Hinter dem Hamas Versöhnungskurs mit der Fatah steckt kalte Berechnung

1
Treffen von Hamas und Fatah 2016 in Doha. Foto PD / Alresalah
Treffen von Hamas und Fatah 2016 in Doha. Foto PD / Alresalah
Lesezeit: 4 Minuten

Die Hamas will ihre Macht im Gaza-Streifen an die verfeindete Fatah abgeben. Auf den ersten Blick eine Sensation, doch die Geste schafft Stoff für Konflikt. Nun ist Abbas am Zug – und befindet sich in einer heiklen Lage.

 

Al-Dschasira berichtete fast schon euphorisch. Der wohl wichtigste Satellitensender der arabischen Welt sprach von einem „grossen Wandel“. Und tatsächlich: Es klingt auf den ersten Blick wie eine Sensation. Die palästinensische Hamas sendet ein Zeichen der Versöhnung.

Die radikal-islamische Organisation veröffentlichte am Sonntag (17. September 2017, Anm. d. Red) eine Erklärung, sie sei zu Gesprächen über eine Einheitsregierung mit der rivalisierenden Fatah sowie Neuwahlen bereit. Seit zehn Jahren herrscht Bürgerkrieg zwischen den beiden mächtigen Palästinenserorganisationen.

Jede von ihnen beherrscht einen Teil der Palästinensergebiete: die Hamas den Gazastreifen, die Fatah das Westjordanland. Nun scheint eine Annäherung möglich. Was davon ist Überzeugung, was nur Taktik? Davon hängt auch ab, ob es eine neue Chance für den Friedensprozess gibt.

Der Zwist geht auf das Jahr 2006 zurück. Die Hamas nahm damals an Parlamentswahlen in den Palästinensergebieten teil – obwohl sie weder das Existenzrecht Israels anerkannt noch dem Terror abgeschworen hatte. Beides waren damals eigentlich Voraussetzungen für eine Kandidatur.

Die erzwungene Wende

Die Hamas errang die absolute Mehrheit. Am Ende kam es zum Bruch zwischen Fatah und Hamas, der in einem blutigen Putsch mündete. Bei Kämpfen wurde 2007 die Fatah aus Gaza vertrieben, Hunderte kamen ums Leben. Seither werden Anhänger der Hamas im Westjordanland verfolgt, Mitglieder der Fatah in Gaza gejagt.

Nun also die Wende? Wenn, dann wohl gezwungenermassen. Denn die Hamas befindet sich an einem historischen Tiefpunkt. Sie hatte im März ein Verwaltungskomitee gegründet – eine De-facto-Regierung für den Gazastreifen. Dies begründete sie mit dem – teilweise berechtigten – Vorwurf, die Palästinenserregierung in Ramallah investiere zu wenig in den Wiederaufbau des bitterarmen Landstrichs, der durch Krieg und Belagerung verwüstet ist.

Das wollte Palästinenserpräsident Mahmud Abbasnicht hinnehmen. In den vergangenen fünf Monaten verschärfte er die Gangart und brachte Gaza an den Rand des Abgrunds: Er entliess Tausende Beamte seiner Autonomiebehörde in Gaza, die den wichtigsten Teil der Arbeitnehmer dort ausmachten.

Er verknappte die Elektrizität, in Teilen Gazas gab es nur noch zwei Stunden Strom am Tag. Medizinische Behandlungen in Israel wurden nicht mehr genehmigt, es wurden weniger Medikamente nach Gaza geliefert. Die Grenzen des Landstrichs wurden fast hermetisch geschlossen. Hinzu kommt, dass die Hamas international „so isoliert ist wie noch nie“, sagt Hamas-Experte Kobi Michael vom israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien: „Nur noch die Türkei und Katar stehen zur Hamas, und die sind selber im arabischen Raum isoliert.“ Auch die einst engen Beziehungen zum Iran seien fragil.

