Israels Gas und seine Bedrohung durch die Türkei

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© istock/Berndt Åkesson

In einem Gespräch mit Al Dschasira sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im September zu den Plänen Israels, neu entdeckte Gasreserven vor der Küste zu erschliessen, dass seine Regierung Israel daran hindern wolle, Rohstoffe im Mittelmeer einseitig auszubeuten. Darüber hinaus erklärte er, dass die türkische Marine in Zukunft Hilfsschiffe unterwegs zum Gazastreifen schützen würde, um eine Wiederholung des verhängnisvollen Gewaltangriffs auf die Gaza-Hilfsflotte 2010 zu vermeiden. Diesen Bemerkungen war ein Bericht der Vereinten Nationen vorausgegangen, der die Todesfälle auf der Flottille verurteilte, die Blockade Israels aber rechtfertigte – eine Einschätzung, die für Ankara der Anlass war, die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern drastisch einzuschränken und ihre umfangreiche militärischen Kooperationen und Wirtschaftsbeziehungen einzufrieren. Innerhalb weniger Tage rückten beide Regierungen von einer Konfrontation über zukünftige humanitäre Konvois wieder ab, doch das potenziell viel schwierigere Thema der Rechte über Erdgasvorkommen vor der Küste zeichnet sich bedrohlich ab.

Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen kann ein Land Rohstoffe bis zu 200 Seemeilen vor seiner Küstenlinie in einer „exklusiven Wirtschaftszone“ erschliessen; Seegrenzabkommen mit benachbarten Staaten müssen dafür aber ausgehandelt werden. Die vor der Küste Israels entdeckten Gasreserven übertreffen voraussichtlich die aktuellen Verbrauchsraten um ein Vielfaches und ermöglichen so eine weitgehende Unabhängigkeit in Energiefragen und wahrscheinliche Überschüsse für den Export. Auf dem internationalen Erdgasmarkt ist Ägypten bereits ein wichtiger Akteur, für Libanon und Zypern können mit einer gewissen geologischen Wahrscheinlichkeit selbst bedeutende Offshore-Reserven angenommen werden.

Die Rolle des Streits um Zypern

Zwar stellte Erdogan mit seinen Bemerkungen einen Zusammenhang zwischen dem Thema der Gasreserven und der Blockade des Gazastreifens her, doch der tatsächliche Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Querelen der Türkei mit Israel ist der ungelöste Streit um Zypern. Mit Rückendeckung Ankaras haben die türkischen Zyprioten eine lediglich von der Türkei anerkannte Republik gegründet, indessen die mehrheitlich griechische Republik Zypern ein Mitglied der EU ist und als Vertreterin der gesamten Insel gilt.

Offenbar haben die jüngsten Entdeckungen von Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden des östlichen Mittelmeeres – Zypern will im Oktober mit Probebohrungen beginnen – Ankara dazu bewogen, seine diplomatische Kampagne im Namen der türkischen Zyprioten wiederaufzunehmen. „Als ein Garant der Türkischen Republik Nordzypern“, so lautete kürzlich eine Erklärung Erdogans, „hat [die Türkei] im Gebiet [der Offshore-Ressourcen] Schritte unternommen, und sie wird entschieden ihr Recht verfolgen, internationale Gewässer im östlichen Mittelmeer zu überwachen.“ Eine Politik solcher Schritte könnte die Türkei in einen Konflikt mit den meisten Regierungen des Küstengebiets bringen, Zypern, Israel, Libanon und Syrien eingeschlossen. Eine Ausnahme bildet Ägypten – Ankara ist so begierig darauf, gute Beziehungen mit Kairo zu unterhalten, dass hinsichtlich des ägyptisch-zypriotischen Seegrenzabkommens keine Bedenken geäussert hat.

Zypern. Die Spannungen zwischen der türkischen und der griechisch-zypriotischen Regierung sind angewachsen. Während Ankara darüber verärgert ist, dass die Republik Zypern Seegrenzabkommen mit Libanon und Israel unterzeichnet hat, reklamieren die griechischen Zyprioten, dass die Pläne Ankaras zur Erschliessung und Ausbeutung der Offshore-Reserven nicht im Einklang mit dem Völkerrecht stehen. Im Jahr 2008 kam die türkische Marine Berichten zufolge gefährlich nahe an Schiffe heran, die seismische Messungen in zypriotischen Gewässern ausführten, was Washington alarmierte. Und schliesslich ist Ankara beunruhigt über den erweiterten diplomatischen Einfluss Zyperns während seiner EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2012.

  • Israel. Israels Entdeckung eines riesigen Gasfeldes in der Nähe der Seegrenze Zyperns gibt Anlass zur Vermutung, dass ähnliche Mengen in zypriotischen Gewässern gefunden werden könnten. Doch den Betrieb einer gemeinsamen exportorientierten Flüssigerdgasanlage auf Zypern, eine der Möglichkeiten, solche Vorkommen zu nutzen, hat die Türkei bereits im Vorfeld verworfen.
  • Libanon. Iran und sein kleiner Bruder Hisbollah werfen Israel vor, libanesische Offshore-Gasfelder in Besitz genommen zu haben, und Ankara, das mit der Hisbollah sympathisiert, könnte versucht sein, in diesem Streit Partei zu ergreifen – trotz der Bedenken, dass Libanon seine eigene Offshore-Ressourcen fördern könnte.
  • Syrien. Als Öl- und Gasproduzent wird Syrien vermutlich vor seiner Küste nach Reserven Ausschau halten. Die türkische Provinz Hatay, die von Damaskus in der Vergangenheit und in mancher Hinsicht bis heute als syrisches Gebiet angesehen wurde, macht es möglicherweise schwer, eine Grenzlinie vor der Küste der beiden Ländern zu ziehen.

Politik der USA

Washington hat ein starkes Interesse daran, dass in östlichen Mittelmeerländern Offshore-Reserven gefunden und gefördert werden, und der Politik der USA wäre sehr mit einer friedlichen Lösung des Streits um Zypern gedient. Dementsprechend müssen US-Beamte Ankara gegenüber betonen, dass die jüngsten Aussagen inkompatibel mit der von ihm gewünschten Rolle als wichtiger diplomatischer Partner der USA und Europas sind. Erdogans neueste Bemerkungen erfolgten kurz nachdem die Türkei der Anfrage Washingtons zugestimmt hatte, als Standort für eine Radar-Warn-Station vor potenziellen iranischen Raketenangriffen gegen Europa und in Zukunft auch die USA zu fungieren. Ankara kann nicht gestattet werden, die Vorteile einer engen Beziehung zu Washington zu geniessen, während es amerikanische Ziele im östlichen Mittelmeerraum untergräbt.

Kurzversion der Originalversion: Turkeys threat to Israels new gas Riches by Simon Henderson, © The Washington Institute for Near Eastern Policy, Policy Watch #1844, 13. September 2011