Korruption im palästinensischen Gesundheitswesen

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Ein palästinensischer Mann wird am Erez-Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Israel, in ein israelisches Krankenhaus transportiert. Foto Magen David Adom
Lesezeit: 8 Minuten

Frage: Wie erhalten palästinensische Patienten Genehmigungen für die ärztliche Behandlung in Krankenhäusern in Israel oder in anderen Ländern der Welt? Antwort: Indem sie hochrangige palästinensische Beamte im Westjordanland und im Gazastreifen bestechen. Die, die es sich nicht leisten können, Bestechungsgelder zu zahlen, werden in schlecht ausgestatteten und unterbesetzten Krankenhäusern dem Tod überlassen, besonders im Gazastreifen.

von Khaled Abu Toameh

Doch offenbar sind einige Palästinenser gleicher als andere: Palästinenser, deren Leben nicht in Gefahr ist, aber die so tun als ob. Dazu gehören Geschäftsleute, Händler, Universitätsstudenten und Verwandte hochrangiger Beamter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der Hamas. Diese erhalten unter dem Vorwand, es handele sich um einen medizinischen Notfall, die Genehmigung, nach Israel oder in andere Länder zu reisen.

Viele Palästinenser geben dem Gesundheitsministerium der PA im Westjordanland die Schuld für diese Situation. Sie behaupten, hochrangige Ministerialbeamte missbrauchten ihre Macht, um Bestechungsgelder von echten Patienten und anderen Palästinensern, die mithilfe der ärztlichen Genehmigung den Gazastreifen oder das Westjordanland verlassen wollen, einzustreichen. Aufgrund dieser Korruption haben viele echte Patienten nicht die Möglichkeit, eine angemessene medizinische Versorgung in Israel oder in anderen Ländern zu erhalten.

Das gilt natürlich nicht für hohe palästinensische Beamte und ihre Familien, die israelische Krankenhäuser und andere medizinische Zentren in Jordanien, Ägypten, den Golfstaaten und Europa ausgiebig nutzen.

Sogar die Führungsspitze der Hamas hat Zugang zu israelischen Krankenhäusern. 2013 wurde Amal Haniyeh, die Enkelin von Hamas-Führer Ismail Haniyeh, in ein Krankenhaus in Israel gebracht, als sie dringend medizinische Hilfe benötigte. Ein Jahr vorher wurde Haniyehs Schwester Suheilah in einem israelischen Krankenhaus am Herzen notoperiert.

Haniyeh benötigte jedoch kein Geld, um in Israel eine ärztliche Behandlung für seine Enkelin und seine Schwester zu erhalten. In der Tat sind einige Palästinenser ganz offensichtlich gleicher als andere.

Die Korruption im palästinensischen Gesundheitssystem, sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen, ist seit Langem ein offenes Geheimnis. Palästinenser ohne entsprechende Beziehungen und ohne Geld, das sie hohen Beamten oder Ärzten in die Hand drücken können, wissen genau, dass sie niemals sogenannte „ärztliche Überweisungen ins Ausland“ erhalten werden. Die Unterschrift eines Arztes oder eines hochrangigen Beamten der Gesundheitsbehörde ist im Westjordanland und im Gazastreifen das wertvollste Gut. Denn diese Unterschrift ermöglicht es Patienten, in Israel und in verschiedenen anderen Ländern eine kostenlose medizinische Behandlung zu erhalten.

Da es keine klaren Regelungen gibt, wer berechtigt ist, dieses Privileg zu nutzen, ist Korruption im palästinensischen Gesundheitssystem weit verbreitet. Vetternwirtschaft spielt dabei eine grosse Rolle. Die Verwandten eines hochrangigen palästinensischen Beamten können problemlos in ein israelisches, jordanisches oder ägyptisches Krankenhaus transferiert werden, während arme Patienten aus dem Gazastreifen monate- oder jahrelang darauf warten, eine solche Genehmigung zu erhalten.

Die Hamas und die PA spielen mit dem Leben der kranken Palästinenser. Sie haben medizinische Versorgung zu einem Geschäft gemacht, an dem sie jedes Jahr Hunderttausende Dollar verdienen. Diese Korruption sowie fehlende Transparenz und Rechenschaftspflicht ermöglichen es den Spitzenfunktionären im Westjordanland und im Gazastreifen, Millionen von Schekel des PA-Budgets zu unterschlagen.

Obwohl sowohl die Palästinensische Autonomiebehörde als auch die Hamas versprochen haben, diese Ausbeutung der palästinensischen Patienten zu bekämpfen, berichten die Palästinenser selbst, dass es keine Verbesserung gebe. Ihnen zufolge werden mehr als 70 % der ärztlichen Überweisungen an Krankenhäuser in Israel oder in anderen Ländern nicht dokumentiert und es ist unklar, wo und wie das Geld ausgegeben wird.

2013 gab die PA beispielsweise mehr als eine Milliarde Schekel für die Behandlung von Palästinensern in Krankenhäusern ausserhalb der palästinensischen Gebiete aus. Es weiss jedoch niemand, wofür genau das Geld verwendet wurde, und ob alle, die eine Überweisung erhielten, wirklich medizinische Hilfe benötigten.

