Rouhanis Verhandlungsstrategie: Teile und isoliere

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Rouhani in Astrakhan, Foto Presidential Press and Information Office Russia. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons.
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In einem neuen Dokument wird wiederholt, wie der Iran in den Verhandlungen mit dem Westen voraussichtlich vorgehen wird: Es sollen Gräben zwischen die USA und Europa geschaffen werden, um den internationalen Konsens und Koordination bezüglich der Nuklearsanktionen zu brechen.

Ein von der iranischen Regierung im August veröffentlichtes Dokument hebt den Fokus der Strategie des Irans in den Nuklearverhandlungen hervor: die USA sollen durch Isolierung von den anderen Mitgliedern der P5+1 (Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China)kaltgestellt werden. Diese Strategie, die besonders von Präsident Hassan Rouhani und Aussenminister Javad Zarif deutlich ausgesprochen wurde und in Einklang steht mit Rouhanis umfangreichen Schriften, steht im Widerspruch zu Teherans Zusicherung einer für alles Beteiligten befriedigende Beilegung des Nuklearstreits.

Zarif: „Die Koordination der wichtigsten Mächte durchbrechen“

Vier Tage nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten machte Zarif am 7. August das „Programm des Aussenministeriums für die Rouhani-Regierung“ für die iranischen Medien zugänglich. Kurz darauf erschien das Dokument auch auf der Webseite des iranischen Aussenministeriums.

In diesem Dokument spezifiziert Zarif die „kurz-mittelfristige operative Strategie“ für Nuklearverhandlungen, einschliesslich der Zusicherung, „das globale Sicherheitsumfeld zu verändern“, indem „die Koordination der wichtigsten Mächte durchbrochen und die zionistisch-amerikanischen Bemühungen, einen internationalen Konsens gegen den Iran aufzubauen, neutralisiert werden.“ Er greift diesen Punkt zwei weitere Male auf und merkt an, dass „die globalen Bedingungen“ eine Strategie erfordere, „um den Einfluss Amerikas und des zionistischen Regimes auf Länder und multilaterale Institutionen vis-à-vis Iran zu neutralisieren.“

Das Dokument enthält selbstverständlich aber auch einige ermutigende Aussagen. Neben den spezifischen Plänen, „die Beziehungen mit den Nachbarländern zu normalisieren und zu verbessern“ und „Beziehungen mit traditionellen Partner in Europa und Asien wieder aufzubauen“, spricht Zarif von einem „allmählichen Rückgang der Feindseligkeit mit den USA und einer Wende zu positiven Ressourcen.“ Ferner merkt er an, dass „statt der USA“ der Iran „die Initiative in allen Aspekten bilateraler Beziehungen“ ergreifen sollte. Aber eine Normalisierung der Beziehungen mit Amerika wird nicht erwähnt, und die Absichten hinter diesen scheinbar positiven Initiativen sind in Anbetracht der beunruhigenden Aussagen in anderen Teilen des Dokuments fraglich.

Rouhani: „Lücken in der westlichen Front schaffen“

Eine Untersuchung von Rouhanis Büchern und wissenschaftlichen Beiträgen der letzten zehn Jahre verweist in ähnlicher Weise auf eine Strategie, Gräben innerhalb der internationalen Koalition zu schaffen. In einem Artikel vom Dezember 2003, der zwei Monate nach Beginn der Verhandlungen mit EU-3 (Grossbritannien, Frankreich und Deutschland) veröffentlicht wurde, schrieb er, ein „grundlegendes Prinzip“ der „iranischen Beziehungen mit den USA“ sei, „Einigkeit und Konsens zwischen Amerika und den anderen Weltmächten – besonders Europa, Russland und China, über den Iran zu verhindern.“ Er erklärte, dass keiner dieser „drei Mächte“ sich zwar unabhängig „gegen Amerika erheben kann“, sie alle aber den US-„Unilateralismus“ nicht akzeptierten. Doch sie akzeptieren den „stabilisierenden“ Einfluss des Iran in der Region, so Rouhani. Ebenso wird beschrieben, wie Teheran seine Strategie umsetzen würde: „Es liegt in der Verantwortung des Aussenministeriums, einen Konsens [gegen den Iran] zu verhindern. Mithilfe diplomatischer Fähigkeiten und effizienten Botschaftern sind wir in der Lage, uns der Verschwörung zu widersetzen. Durch die Schaffung von Distanz zwischen Amerika, dem Zionismus und anderen einflussreichen Ländern, werden wir in der Lage sein, uns mühelos gegen die Verschwörungen Amerikas zu wehren.“

In seinen Memoiren von 2011, in denen er über seine Amtszeit als Nuklearunterhändler berichtet, verwendet Rouhani den Ausdruck „Lücken in der westlichen Front schaffen“, um seine Strategie zu beschreiben, die ursprünglich Europa davon abhalten sollte, die iranische Nuklearangelegenheit an den UN-Sicherheitsrat zu übertragen. Den gleichen Ausdruck verwendete er während seines Präsidentenwahlkampfes 2013. Er scheint Verhandlungen als Ganzes so zu verstehen. „Diplomatie“, schrieb er 2009, „ist die Kunst, eine Region und die Welt zu verstehen, ihre Stärke und Position einzuschätzen, und Gelegenheiten zu finden, die wichtig sind auszunutzen.“

Rouhanis EU-Offensive

Seit seiner Amtseinführung hat sich Rouhani mit vier von sechs P5+1 Führern getroffen und machte den Anschein, einen Keil in die strategischen Ausrichtungen der EU und Washingtons zu treiben. Am Rande der letzten Session der UN Generalversammlung traf er führende Politiker fünf europäischer Staaten: Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und Deutschland.  Zwei Wochen zuvor führte er Gespräche mit Russland und China am Shanghai Cooperation Organization Summit in Kirgisistan.

