Rettungsversuch des letzten jüdischen Sterns im Iran

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Eingang zum Schrein in Hamadan, 1972 Foto: © Diarna

Es gibt weltweit wohl nur einen Davidstern, der auch vom Weltraum aus sichtbar ist. Seine Koordinaten: 34.797924 N, 48.512927 E. Position: Hamadan, Iran.

Bis vor ungefähr einem Jahr gab es in der Islamischen Republik Iran einen zweiten Stern: Israelische Ingenieure, vom Schah mit dem Bau der Zentrale von Iran Air in Teheran beauftragt, hatten in den 1970er Jahren einen unverwechselbaren Magen David auf das Dach des Flughafengebäudes gesetzt. Als ein Nutzer von Google Earth im November 2010 das Symbol entdeckte, erregte dies Anstoss bei den Mullahs. Eine iranische Nachrichtenseite warf Teherans Stadtverwaltung vor, „dieses zionistische Sternsymbol auch 32 Jahre nach dem Erfolg der Revolution“ nicht entfernt zu haben.

Neuere Bilder von Google Earth zeigen nun, dass der Flughafenstern mit schwarzem Beton bedeckt wurde.

Der andere Davidstern jedoch, der sich in der westiranischen Stadt Hamadan befindet, zeugt von Jahrtausenden gemeinsamer persisch-jüdischer Geschichte.

Allerdings ist der Schrein, der den auffälligen Stern beherbergt, unter der Hand der örtlichen Verwaltung verfallen, und im vergangenen Jahr versammelte sich immer wieder antijüdischer Mob am Schrein und forderte dessen Abriss. Da es vor Ort keine jüdische Gemeinde gibt, die den Schrein verteidigen könnte, hat eine amerikanische Organisation namens Diarna (Judeo-Arabisch: „Unser Zuhause“) beschlossen, die Anlage zu restaurieren – und zwar virtuell.

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Seit Jahrhunderten haben persische Juden das Purimfest mit einem Besuch des Schreins von Hamadan gefeiert. Häufig schlossen sich ihnen dort christliche und muslimische Beter an, die auf göttliche Heilung für Unfruchtbarkeit und andere menschliche Leiden hofften. Nach persisch-jüdischer Überlieferung befinden sich die Gräber der biblischen Königin Esther und ihres Onkels Mordechai im Schrein; das Buch Esther preist sie, weil sie ein Massaker an ihren jüdischen Mitbürgern während der Zeit der Herrschaft des achämenidischen Grosskönigs Xerxes I. verhindert haben. Doch wahrscheinlich fand der Bau der Anlage einige Jahrhunderte nach den im Buch Esther geschilderten Ereignissen statt. Eine andere persisch-jüdische Königin, Shushan Dokht, Ehefrau des im 4. Jahrhundert lebenden sassanidischen Grosskönigs Yazdegerd I., mag tatsächlich hier begraben sein.

Während die Ursprünge des Schreins geheimnisumwoben bleiben, ist seine zentrale Bedeutung für das persisch-jüdische Leben gut dokumentiert. „Dieser Ort wird von allen Juden Persiens als besonders heilig angesehen“, schrieb 1872 ein reisender amerikanischer Journalist in der Juli-Ausgabe von Our Monthly, einer religiös-literarischen Zeitschrift, die schon lange nicht mehr existiert. „In demselben Geist, in dem ihre Väter die Tore von Jerusalem aufsuchten, kommen sie auf ihrer Pilgerfahrt nun hierher.“

Trotz dieser Verehrung befand sich der Schrein von Esther und Mordechai im späten 19. Jahrhundert in einem Zustand des Verfalls. So beschreibt der Autor von Our Monthly „einen viereckigen Raum mit Vorsprüngen an seinen Seiten von insgesamt 30 oder 40 Fuss Höhe, nahezu quadratisch, und überragt von einem zylindrischen Turm und einer Kuppel von beinahe 40 Fuss Höhe“. Von aussen war der Schrein nichts weiter als „ein quadratisches Backsteinmausoleum, eher auf Stabilität denn auf Schönheit ausgelegt. Der offene Midan, das Gelände oberhalb des Grabes, ist genauso wenig einladend. Er wird von den Muselmanen als Holzmarkt genutzt … dort werden frisch gefällte Bäume gestapelt, Äste und Brennholz. Nicht einen Grashalm, ein Blatt oder eine Blume gibt es in der Nähe des Grabes, aber vieles, was anstössig und schmutzig ist.”

In diesem Zustand blieb die Anlage bis 1972, als Elias „Yassi“ Gabbay, damals ein aufstrebender jüdisch-iranischer Architekt, damit beauftragt wurde, sie zu restaurieren. Das Regime des Schahs beging in diesem Jahr extravagante Feierlichkeiten zum 2.500jährigen Bestehen der persischen Monarchie, und jede Minderheitengruppe im Land wurde zur Teilnahme aufgerufen. Die Juden, die älteste Minderheitengemeinschaft im Land, entschlossen sich zur Restauration des Schreins von Hamadan als dem besten Weg, ihren Beitrag zur persischen Geschichte zu leisten.

