieder ganz in Ordnung. Die Nazi-Zeit ist schliesslich lang vorbei, und Eigentum hat sich in Freiheit mit Verantwortung gepaart. Aber in deutschen Archiven lauern Aktenberge, an denen noch so manches Märchen zerschellen könnte.
Armin H. Flesch, Jahrgang 1962, lebt und arbeitet als Freier Autor und Journalist in Frankfurt am Main. Derzeit recherchiert er den Umgang heutiger Unternehmer und Eigentümer mit der Arisierungs-Vergangenheit ihrer Firma sowie die Familienschicksale der Angehörigen jüdischer deutscher Soldaten des Ersten Weltkriegs.
Danke an Armin H. Flesch für diese spannende und wahre Geschichte. Ich hoffe es gibt bald mehr davon! Es wäre wünschenswert wenn noch mehr in deutschen Archiven lauernde Aktenberge „ausgemistet“ werden 🙂
Vielen Dank für diesen akribischen Studien!
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