Offener Brief – Keine Bühne für Antisemitismus an der Uni Göttingen

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Zentrales Hörsaalgebäude der Georg-August-Universität Göttingen. Symbolbild
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Der Fachschaftsrat Sozialwissenschaften (FSR SoWi) und der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Göttingen fordern die Absage der Veranstaltungsreihe „Naher Osten – Ferner Frieden?“. Die Vortragsreihe sei antisemitisch, da sie nur einen einseitigen Blick aus Perspektive der Palästinenser inne habe und Propaganda gegen Israel betreibe, heißt es in einem offenen Brief:

Unter dem Titel „Naher Osten – Ferner Frieden?“ organisiert Prof. Dr. Irene Schneider in Kooperation mit der deutsch-palästinensischen Gesellschaft eine Vortragsreihe, deren Auftakt die Ausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon e.V. darstellt.

Schon an dieser Ausstellung ist vieles problematisch und eine Fülle von historischen Fakten wird den Besucher*innen verschwiegen. Darin wird propagiert, im Zuge der israelischen Staatsgründung wäre es zu massenhaften Vertreibungen und ethnischen Säuberungen der arabischen Bevölkerung gekommen. Dies negiert, dass eine der größten Fluchtursachen der Angriffskrieg der arabischen Nachbarstaaten auf den jungen jüdischen Staat war. Darüber hinaus sind ca. 20% der israelischen Bevölkerung arabischer Herkunft in dem Sinne, wie die Ausstellung eine arabische Ethnie definiert. Dagegen verharren die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten wie dem Libanon oder Jordanien nach wie vor im unerträglichen Flüchtlingsstatus und werden bis heute nicht als Staatsbürger anerkannt. Dies ist auch der weltweit einzige Fall, bei dem der Flüchtlingsstatus sogar von Generation zu Generation weitervererbt wird. Grundlage dafür ist die völkische Fantasie eines palästinensischen Volkes, das vor der großflächigen jüdischen Einwanderung nach den Gräueln der Shoa existiert haben soll. Dies ignoriert die vielschichtige Geschichte der Region und die besondere historische Situation unter dem Verwaltungsprotektorat Großbritanniens und vor dem Hintergrund der unvorstellbaren Verbrechen in Europa. Wer die Minderheit der Jüdinnen und Juden im Nahen Osten als kollektive Aggressor*innen darstellt, legt den Grundstein für antisemitische Worte und Taten.

Doch diese Ausstellung bildet nur den Auftakt einer ganzen Reihe einseitiger Vorträge und Veranstaltungen, die insgesamt die Diskreditierung Israels zum Ziel haben.

Da wäre bspw. der Film „Gelobtes Land“, in dem der Krieg von 1948 als Angriff einer jüdischen Übermacht auf unbewaffnete Araber dargestellt wird und die Massaker an Jüdinnen und Juden in der Region fast vollständig ignoriert werden. Von Israelis wird durchgängig als Juden gesprochen, die als gewalttätig, vor allem gegen Frauen und Kinder, dargestellt werden. Die palästinensische Seite hingegen wird nur in der Rolle des wehrlosen Opfers inszeniert. Auch hier wird – anders als die Veranstaltungsreihe vorgibt – einseitige Propaganda zulasten Israels betrieben.

Der Vortrag „Securitised Peace in Palestine-Israel: Criminalising Resistance under Colonial Occupation“ von Dr. Ala Tartir trägt seine einseitige Sichtweise auf den Konflikt schon im Titel zur Schau. Der Widerstand, der hier angeblich kriminalisiert wird, ist der bewaffnete Kampf von Gruppen wie der Hamas, deren erklärtes Ziel bis heute die Vernichtung des Staates Israel und der darin lebenden Jüdinnen und Juden ist. Oder auch der Kampf der angeblich gemäßigten Fatah, deren Führer erst jüngst wieder über die Ermordung israelischer Juden jubelten und einen öffentlich gefeierten Kult um die als Märtyrer glorifizierten Selbstmordattentäter pflegen. Gleichzeitig wird Israel als koloniale Besatzungsmacht verhandelt. Darin spiegelt sich nicht nur die Vorstellung eines angeblichen palästinensischen Staates, der durch die jüdische Einwanderung zu Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts besetzt worden sei, sondern es wird auch eine gewaltsame Unterdrü- ckung herbeifantasiert, die dann einen gewalttätigen Widerstand rechtfertigt. Israels Handeln wird dadurch delegitimiert, Terroranschläge als Befreiungskampf verharmlost.

