Fussball in Israel: Ein SRF-Interview im Faktencheck

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Maccabi Tel-Aviv Fans vor dem Champions League Spiel gegen Chelsea. Foto joshjdss - Chelsea Vs Maccabi Tel-Aviv, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45453537
Maccabi Tel-Aviv Fans vor dem Champions League Spiel gegen Chelsea. Foto joshjdss - Chelsea Vs Maccabi Tel-Aviv, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45453537
Lesezeit: 8 Minuten

In einem Interview von Radio SRF4 News zeichnet der Geschichtsprofessor und Fussballexperte Moshe Zimmermann im Einklang mit der Moderatorin ein überwiegend negatives Bild vom eminent politischen Charakter des israelischen Fussballs. Die Gewichtungen und Auslassungen sind dabei allerdings fragwürdig.

 

Dass Fussball «die schönste Nebensache der Welt» sei, ist eine etwas abgedroschene Weisheit, die sich gleichwohl nach wie vor überaus grosser Beliebtheit erfreut. Auch die Journalistin Marlen Oehler leitet damit ihr Interview ein, das sie für die SRF4 News Sendung «Zwischen den Schlagzeilen» mit Moshe Zimmermann geführt hat, einem Professor für deutsch-jüdische Geschichte und Körpergeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, der gleichzeitig ein grosser Fussballfan ist. Er soll jedoch erklären, warum dieser Sport im jüdischen Staat gerade nicht nebensächlich ist, sondern eine andere Bedeutung und Verortung hat als in Europa und «zutiefst politisch» ist, wie Oehler sagt. Schliesslich zeigten sich die «Rivalitäten zwischen der Arbeiterbewegung, dem zionistischen Bürgertum, den Rechtsnationalen oder der Siedlerbewegung» auch im Fussball.

Tatsächlich lässt sich der israelische Fussball nicht ohne seine politischen Umstände verstehen. Das gilt bereits für die Anfänge vor über hundert Jahren, denn sämtliche jüdischen Vereine, die im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina existierten, waren Ableger politischer Organisationen, die jeweils unterschiedliche Strömungen der noch jungen zionistischen Bewegung repräsentierten (und das – mit Abstrichen – bis heute tun): Der 1912 gegründete Maccabi-Verband stand den Bürgerlichen nahe, die 1924 ins Leben gerufene Vereinigung Beitar war eine Organisation der sogenannten Revisionisten, und der 1926 entstandene Verband Hapoel (zu Deutsch: «Der Arbeiter») wurde als Kind der Gewerkschaft Histadrut geboren. Fussball diente als Instrument zur politischen Bewusstseinsbildung, dementsprechend gab es von Beginn an eine lebhafte Konkurrenz zwischen den Vereinen.

Zimmermann verdeutlicht die teilweise grossen Unterschiede anhand einer Gegenüberstellung der Jerusalemer Vereine Hapoel Katamon und Beitar. Ersterer sei «besonders liberal und offen», Letzterer «besonders ethnozentrisch bis rassistisch». Zumindest nimmt Katamon, benannt nach einem Stadtteil von Jerusalem, unter den israelischen Klubs in der Tat eine Sonderstellung ein. Er wurde von Fans gegründet, wird von ihnen geführt und spielt in der Liga Le’umit, der zweithöchsten Klasse Israels. Er ist das Kind enttäuschter Anhänger von Hapoel Jerusalem, die vergeblich versucht hatten, ihren sportlich weitgehend bedeutungslos gewordenen und hochverschuldeten Lieblingsverein, der 1973 den israelischen Pokal gewonnen hatte und lange Zeit auf Augenhöhe mit dem Stadtrivalen Beitar war, zu kaufen.

Im Jahr 2007 bauten sie Katamon bei einem bereits existierenden Viertligisten auf, unternahmen zwei Jahre später einen – ebenfalls erfolglosen – Versuch einer Fusion mit Hapoel Jerusalem und gründeten schliesslich Hapoel Katamon Jerusalem als eigenständigen Verein, der fortan gewissermassen das «wahre» Hapoel Jerusalem verkörpern sollte. Der Klub begann in der untersten, fünften Spielklasse, stieg 2010, 2011 und 2013 jeweils auf und spielt nun in der zweiten Liga, eine Klasse über Hapoel. Ausserdem hat er deutlich mehr Zuschauer – und sozial engagierte Fans, die beispielsweise äthiopischen Immigranten Hebräisch beibringen und Schulkinder betreuen.

