Eine fatale Ausgrenzung von Fakten

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Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Falkenstrasse 11, in Zürich-Seefeld. Foto Roland zh. CC BY-SA 3.0
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In einem ansonsten sehr guten Meinungsartikel hat NZZ-Korrespondent Ulrich Schmid unter „Israels fatale Ausgrenzung“ in einem kurzen Abschnitt Fakten verdreht und nicht gekennzeichnete parteiische Meinungen wiedergegeben, die in einem Kommentar in der NZZ nichts zu suchen haben.

1. „Die Welt hält die Besetzung des Westjordanlands für rechtswidrig.“

Wer genau ist „ die Welt“ – Nach welchen Rechtsnormen richtet sich dieses Dafürhalten? Die Besatzung ist zudem die Folge eines Krieges (1967). Sie konnte bisher nicht rückgängig gemacht werden, zumal Jordanien als „Vorbesatzer“ keine international anerkannten Rechtsansprüche stellen konnte, alle Arabischen Staaten mit ihrem dreifachen „Nein“ von Khartum 1967 jegliche Friedensgespräche mit Israel unterbunden hatten und die Palästinenser sich damals noch nicht als Volk mit territorialen Ansprüchen auf die heute noch von Israel besetzten Gebiete konstituiert hatten. „Besatzung“ ist ein im Völkerrecht verankerter Zustand mit genauen Regeln (Militärverwaltung), an die sich Israel ausser in Jerusalem und auf den nicht-palästinensischen Golan-Höhen hält.

2. „Die Siedlungspolitik Netanyahus ist kurzsichtig und torpediert Friedensbemühungen.“

Welche Friedensbemühungen? US-Aussenminister John Kerry hat erst kürzlich bestätigt, dass der Friedensprozess auf Eis liege. Die Siedlungspolitik wurde seit 1968 von allen sozialistischen Regierungen Israels wesentlich „aggressiver“ vorangetrieben als heute unter Netanjahu. Auf der palästinensische Seite stehen Terror, Hetze, Verweigerung von Gesprächen und der Boykott Israels auf der “friedlichen” Agenda.

3. „Die schleichende Enteignung von Land in den besetzten Gebieten empört und entmutigt die Palästinenser.“

Falsche Fakten. Es wird kein Land von Palästinensern enteignet. Im Gegenteil. Das Oberste Gericht Israels lässt jüdische Häuser auf palästinensischem Privatland zerstören, um das Land den Eigentümern zurück zu geben. Den bis heute als „besetzt“ geltenden Gazastreifen hat Israel 2005 komplett geräumt und jegliche „schleichende Enteignung“, etwa durch den Bau von Siedlungen und deren Zerstörung, vollständig rückgängig gemacht. Auf die sogenannten „Autonomiegebiete“ im Westjordanland hat Israel keinen Zugriff. Es bleiben also nur die „C-Gebiete“, in denen Israel bis zu einer politischen Lösung die Verwaltungshoheit besitzt. Entsprechend dem Völkerrecht gilt in diesem Gebiet Militärrecht. Juden wie Palästinenser müssen sich bei der Militärverwaltung, euphemistisch „Zivilverwaltung“ genannt, Baugenehmigungen einholen. Von einer „schleichenden Enteignung“ kann also keine Rede sein, solange diese Gebiete nicht, wie die Autonomiegebiete, vertraglich den Palästinensern zugesprochen worden sind.

4. „Israels Soldaten wehren sich gegen Angriffe, aber ihre eigenen Übergriffe gegen Leib und Leben von Palästinensern sind gut dokumentiert.“

Jede Armee wehrt sich gegen Angriffe. Das ist der Sinn von Armeen. Mit der Dokumentation von Übergriffen durch Soldaten beschäftigt sich die IDF selber. Interessant ist aber, dass der Autor der NZZ an dieser  Stelle völlig zu erwähnen vergisst, dass es Übergriffe von Palästinensern auf Soldaten gibt.