Den Abschluss der Reihe bildet der Vortrag „Gibt es Zusammenhänge zwischen Unterstützung der palästinensischen Position und der Abneigung gegen Juden?“ von Rolf Verleger. An dieser Stelle wird nun der jüdische Kronzeuge bemüht, der, die antiisraelische Positionierung der Reihe stützend, diese vom Vorwurf des Antisemitismus freizusprechen verspricht, kann es sich doch vermeintlich nicht um im Kern antisemitische Projektionen handeln, wenn diese auch von einem Juden geteilt werden. Verlegers Ansichten zeigen sich indes an seinen Äußerungen über antisemitische Ausschreitungen, wie die im Spätsommer 2014. Er fragt „Wer hat uns das denn eingebrockt?“, um danach zu konstatieren, wenn Politiker und Medien in Deutschland Israels Politik für richtig hielten und Repräsentanten des Judentums jede Kritik an Israel zur Kritik an Juden erklärten, fordere man antisemitische Parolen geradezu heraus. Schuld sind also nicht die Antisemiten selbst, sondern diejenigen, die sie kritisieren und damit provozieren würden. Die antisemitischen Ausschreitungen verharmlost er als „Ausbrüche von verständlicher Empörung“, die er bei den „Massaker[n] der Israelis in Gaza“ nachvollziehen könne. Und fügt an „Dass die dann ihre komischen Raketen abschießen, das ist nicht schön, aber das ist doch eine verständliche Folge all dieser Dinge“. Hier wird der antisemitisch motivierte Terror der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung als Notwehr verharmlost, die israelische Gegenwehr jedoch als brutale und unverhältnismäßige Aggression dargestellt. Dabei wird also nicht nur das Handeln Israels deligitimiert, sondern auch ein doppelter Standard bei der Bewertung der Ereignisse angelegt. Und dass dies alles nur zufällig und ohne antiisraelische Motivation geäußert werde, widerlegt Verleger gleich selbst, indem er Israel als klerikalfaschistisches Amalgam aus religiösem Judentum und Zionismus denunziert. Ausgerechnet dem demokratischen Staat Israel Klerikalfaschismus vorzuwerfen, solchen aber bei der terroristischen Hamas nicht nur zu ignorieren, sondern offensiv zu leugnen, zeigt nicht einfach nur die Einseitigkeit von Verlegers Betrachtungen, sondern offenbart vielmehr ein Weltbild mit tiefverwurzeltem Antizionismus, in dem sich in den Auslassungen über Israel immer wieder antisemitische Stereotypisierungen und Analogien bahnbrechen. So meint Verleger auch zu wissen, dass die Wurzel des Konflikts das Problem der Europäer mit ihrer jüdischen Minderheit gewesen sei, die dieses aber nicht gelöst und stattdessen nach Palästina exportiert hätten. Der sich Anfang des 20. Jahrhunderts immer gewaltsamer und radikaler zeigende Antisemitismus in Europa, der in der systematischen Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden seinen abscheulichen Höhepunkt fand, wird von Verleger als „Problem der Europäer mit ihrer jüdischen Minderheit“ heruntergespielt. Und auch die massenhafte Flucht der jüdischen Bevölkerung vor eben diesen Verhältnissen in Europa, wird auch noch bezeichnet als Export des „Problems“ nach Palästina (korrekter wäre hier von britischem Mandatsgebiet zu sprechen, das sich überdies vom Mittelmeer bis ins heutige Jordanien erstreckte und eine palästinensische Nation nicht mal erahnen ließ). Klarer kann man kaum ausdrücken, was man vom Existenzrecht Israels hält. Doch Verleger konkretisiert es noch, wenn er sagt „Dieser Konflikt – man kann auf geraubten Land nicht in Frieden leben. Das Land ist den Palästinensern weggenommen worden“.

Dass nun ausgerechnet Frau Schneider einer solchen Bandbreite an antiisraelischen und antizionistischen Ressentiments eine ganze Veranstaltungsreihe widmet, scheint alles andere als ein Ausrutscher. Schon im vergangenen Jahr lud sie die Hamas-Apologetin Helga Baumgarten zu einem Vortrag ein. Auch damals schon nahm der FSR SoWi Stellung dazu (fsr-sowi.de/153).

Dass jetzt erneut Israel delegitimiert und das Existenzrecht abgesprochen wird, dass der Faschismus und Antisemitismus der Hamas nicht nur nicht als solche benannt, sondern als legitimer Widerstand verharmlost werden, überrascht uns leider nicht. Zeigt es doch nur ein weiteres Mal die einseitige und verkürzte Sicht der Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft auf den Nahost-Konflikt und ihre ablehnende Haltung dem Staat Israel gegenüber.

Solchen Positionen, auch und gerade in das Gewand der Wissenschaftlichkeit gehüllt, darf weder an dieser Uni noch sonst wo Raum gegeben werden. Wir fordern die Veranstalter auf, die Reihe abzusagen. Vom Präsi- dium der Universität erwarten wir bei diesem erneuten Aufkommen antiisraelischer Propaganda endlich zu handeln und diese Reihe nicht zuzulassen. Gerade die Vorfälle an der HAWK und in Oldenburg rund um die BDS (Boycott, Divest, Sanction) Bewegung, werfen die Frage auf, ob wir an niedersächsischen Hochschulen nicht einen genaueren Blick auf antisemitische Tendenzen an den Hochschulen, aber auch in der Gesellschaft richten müssen, denn durch einseitige Veranstaltungen, wie dieser an unserer Universität wird antiisraeli- schen und antisemitischen Bewegung der Weg bereitet, weiter Fuß in unserer Gesellschaft zu fassen.
Eine Universität, an der Faschisten und Antisemiten wie der Hamas in aller Öffentlichkeit das Wort geredet wird, hat jeden Anspruch einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft verloren.

Kein Wunder, dass für einen kritischen Wissenschaftler wie Samuel Salzborn kein Platz mehr war.

Gegen jeden Antisemitismus!
Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Göttingen
Fachschaftsrat Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen