Palästina vor Gericht

1
Mahmoud Abbas. Foto World Economic Forum. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 via Wikimedia Commons.
Lesezeit: 4 Minuten

Der Gang zum UNO-Sicherheitsrat geriet zur Farce. In letzter Sekunde hatte Nigeria beschlossen, nicht für den Antrag von Präsident Mahmoud Abbas zu stimmen, „Palästina“ als Staat anzuerkennen. In dem 15-köpfigen Gremium hätten neun Staaten zustimmen müssen. Doch für die Palästinenser stimmten nur acht Staaten: Russland, China, Frankreich, Tschad, Luxemburg, Argentinien, Chile und Jordanien, das den Antrag im Namen der Palästinenser eingebracht hat. Israels Ministerpräsident hatte Nigeria und Ruanda telefonisch überzeugt, sich der Stimme zu enthalten. Nigerias Sorge, Israel und die USA könnten ihre Hilfe beim Kampf gegen Boko Haram einstellen, überwog. Damit war der Antrag gefallen, ohne dass die USA ihr Vetorecht einlegen mussten.

Mit dem Einzug von Ländern wie Venezuela in den Sicherheitsrat, die keine diplomatischen Beziehungen mit Israel pflegen, hätte Abbas vielleicht die notwendige Mehrheit erhalten. Doch Venezuela gehört erst ab dem 1. Januar als nicht-ständiges Mitglied dem Sicherheitsrat an – warum Abbas diese paar Tage nicht warten konnte, bleibt sein Geheimnis.

Abbas diplomatischer Feldzug gegen Israel geht unterdessen weiter. Er unterzeichnete 18 Anträge zur Aufnahme in internationaler Konventionen, darunter dem Internationalen Gerichtshof (IStGH). Er bat sogar um das Recht, Israel retroaktiv wegen vermeintlicher Kriegsverbrechen während des Gaza-Kriegs im Sommer 2014 verklagen zu dürfen, obgleich das den Statuten des IStGH widerspricht. Inzwischen beantragte er auch Mitgliedschaft bei Interpol.

Experten halten die Schritte von Abbas für gefährlich und ohne grosse Aussicht auf Erfolg. Denn ein Mitglied beim IStGH kann nicht nur andere verklagen, sondern auch selber auf die Anklagebank gesetzt werden. Der willkürliche Beschuss israelischer Bevölkerungszentren mit Raketen, Terroranschläge und anderes Vorgehen der Hamas im Gazastreifen gelten als Kriegsverbrechen, zumal bei den Palästinensern selber niemand diese Verbrechen ahndet. Das israelische Militär hat hingegen kriminalistische Untersuchungen gegen Soldaten eingeleitet. Sowie Kriegsverbrechen untersucht werden, ist der IStGH nicht mehr zuständig.

Der Gang zum UNO-Sicherheitsrat und die weiteren Beitrittsanträge irritieren nicht nur Israel, sondern auch die USA. Denn Abbas verstösst damit gegen die Osloer Verträge. Die bilden bis heute die Grundlage der Beziehungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde PA, von den Briefmarken über Grenzverlauf, bis hin zur Gaza-Blockade und dem Grenzverkehr. Eine einseitige Änderung des internationalen Status verbieten diese Verträge. Washington hat inzwischen Sanktionen angekündigt. Die 400 Mio. US-Dollar Finanzhilfe an die Palästinenser werden storniert. Ebenso hat Israel angekündigt, im Dezember die im Namen der PA eingezogenen Zölle und Steuergelder, etwa 127 Mio. US-Dollar, nicht an die PA zu überweisen. Das bedeutet für Abbas Zahlungsunfähigkeit. Er wird nicht einmal die Gehälter seiner bewaffneten wie unbewaffneten Angestellten entrichten können. Während Israel von ausstehenden palästinensischen Schulden in Milliardenhöhe für Strom- und Wasserlieferungen redet, bezichtigen palästinensische Sprecher die Israelis des „Raubes palästinensischen Eigentums.“

„Möge meine Seele mit den Philistern sterben“, soll der biblische Samson gerufen haben, ehe er die Säulen des Palastes auseinander schob und sich zusammen mit den führenden Philistern umbrachte…der erste Selbstmordattentäter. Betreibt Abbas seinen politischen Untergang? Angedroht hat er es schon. Sollte die Aufnahme in die internationalen Gremien und dem IStGH nicht gelingen, wolle er „die Schlüssel für die Autonomiebehörde an Israel zurückgeben“.

Nach einem Zusammenbruch der palästinensischen Selbstverwaltung müsste Israel wieder als Besatzungsmacht einschreiten. Das würde Israel sehr teuer zu stehen kommen, wirtschaftlich wie politisch. Gleichzeitig würden die Palästinenser alles verlieren, was sie auf ihrem Weg zur Unabhängigkeit schon erreicht haben, darunter internationale Finanzhilfe in Milliardenhöhe, Staatsangehörigkeit mitsamt Pass, Parlament, Polizei und Regierung, nur um einige Folgen hier aufzuzeichnen. Zudem wäre Abbas entmachtet, doch geniesst er ohnehin nur noch 35% Unterstützung im Westjordanland.

Abbas betreibt seit Jahren einen erfolgreichen Drahtseilakt. Einerseits verlässt er sich auf die Israelis und deren Bajonette, um nicht gestürzt zu werden. Andererseits verweigert er Verhandlungen (trotz eines zehnmonatigen Baustopps in den Siedlungen und der Freilassung von Gefangenen) und provozierte ein Scheitern der Gespräche, indem er eine Anerkennung „Palästinas“ bei der UNO ersuchte.

Die Sicherheitskooperation funktioniert zwar, doch gleichzeitig schürt er den Terror. Er spielt mit den Widersprüchen, weil er genau weiss, dass die Israelis lieber ihn in Ramallah sehen als die unvermeidliche Alternative: Hamas.

Abbas persönlich hat nicht mehr viel zu verlieren. Er ist alt und unpopulär. Mit einer Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde würde er in die Geschichte eingehen: als Jener, der Israel mit der Rückkehr in die Zeit vor Oslo immensen Schaden zugefügt, aber gleichzeitig Yassir Arafats Projekt begraben hätte, nämlich den Palästinensern zu Unabhängigkeit und einem Staat zu verhelfen.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

Alle Artikel

Kommentarfunktion ist geschlossen.