Die PA behauptet, dass 2014 mehr als 54.000 Palästinenser aus Gaza ärztliche Überweisungen für eine Behandlung ausserhalb des Gazastreifens erhielten. Die Gesundheitsbehörde im Gazastreifen kennt jedoch nur 16.382 dokumentierte Fälle echter Patienten, die eine solche Genehmigung bekamen.

Zwischen 1994 und 2013 fragte die Palästinensische Autonomiebehörde israelische Krankenhäuser nicht nach detaillierten Rechnungen für die Behandlung palästinensischer Patienten. Das Geld wird monatlich von den Steuern, die Israel einnimmt, abgezogen und später an die PA überwiesen.

Die Coalition for Accountability and Integrity (Koalition für Integrität und Rechenschaftspflicht, AMAN), eine palästinensische Gruppe, die in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung tätig ist, um Korruption zu bekämpfen und Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht in der palästinensischen Gesellschaft zu fördern, ist eine der wenigen Institutionen, die wegen dieses Amtsmissbrauchs die Alarmglocken läuten.

Letztes Jahr veröffentlichte die AMAN einen Bericht, in dem sie vor Korruption in der Abteilung für ärztliche Überweisungen ins Ausland, die zum PA-Gesundheitsministerium gehört, warnte. Der Bericht wies auf Diskrepanzen zwischen den Behandlungskosten an israelischen und anderen Krankenhäusern und den tatsächlichen Rechnungen hin. Beispielsweise sollen 113 Palästinenser für drei Millionen Schekel in israelischen Krankenhäusern behandelt worden sein, es gibt jedoch keinerlei Dokumentation für all diese Fälle. Noch nicht einmal die Identität der Patienten ist bekannt.

Laut dem Bericht der AMAN sind die Massnahmen, die die palästinensische Gesundheitsbehörde getroffen hat, um Vetternwirtschaft, Bestechung und Verschwendung öffentlicher Mittel zu bekämpfen, nicht ausreichend. Ärzte werden von der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Druck gesetzt, Überweisungen an Krankenhäuser in Israel und der ganzen Welt auszustellen – auch für Menschen, die dies gar nicht benötigen. Einige dieser Patienten hätten in palästinensischen Krankenhäusern behandelt werden können, so der Bericht. Es gab keinen Grund, sie zu sehr hohen Kosten in ein anderes Krankenhaus zu verlegen.

Die PA sagt, sie habe ihre Kommission zur Korruptionsbekämpfung gebeten, den Skandal zu untersuchen. Bis heute ist unklar, ob konkrete Massnahmen gegen die Verantwortlichen ergriffen wurden.

Die Hamas macht weiterhin die PA für die Not der Patienten im Gazastreifen verantwortlich. Die islamistische Bewegung behauptet, die PA-Regierung würde keine ärztlichen Überweisungen ausstellen, um die Palästinenser für ihre Unterstützung der Hamas zu bestrafen.

Die Wahrheit sieht jedoch etwas anders aus: Auch Gesundheitsbeamte im Gazastreifen, die mit der Hamas verbunden sind, nutzen die Notlage der Patienten aus. Die Hamas hat kein Interesse daran, dass das ans Licht kommt.

Hajer Harb, eine mutige palästinensische Journalistin aus dem Gazastreifen, fertigte vor Kurzem einen Untersuchungsbericht über die Korruption der Gesundheitsbehörden im Westjordanland und im Gazastreifen an. Sie ist wiederholt von der Hamas verhört worden.

Harb sagt, sie müsse sich nun wegen „übler Nachrede“ vor Gericht verantworten, weil sie die Korruption aufgedeckt hat. Bei der Vernehmung erfuhr sie, dass die Untersuchungen eingeleitet wurden, nachdem ein Arzt im Gazastreifen Beschwerde wegen „Verleumdung“ gegen sie eingereicht hatte.

Die Vernehmungsbeamten der Hamas forderten Harb auf, ihre Quellen und die Identität derer, die in den Korruptionsskandal involviert seien, preiszugeben. „Ich sagte ihnen, ich sei eine Journalistin und könne ihnen die Identität meiner Quellen ohne Gerichtsbeschluss nicht nennen“, meinte Harb.

„Die Staatsanwaltschaft sagte mir, ich werde wegen der folgenden Vergehen angeklagt: Vortäuschung einer falschen Identität (sie behaupten, ich hätte während der Recherche nicht meine wahre Identität preisgegeben), Verleumdung des Gesundheitsministeriums, Veröffentlichung falscher Tatsachen und Zusammenarbeit mit ‚ausländischen Personen‘ (weil ich einen Bericht für einen Fernsehsender in London verfasst habe und diese Medienorganisation nicht bei der Pressestelle im Gazastreifen registriert ist).“

