Politisches Theater in Genf

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Saal des UN-Menschenrechtsrats. Foto Maina Kiai / Flickr.com. CC BY 2.0
Lesezeit: 8 Minuten

Der von der Schweiz geförderte Menschenrechtsrat ist zur einseitigen Veranstaltung geworden.

von Dominik Feusi, Basler Zeitung

«I give floor to the distinguished representative of the Hashemite Kingdom of Jordan.» Choi Kyonglim tönt müde, als er dem Vertreter Jordaniens das Wort erteilt. Dabei ist es erst Mittag am UNO-Menschenrechtsrat in Genf. Der Koreaner ist dessen Präsident. Routinemässig arbeitet er das Programm ab. Der Menschenrechtsrat ist eine Idee der früheren Bundesrätin und Aussen­ministerin Micheline Calmy-Rey. Ohne das Lobbying der Schweiz wäre er 2006 nicht gegründet worden. Er sollte ein grosser Fortschritt für die Menschenrechte werden.

Der Rat tagt in einem eigens für ihn erbauten, kreisrunden Saal mit einem spektakulären, von Spanien finanzierten reliefartigen Deckengewölbe eines spanischen Künstlers. Choi muss seinen Satz jeden Tag Dutzende Male abspulen – alle zwei Minuten. So viel Redezeit hat nun die Vertreterin Jordaniens, Botschafterin Saja Majali.

Sie fordert, nicht sonderlich engagiert, dass die Gewalt in den von Israel besetzten Gebieten beendet werden müsse. Damit meint sie selbstredend einzig die von Israel ausgehende Gewalt. Die «Besatzer» müssten die Einschränkung der Bewegungsfreiheit beenden, mit dem Konfiszieren von Land und dem Siedlungsbau aufhören. Die Gründe für die Einschränkungen, der jahrzehntelange Terror, kommen bei Majali nicht vor. Palästina müsse ein unabhängiger Staat, in den Grenzen vor dem Sechs­tagekrieg von 1967, und Ost-Jerusalem dessen Hauptstadt werden.

Majalis Votum ist das einundvierzigste zu diesem Traktandum «Menschenrechtssituation in Palästina und anderen besetzten arabischen Territorien» der 32. Session des Uno-Menschenrechtsrates. Die Debatte ist Fixpunkt in jeder der drei jährlichen Sessionen des Menschenrechtsrates.

Theater mit ewiggleicher Szene

Seit Bestehen des Rates geht es unter diesem Titel ausschliesslich um Menschenrechtsverletzungen Israels. In den vierzig Statements vor jenem von Jordanien war von Menschenrechtsverletzungen von palästinensischer Seite nie die Rede. Die Veranstaltung hat etwas von einem Theater – und in jeder Session des Rates spielt man die gleiche Szene. Es ergreifen ausschliesslich arabische Länder oder mit ihnen sympathisierende Nationen das Wort. Die Voten gleichen sich bis auf einzelne Formulierungen. Die Journalistenkollegin zu meiner Rechten schmunzelt, als ich sie darauf anspreche, das sei normal, sagt sie. Einige Tage vor der Debatte würde die palästinensische Delegation Sprechnotizen herumreichen, die dann von den muslimischen und sonstigen befreundeten Ländern heruntergespult würden. Jedes muslimische Land müsse unbedingt zum Mikrofon greifen, sonst werde es von den Palästinensern zurechtgewiesen.

Besonders aufwendig ist das für Länder, die am Anfang der Debatte für eine Ländergruppe sprechen und selbstverständlich danach noch einmal in eigenem Namen. Heute sind das Katar für die arabische Gruppe, Iran für die Gruppe der Blockfreien und Pakistan für die Islamische Kooperationsorganisation. Nur wenige Minuten nach diesen Gruppenvoten sind alle drei wieder an der Reihe – und sagen genau das Gleiche, aber mit anderen Worten.

Keines der drei Länder ist dafür bekannt, die Menschenrechte besonders vorbildlich zu befolgen. Pakistan gehört im Menschenrechts-Risiko-Atlas zu den zehn Orten, wo die Menschenrechte am stärksten gefährdet sind. In Katar existiert nach Berichten von ­Menschenrechtsorganisationen sogar Zwangsarbeit. In Iran werden beispielsweise Homosexuelle öffentlich gehängt und die Meinungsäusserungsfreiheit systematisch unterdrückt. Das Land hat bis heute die Antifolterkonvention der UNO nicht unterzeichnet. Doch das wird am Menschenrechtsrat mit keinem Wort erwähnt.