Presseberichte während der UN-Session deuten auf eine wachsende europäische Zugänglichkeit für Rouhanis diplomatische Charmeoffensive hin. Beispielsweise lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel Teherans Rolle als „Vermittler“ einer diplomatischen Lösung in Syrien. Rouhanis zunehmender Einfluss war besonders deutlich in seinem Austausch mit dem italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta, der die fehlende Rolle Italiens in den P5+1 beklagte, obwohl Italien „eine Brücke zwischen dem Iran und dem Westen“ sei. Doch an einer Pressekonferenz am 28. September tröstete Rouhani ihn, es gäbe eine Möglichkeit für eine „P5+2“, denn „all jene Länder, die einen bestimmten Einfluss auf das Atomprogramm haben, sollten an den Verhandlungen teilnehmen, inklusive Italien ganz oben auf der Liste […] Einige Leute wollen keine P5+2 Gruppe[…] Es geht nicht um Formeln […] Italien, ein strategisches Land in der EU, kann seinen Anteil am Nuklearstreit leisten und Europa miteinbeziehen, um eine atomwaffenfreie und massenvernichtungswaffenfreie Region zu ermöglichen.“ In der Zwischenzeit versprach Letta, wenn Italien 2014 die EU-Ratspräsidentschaft übernehme, werde es „sein Bestes geben, um die Rom-Teheran Verbindungen zu stärken.“ Und Rouhani unterstrich, dass der Iran bereit sei, den italischen Energiebedarf zu erfüllen: „Diesbezüglich können bilaterale Verbindungen ausgebaut werden.“

Warum auf Europa konzentrieren, wenn es sekundär ist?

Auch wenn Rouhani der EU in letzter Zeit Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist sie für ihn eine schwache politische Macht, der es an wirkliche Autonomie von den USA fehlt – eine Position, die er bereits während seiner Zeitals Nuklearunterhändler 2003 – 2005 deutlich gemacht hat. Auf einer Pressekonferenz 2004 nannte er Europa einen „Paykan“ (iranisches Billigauto), während die USA ein Mercedes seien. „Gespräche mit Europa alleinmögen für meine Zwecke nicht ausreichend sein […] Manchmal kann man sich einfach keinen Mercedes leisten, also kauft man einen Paykan […] in diesem Fall weiss man, was von einem Paykan zu erwarten ist und die Erwartungen sinken entsprechend. Man sollte sich nicht allzu sehr beklagen und jammern. Man sollte sich nicht über die Geschwindigkeit, die Mechanik, den Benzinverbrauch und so weiter beschweren, weil man ja weiss, was ein Paykan ist. Man hat ihn in erster Linie aufgrund des Portemonnaies gekauft.“

In einem Interview 2005 mit einer iranischen Zeitung, das gleichzeitig mit seinem Rücktritt als Nuklearunterhändler erfolgte, sagte Rouhani, dass Europa eine „zweitklassige Macht“ sei und dass die „erstklassige Macht“ (die USA) mit dem Irak beschäftigt seien.

Rouhani‘s negative Sicht der globalen Rolle Europas stellt seinen jüngsten freundlichen Kontakt zur EU in Frage. Eine optimistische Interpretation wäre, dass er eine verbesserte Beziehung mit Europa als eventuelle Brücke nach Washington sehen könnte; einer eher pessimistischen Interpretation zufolge, will er die Beziehungen mit Europa als Mittel nutzen, um die US-Politik zu sabotieren. Und dieses Verständnis scheint mit seiner Aussage in einem wissenschaftlichen Beitrag von 2003 übereinzustimmen: „Trotz der engen Beziehung zwischen Europa und Amerika gibt es auf der anderen Seite des Vorhangs fundamentale Unterschiede zwischen beiden. Europa wird ein Jahrzehnt an Gelegenheiten benötigen, um auf eigenen Füssen zu stehen, aber unter den aktuellen Umständen ist es unfähig, Flagge gegen Amerika zu zeigen.“

Schlussfolgerung

Zarifs Strategiedokument vom August und Rouhanis aktuelle sowie vergangene Rhetorik lassen vermuten, dass neue US-Iran Verhandlungen schwierig werden, wobei Teheran sich darauf konzentrieren wird, gegenüber den USA Vorteile zu erzielen, statt gemeinsame Interessensgebiete zu finden. Das Rouhani-Team scheint zu glauben, dass der Schüssel für das Erreichen eines Abkommen darin liegt, P5+1 zu trennen und die USA zu isolieren.

Washington könnte dieser Strategie zuvorkommen, indem es einen starken bilateralen Dialog mit der iranischen Regierung im Rahmen des P5+1 führt und europäische Bedenken beschwichtigt, um eine geeinte internationale Front gegen die nuklearen Absichten des Irans aufrechtzuerhalten. Damit liesse sich klären, ob es Teheran mit einem Angebot ernst meint und damit einen Weg für ein dauerhaftes und bedeutungsvolles Abkommen bereitet, während Washingtons hervorragende Rolle im iranischen Atomdossier erhalten bleibt.

Steven Ditto ist unabhängiger Nahost-Analytiker und Verfasser der neuen Studie des Washington Institutes: Reading Rouhani: The Promise and Peril of Iran’s New President.

Originalversion: Rouhani’s Negotiating Strategy: Divide and Isolate by Steven Ditto © The Washington Institute for Near Eastern Policy, Policywatch 2153, October 9, 2013. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.