5. „Die Zerstörung von Wohnhäusern der Familien von Terroristen widerspricht moderner Rechtsauffassung.“

Wie moderne Schweizer Rechtsauffassung im Umgang mit Terroristen aussieht, ist auch der NZZ hinlänglich bekannt: «Die palästinensischen Kommandos befanden sich im bewaffneten Befreiungskampf», hält Jean Ziegler fest. «Unter diesen Umständen gegen eines ihrer Mitglieder strafrechtlich vorzugehen, wäre nicht empfehlenswert gewesen.»

6. „Netanyahus Politik ist heuchlerisch. Offiziell spricht er von der Zweistaatenlösung, inoffiziell lässt er sein Volk wissen, dass es mit ihm keine geben werde.“

Das stimmt so nicht. Sein Vorschlag einer Zweistaatenlösung, in der Bar Illan Universität 2009 vorgetragen, wurde postwendend von der Palästinensischen Autonomiebehörde zurückgewiesen. Ausserdem: Wie lässt ein Regierungschef sein Volk etwas „inoffiziell“ wissen?

7. „Er ( Netanjahu) lügt, agitiert, spitzt zu und verwaltet fintenreich einen Stillstand, in dem sich viele Bürger ganz gut eingerichtet haben.“

Mit Stillstand ist wohl der nicht-existente Friedensprozess gemeint. Wer die Schuld dafür trägt, gewiss nicht nur Netanjahu, steht an dieser Stelle nicht zu Debatte. Was sollte Netanjahu sonst tun? Natürlich muss er als Regierungschef einen bestehenden Zustand „verwalten“. Genauso „verwaltet“ Obama seine Syrienpolitik oder Merkel die Flüchtlingswelle. Und wenn er das „fintenreich“ tut, umso besser.

8. „Der Apartheidstaat, dessen Konturen bereits sichtbar sind, verfestigt sich.“

Definiere Apartheid: Aktuell befinden sich 16 Araber in der Knesset, während im Schweizer Nationalrat nur ein einziger Mensch mit Migrationshintergrund sitzt: „Migranten im engeren Sinn – also Menschen, die nicht in der Schweiz geboren sind und von denen weder Mutter noch Vater Schweizer sind – gibt es im Nationalrat nur eine: die aus der Slowakei stammende Yvette Estermann (SVP/LU). Bis 2011 sass mit Ricardo Lumengo (damals SP/BE) ein gebürtiger Angolaner im Nationalrat ein.“

 

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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3 Kommentare

  1. „Die Zerstörung von Wohnhäusern der Familien von Terroristen widerspricht moderner Rechtsauffassung.“
    Falsch!

    Juristisch müsste man hier erst einmal das Wort Terroristen definieren.
    Dürfte aber keine große Schwierigkeiten geben, den Terroristen als handelsüblichen Verbrecher, Massenmörder, zu klassifizieren.
    Damit wären wir aus dem Internationalen Recht sowie bi- und multilateralen Verträgen raus.

    Er dürfte also im Inland nach strafrechtlichen Gesetzen abgeurteilt werden.

    Darf man denn nun die Häuser der Familien zerstören?
    Unter bestimmten Bedingungen schon.
    Da lässt sich auch ein Fall aus Deutschland anführen:
    Der 17jährige Tim Kretschmer begeht einen Amoklauf und ermordet in Winnenden 15 Menschen.
    Ein Gericht befindet später, der Vater habe sich des 15fachen Mordes mitschuldig gemacht.
    Der Sohn hatte die Waffe des Vaters genutzt.

    Merke:
    Entfallen Schuldanteile der Tat auf andere Familienmitglieder, so können diese haftbar gemacht werden.

    Die Familie wurde durch die zivilrechtlichen Ansprüche schwer belastet.
    Nun ist es in Israel so, dass es für Araber wie für Juden tödlich wäre, in das beschlagnahmte und per Verwaltungszwang verwertete Haus der Familie eines Massenmörders zu ziehen.
    Das Haus kann also dauerhaft keiner Verwertung zugeführt werden – es ist zum Eigentum des Staates geworden.

    Selbstverständlich kann der Staat ein solches Haus, wenn nicht verwertbar, abreissen lassen.

  2. Endlich! Ich versuchte mal selber die Schreiberei von Hr. Schmid auf der NZZ-Seite zu kommentieren, aber konnte eine endlose Warteschleife nicht überstehen. Vielen Dank!

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