Der Vertreter von Katar befürchtet dafür, dass bis 2020 der Gazastreifen unbewohnbar sein wird. Das könnte aufgrund des Terrorregimes der Hamas durchaus sein, nur meint es der Katarer anders. Grund sei die «Blockade» durch Israel. Das Argument ist frei erfunden. Der Gazastreifen wird von Israel mit mehr Waren versorgt als via Ägypten. Restriktionen gibt es für Güter, die militärisch verwendet werden können. Dass dies nicht ohne Grund so ist, zeigen andauernde Raketenangriffe und Terrortunnels, die bis auf israelischen Boden reichen. Statt in den Wiederaufbau, steckt das Terrorregime alle Ressourcen in den Kampf gegen Israel.

Es läuft längst ein Informa­tionskrieg: Die Ereignisse im Nahen Osten werden auf die Sessionen in Genf abgestimmt. Besonders schlimm seien kürzliche Attacken auf Betende auf dem Jerusalemer Tempelberg, betonen einige islamische Staaten. Wenige Tage später wird sich herausstellen, dass umgekehrt nicht muslimische Besucher von «Betenden» aus Moscheen mit Steinen angegriffen wurden, um Ausschreitungen zu provozieren. Die Moslems wollen den Tempelberg rassistisch von allen Nichtmoslems «rein»halten.

Viele arabische Länder sprechen offen von einer Besetzung der Paläs­tinensergebiete durch Israel seit 67 oder gar 70 Jahren. Für sie ist also nicht nur das im Sechstagekrieg 1967 von Israel eroberte Westjordanland umstritten, sondern der ganze Staat Israel. Ihr Ziel ist die endgültige Vertreibung der Juden aus der Region, die ethnische Säuberung. Wie es historisch zum verfahrenen Konflikt gekommen ist und wie er zu lösen wäre, spielt vor dem Menschenrechtsrat keine Rolle.

Syrien, Libyen und Jemen

Israel ist das einzige Land, das in jeder Session Gegenstand einer solchen Debatte ist. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann Tausende Richter und Beamte verhaften, dass er ein eigenes Traktandum beim Menschenrechtsrat erhält, braucht er nicht zu fürchten. Damit begonnen wurde schon in der allerersten Session des Menschenrechtsrates vor zehn Jahren. Und nie geht es dabei um die systematische und rassistische Aufwiegelung der Palästinenser gegen Juden oder um das Sicherheitsbedürfnis der israelischen Bevölkerung. Der Berichterstatter des Rates hat ausschliesslich den Auftrag, das Verhalten Israels zu untersuchen.

Das ruft die antisemitische Linke auf den Plan: So meldet sich auch Kuba, das selber die Meinungsfreiheit unterdrückt, zu Wort und kritisiert Israel. Venezuela will nicht abseitsstehen, genauso wenig Bolivien – mit der indianischen Begrüssung «Hayaya», was, so erklärt der Bolivianer, so viel heisst wie «für das Leben». Ecuador bedankt sich besonders für palästinensische Teams, die nach dem Erdbeben von April beim Wiederaufbau geholfen hätten. Die um ein Vielfaches grössere israelische Unterstützung bleibt unerwähnt.

Das ebenfalls nicht vorbildliche Saudi-Arabien ergreift das Wort im gleichen Sinne wie Dutzende Vorredner oder die Türkei. Auch Syrien kritisiert Israel scharf, während seine Schergen die Zivilbevölkerung seit Jahren mit Fassbomben belegen. Libyen und Jemen treten auf, Staaten, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Insgesamt wurde Israel vom Menschenrechtsrat in den zehn Jahren seines Bestehens in 62 Resolu­tionen kritisiert, mehr als alle anderen Länder zusammen. Niemand kann behaupten, dass dies die weltweite Menschenrechtssituation abbildet. Bei aller zulässigen Kritik gibt es keinen objektiven Zweifel daran, dass in keinem Land im Nahen Osten die Menschenrechte so gut eingehalten werden wie in Israel.

