Gazakrieg: Ausser Spesen nichts gewesen

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IDF-Soldaten in Gaza. Foto Israel Defense Forces
IDF-Soldaten in Gaza. Foto Israel Defense Forces
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Fünfzig Tage dauerte der Gaza-Krieg. Die Konditionen für die Feuerpause sind noch nicht ausgehandelt. Dennoch kann man schon Bilanz ziehen: Glücklicherweise gibt es nur Sieger 

Hamas siegte

Die Hamas hat das mit Bonbons und Freudenschüssen gross gefeiert. Dabei gab es zwei Tote und Verletzte. Doch das schien niemanden wirklich zu kümmern. Und selbst die „über 400 getöteten Kinder“, darunter viele junge Männer zwischen 16 und 18, gelten auf palästinensischer Seite offenbar als schnell reproduzierbares Kanonenfutter. Wie sollte man sonst den Satz der 20 Jahre alten Sakka bei dem TV-Sender aus Qatar, Al Jazeera, verstehen: “Ich will weitere Kinder zur Welt zu bringen, um jene zu ersetzen, die Israel uns genommen hat.“ Sprecher der Hamas verkündeten: 4.500 neue Babys kamen während des Krieges in Gaza zur Welt. Hand aufs Herz: Was sind schon 2.000 Märtyrer, wenn man damit Israel des Völkermordes und der Massaker bezichtigen kann?  Der Wert eines toten Menschen liegt ganz im Auge des Betrachters und den interessieren weniger die Opfer, als die Täter.

In Europa gehen wegen der Toten aus Gaza die Antisemiten auf die Strasse und rufen „Israel, Kindermörder“, doch in der arabischen Welt zwischen Syrien, Irak und Libyen kann die Hamas mit „nur“ 2.000 Toten nicht wirklich punkten. Im Gegensatz zu den Vorgängen in Damaskus, Aleppo, Bagdad oder Mosul, wo täglich Autobomben explodieren und seit Neuestem, im wahrsten Sinne des Wortes, die Köpfe rollen, hat die Hamas einen unersetzbaren Ortsvorteil. Niemanden interessiert es, wenn Moslems oder Araber sich gegenseitig umbringen. Doch Juden als „Täter“ garantieren grosse Schlagzeilen. (Um hier nicht als Ketzer ohne Empathie missverstanden werden, sei darauf hingewiesen, dass in Europa eine gesunkene Fähre in Bangladesch weniger Mitgefühl auslöst als ein Flugzeugunglück.)

Auch die Trümmer sind kein echter Verlust. Die Weltgemeinschaft sammelt schon fleissig die Millionen, um alles wieder aufzubauen. Für die Hamas ist es deshalb „billig“, innerhalb weniger Jahre gleich drei Kriege gegen Israel anzuzetteln. Sie weiss schon im Voraus, dass Andere die Zeche für die Sachschäden zahlen werden. Das Auswärtige Amt in Berlin hat für den Gazastreifen  die „humanitäre Hilfe“ auf 80 Mio. Euro aufgestockt und gleichzeitig „als Zeichen der Solidarität“ der israelischen Gesellschaft „Natal“ zur Behandlung traumatisierter Kinder, aus den Ortschaften nahe dem Gazastreifen, einen Scheck in Höhe von 50.000 Euro überreicht.

Siegreich war der militärische Arm der Hamas-Partei, weil er 50 Tage lang der stärksten Armee des Nahen Ostens heldenhaft getrotzt hat. Allein die Drohung, den Ben Gurion Flughafen zu beschiessen, reichte aus, den jüdischen Staat von der Welt abzuschneiden. Fluggesellschaften aus USA und Europa weigerten sich, Israel anzufliegen.

Israel siegte

Auch Israel hat gesiegt, wenn man Premierminister Benjamin Netanjahu glauben darf. Die Hamas und andere Terroristen seien „schwer geschlagen“ worden. Über 1.000 Kämpfer und viele Ihrer Befehlshaber wurden getötet. Angriffstunnel seien zerstört worden. Die meisten Raketen wurden verschossen oder am Boden zerstört. Hamas-Anführer wie Ismail Haniyeh mussten sich unter der Erde verstecken. Die Hamas erhält weniger, als sie vor Beginn der Operation „Beständiger Felsen“ hatte. Ein See- oder Flughafen kommen nicht in Frage. Ägypten sperrt sich gegen die Öffnung der Grenze zum Sinai. Israel habe von der „globalen Gemeinschaft“ volle diplomatische Unterstützung erhalten, während die Hamas isoliert sei.

Gab es vielleicht dennoch Verlierer?

Angesichts des überschwänglichen Eigenlobs beider Sieger fragt sich, ob es auch Verlierer gab. Bei nüchterner europäischer Betrachtung sind Krieg, Tote und Zerstörung schrecklich, selbst wenn alles in keinem Verhältnis zu Syrien, Irak oder Libyen steht

Verlierer ist im Gazastreifen offensichtlich die Hamas. Nach willkürlichen Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, 500.000 Obdachlosen und einem Leben ohne Strom und Wasser gab es erste Anzeichen für einen Volksaufstand gegen die Hamas-Diktatur. Das sei der wahre Grund für die Bereitschaft der Hamas, nach elf gebrochenen Waffenstillständen jetzt doch einer unbefristeten Feuerpause zuzustimmen.

In Israel stürzte die Popularität des Premierministers ab. Erst galt sein Vorgehen als „umsichtig“ und „besonnen“. Doch je mehr Raketen den Staat lahm legten, verstärkten sich Stimmen der Stammtischstrategen, darunter Kabinettsminister, die ein „Plattmachen“ des Gazastreifens und eine „Vernichtung der Hamas“ forderten.

Verlierer sind in jedem Fall die Israelis, die Palästinenser und die Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung. Denn nach diesem Gazakrieg dürfte sich keine israelische Mehrheit finden, um Zustände wie im Gazastreifen nun auch im Westjordanland und in Ostjerusalem zuzulassen.

In Nablus, Ramallah und Bethlehem demonstrierten Tausende für die Hamas. Präsident Mahmoud Abbas deutete das Ende der Einheitsregierung an und forderte von der Hamas, ihre Niederlage einzugestehen. Also wird es bei den Palästinensern so bald keine Neuwahlen geben. Nur so könnte Abbas einen Wahlsieg der Hamas wie 2006 verhindern. Doch ohne palästinensische Einheit und demokratischer Legitimierung von Präsident Abbas fragt sich, welchen Wert seine Unterschrift unter einem „Friedensvertrag“ zwischen „Palästina“ (inklusive Gazastreifen) und Israel hätte.

Offen bleibt, wie lange die Weltgemeinschaft noch die Spesenrechnung für die “Blockbuster”* aus Palästina begleichen will.

*Blockbuster = Kassenschlager, Wohnblockknacker-Bomben im Zweiten Weltkrieg, und Filme wie Ben Hur, Lawrence of Arabia, Exodus, Kleopatra, die Bibel und Pallywood

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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4 Kommentare

  1. Sehr guter Bericht, sachlich, sehr verständlich, sogar für Leute, die sich bisher nicht sehr mit Nahost beschäftigt haben.

  2. Dank für die sachliche Beschreibung der Lage! Ulrich Sahm ist der weisse Rabe unter den Medienleuten. – D soll sich schämen für die 30 000 €. Entweder gibt man nichts, aber wenn, dann nicht eine solche mickerige Summe. Israel braucht jeden Cent, so wird es die Gabe nicht zurückweisen. Sch…e! damit ich mich poetisch ausdrücke.
    lg
    caruso

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