Beitar Jerusalem: Antiarabische Aktivitäten – und ein Antirassismus-Preis

Bei Beitar Jerusalem dagegen akzeptierten die Fans «keine arabischen Spieler, auch keine israelisch-arabischen, in ihrer Mannschaft», so Moshe Zimmermann. In der israelischen Nationalmannschaft wollten sie sie ebenfalls nicht sehen. Tatsächlich gehen heftige antiarabische Aktivitäten auf das Konto von Beitar-Fans, insbesondere der Gruppe La Familia. Im März 2012 etwa griffen Beitar-Anhänger nach einem Spiel arabische Israelis in einem Supermarkt an, im Februar 2013 wurde im Clubhaus von Beitar sogar Feuer gelegt, nachdem der Verein angekündigt hatte, zwei muslimische Spieler unter Vertrag zu nehmen. Schon in der Vergangenheit hatte die Klubführung nach massiven Protesten von der Verpflichtung arabischer Spieler abgesehen. Feindselige Rufe gegen Araber im Stadion sind bei Beitar ohnehin eher die Regel als die Ausnahme.

Mehrfach hat der israelische Fussballverband den Klub bestraft: mit Geldbussen, mit der vorübergehenden Schliessung der Kurve, mit Spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit Punktabzügen. Auch in der israelischen Öffentlichkeit und Politik werden die Ausschreitungen stets scharf verurteilt. Der frühere Premierminister Ehud Olmert etwa, seit langem ein Anhänger von Beitar Jerusalem, schrieb im Januar 2013 in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Yedioth Ahronoth, er werde so lange keine Spiele seines Lieblingsvereins mehr im Stadion anschauen, «bis die Rassisten von den Rängen und aus dem Klub entfernt worden sind». Die erwähnten beiden muslimischen Spieler wurden schliesslich verpflichtet, und als einer von ihnen, der Tschetschene Gabriel Kadiev, bei seinem ersten Einsatz im Spiel gegen den arabischen Klub Bnei Sachnin eingewechselt wurde, übertönte der Applaus auf den Rängen die Pfiffe und Schmährufe deutlich.

Im August dieses Jahres wurde der Klub sogar vom israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin dafür ausgezeichnet, antirassistische Aktivitäten unternommen und den Rassismus in den Reihen der eigenen Anhängerschaft deutlich reduziert zu haben. Der Gründer des populären israelischen Fussball-Blogs BabaGol, Uri Levy, sagte, bei Beitar seien Fortschritte unverkennbar. «Wenn wir uns den internationalen Ruf des Klubs anschauen, klingt es natürlich komisch, dass Beitar einen Antirassismus-Preis bekommt. Aber die Wahrheit ist, dass die Fans im vergangenen Jahr eine Menge Arbeit investiert und eine Veränderung gesucht haben.» Zu dieser neueren Entwicklung ist von Moshe Zimmermann im SRF4 News-Interview nichts zu vernehmen, dabei ist sie von erheblicher Bedeutung, zumal sie einen Vorbildcharakter hat.

Arabisch-israelischer Fussballer: doppelte Diskriminierung?

Dafür spricht Moderatorin Oehler den Fall des Nationalspielers Munas Dabbur an, der früher für den Grasshopper Club Zürich gespielt hat und inzwischen bei Red Bull Salzburg unter Vertrag steht. Anfang des Jahres nahm der österreichische Klub seinen israelischen Fussballer nicht mit ins Trainingslager nach Abu Dhabi, nachdem ihm die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate kein Visum ausgestellt hatten – weil er Israeli ist. An dieser Diskriminierung und dem Verhalten von Red Bull Salzburg gab es heftige Kritik. Nun wollten ihn manche Fans wegen seiner arabischen Herkunft nicht in der Nationalmannschaft spielen sehen, sagt Oehler. Das sei eine «doppelte Diskriminierung».

Zimmermann stimmt ihr zu: «Das ist das Problem der israelischen Araber. Die israelischen Araber sind eine Minderheit. Diese Minderheit ist hier benachteiligt, also ist auch ein israelischer Fussballspieler, der Araber ist, quasi automatisch diskriminiert. Aber wenn er ausserhalb Israels einen Auftritt hat, ist er plötzlich Israeli, und dort wird er als Israeli diskriminiert.» Eine einfache Gleichsetzung, die – wie auch der Satz mit der «doppelten Diskriminierung» – übergeht, dass es qualitativ wie quantitativ erhebliche Unterschiede zwischen den Nachteilen für arabische Israelis im jüdischen Staat und dem staatlichen Antisemitismus in Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt. Und dass es ein Unterschied ist, ob ein arabischer Fussballer – der in Israel die Staatsbürgerschaft mit allen Rechten bekommen und für die Nationalelf spielen kann – von manchen Fans aus verurteilungswürdigen Gründen abgelehnt (und zugleich von vielen anderen verehrt und gefeiert) wird oder ob er als Israeli in bestimmte Länder prinzipiell nicht einmal einreisen darf.