Abbas in heikler Lage

Angesichts der dramatischen Lage in dem dicht besiedelten Gebiet hatte sich die Hamas an Ägypten gewandt und um Unterstützung gebeten. Die Gruppierung erhoffte sich von Kairo vor allem Treibstoff für die Stromerzeugung. Dafür verlangte Kairo von der Hamas, Schritte zur Aussöhnung mit der Fatah einzuleiten.

In der Erklärung vom Sonntag nun lobt dann die Hamas auch den ägyptischen Geheimdienst für seine Bemühungen, die „Hoffnungen des palästinensischen Volkes zu erfüllen“. Die Hamas will Kairo schmeicheln – und Abbas in die Rolle des Spielverderbers drängen.

„Die Hamas stellt drei Bedingungen auf, denen Abbas nie zustimmen kann“, sagt Experte Kobi Michael. Erstens: Übernähme die Autonomiebehörde die Verantwortung für Gaza, müsste sie auch den Wiederaufbau des Landstrichs bezahlen. Zweitens fordert die Hamas Neuwahlen – sowohl für das Parlament als auch für den Präsidenten –, wissend, dass der unpopuläre 84-jährige Abbas das ablehnen wird. Drittens will die Hamas, dass ein Versöhnungsabkommen von 2011 umgesetzt wird, das unter anderem ihre Beteiligung an der PLO vorsieht, der mächtigsten palästinensischen Organisation.

Nun ist Abbas am Zug – und befindet sich in einer sehr heiklen Lage. Lehnt er jede Hilfe für den Gazastreifen ab, käme das in der eigenen Bevölkerung schlecht an. In Ramallah sucht man angeblich bereits nach Beweisen dafür, dass die Hamas es mit der Aussöhnung nicht ernst meint. Und auch die offizielle Reaktion klingt nicht wirklich kooperativ. So hoben Sprecher in Ramallah hervor, dass die Hamas ihre Kontrolle über die Sicherheitsdienste in Gaza weiterhin nicht aufgeben wollte.

Und der Friedensprozess?

Beobachter haben denn auch wenig Hoffnung. „Die Hamas kontrolliert alles, und daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern“, sagt eine Journalistin in Gaza, die ungenannt bleiben will. „Jeder palavert nur und bereitet insgeheim die Vorwürfe vor, die er der anderen Seite machen will, wenn die Gespräche wieder scheitern.“

Daran ändere die Verkündung der Hamas nichts. „Dabei wollen wir hier doch nur eines: endlich nicht mehr belagert werden und normal leben und reisen können wie alle anderen Menschen auf der Welt.“ Auch Sonntag war man diesem Ziel wohl nicht näher gekommen.

Und der Friedensprozess? Hamas-Forscher Kobi Michael glaubt, es gehe der Hamas nicht nur um ein Signal an Ägypten, sondern auch an Israel. „Die Hamas will zeigen, dass sie keine weitere bewaffnete Konfrontation, sondern gute Beziehungen mit Kairo und den Wiederaufbau Gazas will“, sagt er. Ein Ende der innerpalästinensischen Spaltung hält er indes für „sehr unwahrscheinlich“.

Aber nur ein Ende des palästinensischen Bürgerkriegs wäre eine echte Basis für einen Neuanfang im Friedensprozess. Nur dann könnten die Palästinenser verlässlich mit einer Stimme sprechen. Da es danach nicht aussieht, ist die Hoffnung gering. Im Friedensprozess sei „keinerlei bedeutender Neuanfang zu erwarten“, sagt Kobi Michael.

Zuerst erschienen bei Die Welt.

Über Gil Yaron

Dr. Gil Yaron ist Buchautor, Dozent und Nahostkorrespondent der Tageszeitung und des Fernsehsenders WELT, sowie der RUFA, der Radioabteilung der dpa. Er schreibt ebenso für die Straits Times in Singapur, und arbeitet als freier Analyst in zahlreichen Fernsehsendern.

Alle Artikel

1 Kommentar

Kommentarfunktion ist geschlossen.