Bedeutungsvolle Szenen aus der Grande Synagogue in Paris

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Möchte man verstehen, wie sich Juden in Frankreich – und den meisten anderen Orten der Diaspora – innerlich fühlen, besonders wenn sie von Männern mit Waffen ins Visier genommen werden, die eine radikal faschistische Ideologie vertreten und versessen darauf sind, uns zu töten, sollten man sich diese zwei Video-Clips aus der Grand Synagogue in Paris anschauen. Es sind Aufnahmen nach dem Solidaritätsmarsch, bei dem schätzungsweise 1.5 Millionen Menschen auf die Strassen gegangen sind, um ihre Unterstützung für die Meinungsfreiheit und ihre Ablehnung des islamischen Terrorismus zu bekunden.

Auf dem ersten Video ist zusehen, wie der französische Präsident Francois Hollande die Grand Synagogue betritt; knapp 40 Sekunden später folgt ihm Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Doch anders als bei Hollande wird er von lautem, spontanem Jubel begrüsst. Die Tatsache, dass die Menschenmenge in der Synagoge jubelt, als Netanyahu diese betritt, hat nichts damit zu tun, ob sie Sozialisten oder konservative Wähler sind, oder ob sie Netanyahu wählen würden, oder ob sie eine Zweit- oder Einstaatenlösung oder eine Fortsetzung der israelischen Siedlungen im Westjordanland befürworten oder ablehnen. Wie in jeder jüdischen Gruppe, ist zweifelsohne jedes Lager vertreten. Der Grund für ihren Jubel ist jedoch weitaus einfacher ; er hat mit der herben Lektion zu tun, welche die Geschichte in die Seele eines jeden bewussten Juden heute eingraviert hat. Wir wissen, dass die Länder, wo wir unsere Geschäfte und unser Leben aufgebaut haben, unsere Kinder grossgezogen haben, uns wenn unsere Leben in Gefahr ist, beschützen können oder auch nicht. Das gleiche gilt für unsere Freunde und Nachbarn.

Der Grund, warum Juden heute ein normales Leben als Bürger westlicher Demokratien leben können, ist nicht, weil sich das menschliche Wesen seit 1945 merklich verbessert hätte, oder dass Angriffe antisemitischer Fanatiker undenkbar sei. Leider stimmt das nicht, wie die Ereignisse der letzten Woche und des vergangenen Jahres in Paris zeigen. Wir haben keine Angst, weil wir entweder offenkundig oder in der dunklen Ecke unseres Hirns wissen, dass es einen Staat auf dieser Welt gibt – so unvollkommen er auch in einigen Details sein mag – , wo wir und unsere Kinder willkommen sind, und dessen Regierung  alles in seiner Macht stehende unternehmen wird, um uns zu beschützen.

Eine wichtige Lektion des Holocaust für das jüdische Volk, aber auch für alle anderen Völker – wie Kambodschaner unter Pol Bot, bosnische Muslime und Tutsi in Rwanda – ist, dass die Welt zwar grosse Töne spuckt, aber nur wenig zu ihrer Rettung unternimmt. Hält man nicht zusammen, stirbt man alleine. Die Tatsache, dass der Staat Israel existiert, bedeutet, dass das jüdische Volk niemals radikal alleine sein wird. Darum jubeln die Menschen in der Grand Synagogue in Paris.

Der zweite Video-Clip zeigt, wer wir sind und wie wir zu den Ländern stehen, in denen wir leben. Als Netanyahu seine Rede beendete, sangen die Menschen spontan ihre Nationalhymne – welche selbstverständlich die französische ist.

Die Menschen in der Grand Synagogue sind stolz, Franzosen zu sein; sie wollen, dass der israelische Ministerpräsident ihren Stolz auf ihr Land sieht und versteht, genauso wie sie wollen, dass Frankreich den inspirierenden Worten der La Marseillaise gerecht wird.

Was sich im Lauf der letzten 75 Jahre für das jüdische Volk geändert hat, ist nicht die Liebe zu den Ländern, in denen wir leben. Es ist vielmehr, dass wir nicht länger gezwungen sind, – mit unserem Leben – darauf zu setzen, dass unsere Liebe vergolten wird.

Originalversion: Two Scenes From the Grand Synagogue of Paris. Netanyahu, the French national anthem, and what it all means by Staff Notes © Tablet Magazine, January 11, 2015.

2 Kommentare

  1. Warum der Verfasser dieses Beitrags das nicht einfliessen lässt, würde zu Spekulationen führen. Letztendlich geht es ihm darum aufzuzeigen, dass die französischen Juden zu ihrem Land stehen und das haben sie mit der La Marseillaise bekundet.
    Und dass die Hatikva gesungen wurde ist sicherlich mit seiner Aussage begründet: "Die Tatsache, dass der Staat Israel existiert, bedeutet, dass das jüdische Volk niemals radikal alleine sein wird. Darum jubeln die Menschen in der Grand Synagogue in Paris."… und sangen die Hatikva.
    Das "Unterschlagen" der Hatikva als "grosse Täuschung" zu nennen, ist allerdings übertrieben.

  2. Hmmm, das habe ich auf dem Reuters-Video auch so gesehen, aber folgt man den deutschsprachigen "Israelnachrichten" aus Jerusalem, herausgegeben von Dean Greenwald, so muss hier eine große Täuschung vorgelegen haben. Diese Onlinezeitung weiß zu berichten, dass zuerst die israelische Hymne gesungen worden wäre, dann erst die französische. Es wäre gut, wenn die Hasbara sich einschaltete, damit hier eine einheitliche Wahrheit besteht.

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