In ihrem Bericht schrieb Harb über die Mittelsmänner, die ärztliche Überweisungen an israelische und andere ausländische Krankenhäuser besorgen und dafür Bestechungsgelder kassieren. Sie kontaktierte einen dieser Mittelsmänner und behauptete, sie wolle vom Gazastreifen ins Westjordanland reisen, um einen Mann, der dort lebt, zu heiraten. Sie schrieb, dass sie eine Genehmigung für die Ausreise aus dem Gazastreifen und die ärztliche Behandlung im Al-Makassed-Krankenhaus in Ostjerusalem erhielt, nachdem sie einen örtlichen Arzt bestochen hatte. Sie fand ausserdem mehrere gefälschte ärztliche Überweisungen auf den Namen des Sohnes eines hochrangigen palästinensischen Beamten im Gazastreifen, der diese erhalten hatte, um sein Studium im Westjordanland abzuschliessen. Harb fand ausserdem einen Mann, der behauptete, für den Sicherheitsdienst der Palästinensischen Autonomiebehörde zu arbeiten und der damit angab, er könne eine Genehmigung für eine medizinische Behandlung ausserhalb des Gazastreifens für $ 200 besorgen. Ein anderer Palästinenser kaufte eine ärztliche Genehmigung, um den Gazastreifen zu verlassen und in einem Restaurant in Ramallah zu arbeiten.

Die Hamas behauptet, sie würde die Korruption von Beamten, die mit dem Leben palästinensischer Patienten spielen, bekämpfen. In Wahrheit ist sie jedoch damit beschäftigt, Journalisten zu bedrängen, die die Wahrheit sagen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist ihrerseits nicht über die Aufdeckung des Skandals erfreut.

Der palästinensische Journalistenverband (PJS) im Westjordanland hat die Hamas für die Belästigung von Harb verurteilt. Diese Kritik ist jedoch eher im Kontext des Machtkampfes zwischen der PA und der Hamas zu betrachten und nicht als ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit.

In einer Erklärung kritisierte der PJS die Befragung von Harb durch die Hamas als „schwere Verletzung der Medienarbeit und der Meinungsfreiheit“ in den palästinensischen Gebieten. Der Verband betonte das Recht von Journalisten, die Identität ihrer Quellen geheim zu halten und fügte hinzu, dass Harb alle moralischen, rechtlichen und berufliche Normen eingehalten habe.

Najat Abu Baker, Mitglied des Palästinensischen Legislativrats, der zur Fatah-Fraktion von PA-Präsident Mahmoud Abbas gehört, war eine der wenigen Politiker(innen) im Westjordanland, die es wagte, sich gegen den Korruptionsskandal auszusprechen.

Ihr zufolge hat sich die Korruption in der PA-Abteilung für ärztliche Überweisungen in eine „richtige Mafia unter Führung einflussreicher Persönlichkeiten“ entwickelt. Abu Baker beschuldigte das Ministerium, die arme Bevölkerung im Gazastreifen auszubeuten und öffentliche Mittel zu verschwenden:

„Ärztliche Bescheinigungen sind zu einem Geschäft geworden und die einzigen, die den Preis dafür zahlen, sind die Patienten aus dem Gazastreifen. Hunderte gestorbene Patienten sind die Opfer dieser Massnahmen des Ministeriums.“

Sie forderte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Korruptionsskandals. Sie merkte an, dass viele Patienten im Gazastreifen gestorben seien, während sie auf ärztliche Überweisungen warteten – andere wiederum erhielten Genehmigungen durch Vetternwirtschaft und Bestechung, obwohl sie gar nicht krank waren.

„Die Händler des Todes spielen mit dem Schicksal unserer Patienten. Es ist Zeit, die Wahrheit zu sagen, damit wir uns von dieser zerstörerischen Mafia befreien und den Handel mit dem Leben unserer Patienten beenden können.“

Der Skandal um die ärztlichen Genehmigungen ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde ihr Volk für politische und finanzielle Zwecke schamlos ausnutzen. Die PA benutzt ihre Macht, ärztliche Genehmigungen ausstellen zu können, um Palästinenser im Gazastreifen so gegen die Hamas aufzubringen. Ihre Beamten verkaufen die Genehmigungen gegen Bares. Die Hamas, die den gesamten Gazastreifen als Geisel genommen hat, hat ihre eigenen Vorstellungen davon, wie man Geld ausgibt. Die Krankenhäuser in Gaza wären besser ausgestattet, wenn die Hamas ihr Geld für den Bau medizinischer Zentren verwenden würde anstatt für Tunnel zum Schmuggeln von Waffen aus Ägypten, die für Angriffe auf Israel verwendet werden. Während ärztliche Genehmigungen an den höchstbietenden Palästinenser verkauft werden, fragen wir: Wie hoch ist der Marktwert einer Genehmigung für Klarheit über das Verhalten der palästinensischen Führer?

Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.

1 Kommentar

  1. Unglaublich – Korruption in der palästinensischen Verwaltung!
    … wer hätte das gedacht?!

    Neben der Tatsache, dass dieser Artikel unglaublich interessant und aufschlußreich ist,
    gibt es auch noch die Erkenntnis, dass sich der Arbeitsaufwand für solche Artikel
    auf Null reduzieren lässt,
    wenn man in den Artikeln einfach die Bereiche der öffentlichen Verwaltung der
    Palästinenser beleuchten würde,
    die auch nur halbwegs frei von Korruption sind.

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