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Was Zimmermann überbetont und worüber er schweigt

Fragwürdig ist auch das Gewicht, das Oehler und Zimmermann den gerade einmal sechs unterklassigen Vereinen aus israelischen Siedlungen im Westjordanland beimessen, die am israelischen Spielbetrieb teilnehmen. Sie seien «ein Affront gegen die Grundregeln der FIFA», findet Zimmermann, der Weltfussballverband «hätte sie eigentlich boykottieren müssen», was so viel heisst wie: ausschliessen. Doch er habe nicht unterschieden «zwischen Mannschaften aus dem Kernland Israels und israelischen Mannschaften, die die Siedlungen in den besetzten Gebieten repräsentieren». Die Palästinenser hätten zwar «mehrmals versucht, hier etwas in Bewegung zu setzen», seien aber «gescheitert, weil sowohl die FIFA als auch die Politik in Europa irgendwie Schiss haben, wenn es um die israelische Reaktion geht».

Zimmermann spielt hier auf die FIFA-Statuten an, nach denen ein Klub nicht auf dem Territorium eines anderen Verbandes spielen darf, wenn dieser das ablehnt. Und da die Palästinenser die Gebiete von Orten wie Ma’ale Adumim, Ariel und Givat Ze’ev für sich reklamieren, sind sie der Ansicht, dass die dort ansässigen Freizeitklubs ihre Partien nicht in den Siedlungen austragen, ja, gar nicht zum israelischen Fussballverband, der IFA, gehören dürfen. Die IFA hingegen argumentiert, die Gebiete im Westjordanland, auf denen die Vereine spielen, seien umstritten, nicht besetzt, und die genaue Aufteilung sei eine Angelegenheit, die nicht der FIFA obliege, sondern von Israelis und Palästinensern auf politischer Ebene geklärt werden müsse. Der Weltfussballverband hat eine Task-Force eingesetzt, um zu einer Lösung zu kommen, und Ende Oktober bekannt gegeben, dass er nicht gegen den israelischen Verband vorgehen werde – eben weil der Konflikt einer sei, der auf politischer Ebene behandelt werden müsse.

«Schiss» vor der israelischen Reaktion dürfte dabei weniger der Grund gewesen sein als die Unmöglichkeit eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Sichtweisen. Doch selbst wenn die FIFA ihre Entscheidung tatsächlich aus Furcht vor Kritik getroffen hätte, wäre diese Kritik dadurch nicht hinfällig geworden. Schliesslich bleibt der Verband stets untätig, wenn palästinensische Fussballklubs – auch solche aus der höchsten Liga – bei ihren Spielen getötete antiisraelische Terroristen als «Märtyrer» feiern und Sporteinrichtungen und Turniere nach antiisraelischen Terroristen benennen oder wenn der Vorsitzende des palästinensischen Fussballverbands, Jibril Rajoub, mit antisemitischen Äusserungen und Aktivitäten von sich reden macht und Terror gegen den jüdischen Staat verherrlicht.

Insgesamt zeichnet Moshe Zimmermann ein überwiegend negatives Bild vom israelischen Fussball und unterschlägt bei seiner Kritik beispielsweise, dass der arabische Antisemitismus und die damit verbundene Bedrohung Israels bei einer der aktivsten Fangruppierungen im jüdischen Staat, den Ultras von Hapoel Tel Aviv, kein Thema sind und ihre Mitglieder bei Spielen auch schon mal Parolen wie «Gebt Jerusalem den Palästinensern» oder «Jerusalem gehört zu Jordanien» skandieren. Ebenfalls nicht zur Sprache kommt die Tatsache, dass der israelische Fussballverband nur deshalb Mitglied des europäischen Verbands UEFA geworden ist, weil er von den arabischen Verbänden boykottiert wurde und wird und daher sowohl seine Nationalmannschaft als auch die israelischen Klubs nicht der eigentlich zuständigen Asiatischen Fussball-Konföderation (AFC) angehören.

Somit fehlen im Interview wesentliche Aspekte. Es wäre an Marlen Oehler gewesen, sie zu thematisieren. Womöglich fehlt es ihr jedoch an Hintergrundwissen, oder sie hat es bewusst nicht eingesetzt. Zudem mutet es merkwürdig an, dass der politische Charakter des Fussballs in Israel von Oehler kritisch gesehen wird, sie jedoch zugleich beispielsweise in der Frage der Vereine aus den Siedlungen wie ihr Interviewpartner einen explizit politischen Standpunkt einnimmt. Ohnehin wirkt das Gespräch mindestens teilweise so, als dienten Zimmermanns Einschätzungen weniger einem Erkenntnisgewinn als vielmehr der Bestätigung bereits vorgefertigter Ansichten. Auf die Qualitätsstandards und -sicherung des Senders wirft all dies kein gutes Licht.

Über Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt ist freier Autor und lebt in Köln. Er hält Vorträge zu den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost und schreibt regelmässig für verschiedene Medien unter anderem für die «Jüdische Allgemeine» und «Mena-Watch». Zudem ist er der Betreiber des Blogs «Lizas Welt». Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von »Vereinte Nationen gegen Israel«, erschienen bei Hentrich & Hentrich 2018.

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