Drei Beobachtungen in Jerusalem

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Jerusalem, Felsendom. Foto Godot13. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Lesezeit: 5 Minuten

Diese Woche bin ich in Jerusalem.

Diese Stadt, ihre Umgebung, die Gebietsansprüche seitens Araber und Juden bilden das Epizentrum eines Konfliktes, der stärkste Emotionen auszulösen vermag. Ein grosser Teil des in dieser Region vorherrschenden Anti-Amerikanismus und Antisemitismus ist eng verknüpft mit der arabischen Wahrnehmung von Ungerechtigkeit und Demütigung, ausgelöst durch die andauernde Israelische Besetzung und die beispielslose Unterstützung, die Israel von den Vereinigten Staaten geniesst. Im Kontrast dazu reflektieren fast alle meine Gespräche mit jüdischen Freunden hier eine tiefe Existenzangst. Wer kann das ihnen vorwerfen? Die Mauern dieser antiken Stadt und ihre vielfältigen Renovation nach verschiedenen Eroberungen bezeugen die Verfolgung und Massenmorde an Abrahams ersten Kindern, den Juden.

Und es sind nicht nur die archäologischen Zeugnisse von Massenmorden und Barbarei durch die Hände der Babylonier, Römer, Kreuzfahrer und anderen – sondern auch die frischen Erinnerungen an den Holocaust in Europa. Dann sind da noch die aktuellen Feindseligkeiten zwischen den Kindern Abrahams: Israelis graut die Vorstellung von einem nuklearen Iran; sie trauen den Friedensversprechungen der Muslimbruderschaft aus Ägypten nicht; sie wollen Assads Herrschaft in Syrien beendet sehen, doch sie sorgen sich, was dies für die Golanhöhen bedeuten mag: sie fürchten die Gefahr seitens der Hisbollah für israelische Gebiet; und, im Inland, sie sehen den eisernen Griff einer terroristischen Hamas um Gaza.

Der gestrige Terroranschlag auf israelische Touristen in Bulgarien bestätigt die schlimmsten Erwartungen vieler in Israel nur noch zusätzlich.

Hier ansässige Palästinenser haben ebenfalls eine lange Liste von Beschwerden betreffend Ungerechtigkeiten und Erniedrigungen vorzuweisen, von Reiseverboten und Bewegungseinschränkungen innerhalb ihres Landes, über  aggressive Landnahmen durch Israelis und eine Gesetzgebung, die konzipiert ist , die Rechte der Araber auf ihre Besitztümer zu schwächen, bis hin zur Siedlerbewegung und ihre direkte Konfrontationen mit ganzen arabischen Dörfern, und alltägliche Diskriminierungen, die Palästinenser in den Bereichen Bildung und Arbeit erfahren. Dies heizt ihre Wut auf den Staat Israel weiter an.

Der Friedensprozess liegt auf einem Trümmerhaufen. Wie ein Gläubiger mir gestern in der al-Aqsa Moschee sagte: „salam, salam, kulluhu kalam.“ Sprichwort, das den Friedensprozess als leere Worte verspottet.

Dennoch geht das Leben weiter. Ich sehe eine Lebhaftigkeit in diesem geteilten Land, von Bethlehem nach Hebron nach Tel Aviv. Drei Interaktionen haben mich bisher am meisten beeindruckt:

Erstens: Einer der für mich traurigsten und am meisten verstörenden Aspekte des modernen muslimischen Lebens ist die Behandlung von Frauen in einigen Moscheen. In den heiligen muslimischen Städten Mekka und Medina existiert eine Gender Apartheid, in der ganze Mauern Frauen und Männer voneinander trennen. Frauen werden oftmals gemassregelt, wenn sie sich in „Männergebieten“ aufhalten. Doch hier in Jerusalem, an der heiligsten aller heiligen Stätten für Juden und Muslime, im Felsendom, waren es muslimische Frauen, die mich tadelten, als ich meine Gebete während der Öffnungszeiten im Schrein aufsagen wollte. Während den 5 täglichen Gebeten seien es die Frauen, die im Inneren des Felsendoms beten, erklärten meine palästinensischen Freunde. Männer beteten ausserhalb vom Zentrum des Gebäudes und hätten sich daran gewöhnt, dass hier Frauen eine prominente Rolle spielen. Es existiert keine Trennmauer und Frauen in solch einer Freiheit im Felsendom, der drittheiligsten Stätte des Islam, zu sehen, ist eine Lektion für  andere muslimische Gemeinschaften in der ganzen Welt. In der nahegelegenen al-Aqsa Moschee wiederum war es den Frauen freigestellt, inner- und ausserhalb der Moschee herumzulaufen. Es gab keine Mauern, keine Barrieren und keine Forderungen nach Gesichtsbedeckungen. Moscheen sind die wichtigsten öffentlichen Räume des Islam: Gleichheit hier hilft, sie auch anderenorts zu schaffen.

Zweitens: Ein jüdischer Freund von mir aus London stellte mich einem ultraorthodoxen Rabbiner in Jerusalem vor, der mich freundlich zu sich nach Hause einlud, um seine Familie mit acht Kindern und seine Nachbarn zu treffen. Danach nahm er mich zu einem Besuch in der Yeshiva mit. Hier, in der Gemeinschaft des Rabbiners, existierten die exakt gleichen lebhaften Debatten über die Versöhnung von Religion, heiliger Schrift und Moderne, die ich in Saudi-Arabien, Pakistan und Ägypten höre. Genau wie die Muslime die heiligen Schriften und Texte als Anleitung konsultieren, orientierte sich die Gemeinschaft des Rabbis an ihm und seiner Sammlung von Kommentaren zu den Schriften. Die Herausforderungen der Ultraorthodoxen mit Frauenrechten, Homosexualität und dem Wunsch, die religiöse Reinheit in einer pluralistischen modernen Welt zu bewahren, kann ihren salafistischen muslimsichen Cousins Erkenntnisse offenbaren.

Drittens: Mein palästinensischer Begleiter während eines Trips nach Bethlehem war ein Mann, der nicht nur in fliessendem Hebräisch mit israelischen Soldaten an Checkpoints witzelte. Er erzählte mir stolz, dass er zum ersten Mal in 56 Jahren Ferien in Österreich und der Türkei machen konnte. Er hat einen israelischen Pass erhalten und nutzte ihn, um ins Ausland zu reisen. In vielen unserer Gespräche war er nichts als freundlich gestimmt. Er beeilte sich, mich daran zu erinnern, dass er Ministerpräsident Netanyahu ohne Konsequenzen beleidigen könnte. Als wir durch die Westbank fuhren, zeigt er auf Häuser, die von Palästinenser an Juden verkauft worden waren. Keine Siedlungen, sondern legale Transaktionen. Ich werde seine Wut und seine Kommentare niemals vergessen. „Es ist verboten, Besitz an Juden zu verkaufen. Der Mann, der dieses Haus verkauft, wurde danach in Jericho von anderen Palästinensern erschossen. Sein Leichnam wurde in der Wüste vergraben. Verräter sind schlimmer als Hunde und haben kein Recht auf eine Bestattung.“

Wenn Emotionen überhand nehmen, verschwindet die Logik. Gruppendenken dominiert den arabisch-israelischen Diskurs und allen Errungenschaften des Arabischen Frühlings zum Trotz können diese Stadt und die mächtigen Gefühle, die sie hervorruft, einmal mehr die besten Pläne für Demokratie und Wohlstand in der Region zunichtemachen.

Originalversion: Three Observations From Jerusalem By Ed Husain © Council on Foreign Relations. July 19, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.