Gabbay machte mehr, als lediglich den ursprünglichen Schrein zu restaurieren. Er behielt die ursprüngliche Struktur des Schreins und des ihn umgebenden Friedhofs, auf dem bedeutende jüdische Familien Hamadans ihre Toten bestatteten, weitgehend bei, und fügte der Anlage eine unterirdische Synagoge hinzu. „Bei der Herangehensweise des architektonischen Konzepts war es mein Hauptanliegen, die Beziehung der Juden im Iran … zur iranischen Nation auszudrücken“, erinnert er sich im Jahr 2010 in einem Interview mit Diarna, die Mizrachim-Kulturstätten im gesamten Nahen Osten und Nordafrika digital restauriert. Einen einzigen oberirdischen Teil hatte die neue Synagoge: das Dach, das ein gewaltiges Oberlicht in der Form eines Davidsterns enthält; er ist Google Earth in Bildern von Hamadan zu sehen.

Die Islamische Revolution von 1979 zwang Gabbay und etwa 60.000 weitere persische Juden, den Iran mit Ziel Israel oder den USA zu verlassen. Wie viele andere liess sich Gabbay in Beverly Hills nieder, wo er ein Architekturbüro betreibt. Seitdem ist die Anlage, die er restaurierte, von den islamistischen Behörden in Hamadan schlecht behandelt worden; sie entfernten den von Gabbay entworfenen Zaun, damit Passanten an seiner Verzierung in Form von Davidsternen nicht Anstoss nehmen. (Ausser Acht gelassen wurde, dass dieses Motiv auch von alten islamischen Mustern, in denen sechszackige Sterne durchaus üblich sind, inspiriert war.)

Der prekäre Zustand des Schreins machte ihn für Diarna zu einem perfekten Kandidaten für eine digitale Restaurierung. Aus einer Initiative der in Boston ansässigen gemeinnützigen Organisation namens Digital Heritage Mapping hervorgegangen, kombiniert Diarna traditionelles archäologisches und historisches Wissen mit digitalen Technologien, um vernachlässigte jüdische Stätten virtuell am Leben zu erhalten in Regionen, in denen Autokraten und Islamisten versuchten, die physischen Zeichen jüdischen Lebens zu zerstören. Historische Stätten werden virtuell wiederbelebt mithilfe von Online-Ausstellungen mit Fotografien, 3-D-Bildern, immersiven Rundumansichten, u.a.

Im Falle des Schreins von Hamadan war für es Diarna von Vorteil, dass es Fotografien von Missionaren und Journalisten aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie die Schwarz-Weiss-Fotografien von Gabbay gibt. Leider sind Gabbays Originalpläne der Restauration im Jahr 1972 nach der Revolution von 1979 verloren gegangen, sodass der Architekt sie aus dem Gedächtnis rekonstruieren musste. „Genau wie die Ursprünge des Schreins von Esther in Frage gestellt werden, so muss ich die Genauigkeit meiner Erinnerung in Frage stellen“, meinte er im Jahr 2010.

Die Erinnerungen der im Iran geborenen persischen Juden sind in zunehmendem Masse alles, was von ihrem Erbe bleibt. Der Schrein von Hamadan ist nicht die einzige Anlage, die von Zerstörung bedroht ist. Im April 2008 zum Beispiel wurden sieben alte Synagogen in Teherans historischem jüdischen Stadtteil Oudlajan abgerissen, um Platz für Hochhausprojekte zu machen.

Aufgewachsen im nachrevolutionären Iran als einziger Sohn einer säkularen schiitischen Familie, hatte ich das Glück, jüdische Freunde meiner Eltern kennenzulernen, darunter ein bekannter Galerist und Künstler, ein abstrakt-expressionistischer Maler, der sich viele Jahre lang ein Studio mit meiner Mutter teilte. Doch im Ganzen war die jüdische Erfahrung etwas Gedämpftes und Privates – was nicht überrascht in einem Land, in dem antisemitische Propaganda die staatlich kontrollierten Medien durchdringt und in dem Juden und andere Minderheiten verpflichtet sind, Schilder in ihre Geschäfte zu hängen, um ahnungslose Muslime davor zu warnen, dort einzukaufen. Als Kind war es für mich unmöglich, mir Teheran als florierendes, lebhaftes Zentrum auch jüdischen Lebens auch nur vorzustellen.

Im Idealfall würden die Regierungen im Iran und dem arabischsprachigen Nahen Osten darauf drängen, die unvergleichlichen jüdische Stätten innerhalb ihrer Grenzen zu erhalten, anstatt es einem Team von Programmierern zu überlassen, sie im seelenlosen, wenn auch unendlichen, Datenspeicher von Google zu restaurieren. Als ich Diarnas Ergebnis mit seinen dreidimensionalen Computergrafiken so frei von aller Unvollkommenheit sah, musste ich an die Warnung des französischen Theoretikers Jean Baudrillard im Hinblick auf postmoderne Erinnerungskultur denken. Es mag sein, dass Karten, Modelle und Datenbanken gerade mit ihrer Perfektion und Vollständigkeit eine Erinnerung und Subjektivität überdeckt, die um Leerstellen, Wunden und das Fehlen von Räumen weiss – die digital neu zu erschaffen unmöglich ist

Sohrab Ahmari ist iranisch-amerikanischer Journalist und Koautor von Arab Spring Dreams, einer in Kürze erscheinenden Anthologie mit Essays von jungen Reformern aus dem Nahen Osten.

Nachdruck und Neuveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Tablet Magazine, tabletmag.com.

Originalversion: Renderings – Unable to restore a shrine with a prominent Star of David in Iran, a U.S. organization and an Iranian-American architect are reviving the site online by Sohrab Ahmari © Tabletmagazine, January 5, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiautur-Online.