Unterstützung für Boykotte

In der letzten Session im März wurde gar eine Resolution verabschiedet, aufgrund derer der Menschenrechtsrat in Zukunft eine Datenbank führt mit Namen von Unternehmen, die in den besetzten Gebieten tätig sind. Der Hintergrund ist durchsichtig: Antisemitische Organisationen wie die Boykott-Desinvestions- und Sanktions­kampagne (BDS) werden dann zum Boykott dieser Firmen aufrufen. Die UNO und ihr Menschenrechtsrat in Genf machen sich zu Handlangern der neuesten «Kauft nicht bei Juden»-Kampagne. Sie verhindert Friedensverhandlungen, indem man den Palästinensern Hoffnung macht, dass sie dank Boykotten irgendwann ihre Maximalforderungen durchbringen würden. Das funktioniert: Seit sieben Jahren verweigert die offizielle Führung der Palästinenser direkte Verhandlungen mit Israel über einen Frieden.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon kritisierte die selektive und unfaire Behandlung Israels durch den Menschenrechtsrat verschiedentlich. Die arabischen Staaten drohten nach solchen Äusserungen jeweils mit dem Austritt aus dem Gremium. Wenn dieses Traktandum gestrichen werde, so werde man über keine Menschenrechtsverletzungen in arabischen Ländern mehr reden. Deshalb findet weiterhin dreimal im Jahr dieses Theater statt. Das ist eigentlich eine Bankrotterklärung, nur zugeben will das keiner.

Die westlichen Länder verlassen beim Israel-Theater meistens den Saal. Wer hinausgeht, hat in aller Regel verloren. Hier geht es darum, dem Schauspiel nicht noch eine Legitimation zu verleihen. Bei den arabischen Staaten wird das jeweils unter Protest zur Kenntnis genommen, so auch heute. Manchmal bleibt ein Staat im Saal oder ergreift gar das Wort, meist in Zusammenhang mit bevorstehenden Wahl­geschäften, um damit die Stimmen der grossen arabischen Gruppe zu ergattern. So beispielsweise Schweden im vergangenen März, das sich damit die arabischen Stimmen für die Wahl in den Sicherheitsrat organisierte. Meist im Saal bleiben China und Russland, allein schon historisch mit der arabischen Welt verbunden. Sie weichen allerdings vom vorbereiteten Skript ab. Ihr Interesse an der Debatte ist gemäss einem regelmässigen Beobachter vor allem, dass in dieser Zeit nicht über ihre eigenen Menschenrechtsverletzungen gesprochen wird.

Auch die Schweiz bleibt – im Unterschied zu anderen westlichen Staaten – im Saal und macht beim Anti­- Israel-Schauspiel mit. Meistens ergreift sie sogar das Wort. Die Schweiz verteidige dabei eine «ausgeglichene Position» lässt das Aussendepartement auf Anfrage ausrichten. Auf die Frage, ob man ein eigenes Traktandum für ein einziges Land gut finde, weicht das Departement aus. Eine Änderung stehe nicht zur Diskussion.

Arabisches Unvermögen

Nach den Staaten sind die Nicht­Regierungsorganisationen an der Reihe. Noch 21-mal erteilt Choi Kyonglim mit asiatischem Gleichmut einem Sprecher das Wort. Gerade drei Organisationen weisen auf die Ungleichbehandlung Israels hin, die anderen Wortmeldungen – zahlreiche davon durch von der Schweiz grosszügig finanzierte und teilweise antisemitische Organisationen – gleichen wieder auffällig den Formulierungen der islamischen Länder. Die Debatte dauert insgesamt rund drei Stunden, etwas bewirkt wird damit nicht. Die arabischen Regimes werden ihre Stellungnahmen in staatsnahen Medien verbreiten und sich zu Hause als Kämpfer gegen Israel in Szene setzen. Sie bedienen damit die antisemitischen Gefühle ihrer Bevölkerung und lenken von eigenem Unvermögen ab.

Wenn die Kritik an der UNO als «Schwatzbude» an einem Ort gerechtfertigt ist, dann vermutlich hier in Genf an diesem Tag Ende Juni 2016. Wie der Menschenrechtsrat als Idee, so hat das spanische Deckengewölbe viel Staub angesetzt. Es heisst, Spanien weigere sich, für die Pflege der farbigen Landschaft aufzukommen.

Am Ende dürfte die Schweiz einspringen. Sie würde sich besser um den Staub und die Fehlfunktionen des von ihr ins Leben gerufenen Menschenrechtsrates kümmern.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Basler Zeitung.

1 Kommentar

  1. Very interesting article.. it’s a wonder why so many continue to indulge in the very expensive theater.

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