Wissenschaftler: Mehr über christlichen Antijudaismus sprechen

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Schmähplastik Judensau auf der Südostseite der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg. Foto IMAGO / Rolf Walter
Schmähplastik Judensau auf der Südostseite der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg. Foto IMAGO / Rolf Walter
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Eine breitere Auseinandersetzung über Antisemitismus und christlichen Antijudaismus fordert der Politikwissenschaftler Vincent Kleinbub. “Noch immer werden Juden verteufelt. Die Corona-Pandemie hat antijüdischen Verschwörungsmythen neuen Schub gegeben”, sagte Kleinbub dem Magazin “Der Spiegel”. Er ist Mitarbeiter im Projekt “sus et iudaei – Schmähplastiken in Sachsen-Anhalt” der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.

In der Erinnerungskultur gebe es “zu Recht einen starken Fokus auf die Verbrechen der NS-Zeit. Wenn wir über Antisemitismus sprechen, meinen wir die Schoah.” Allerdings ziehe sich Judenhass durch viele Epochen, wie verschiedene Schmähplastiken zeigten, so Kleinbub. “Die Verbrechen der Nazi-Zeit sind so präsent in unserer Geschichte, dass wir sie oft isoliert thematisieren. Da fehlt die Vorgeschichte.”

Kürzlich hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass die antijüdische Skulptur an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatte und eine Schrägaufsteller unterhalb des Reliefs wurde nach Überzeugung der Richter das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt. Die evangelische Kirche versprach, sich intensiver mit judenfeindlichen Traditionen in Bildern und Texten auseinandersetzen zu wollen.

Derartige Schmähplastiken seien “nicht nur Steine”, betonte Kleinbub. “Sie stehen für eine jahrhundertelange Gewaltgeschichte, in der Jüdinnen und Juden verfolgt und dämonisiert werden. Darüber müssen wir reden.” So stamme die Wittenberger Plastik aus dem Mittelalter, es gebe jedoch auch jüngere ähnliche Darstellungen, etwa eine “Judensau”-Figur an der Sankt-Stephani-Kirche in Calbe aus dem 19. Jahrhundert. “Wieso wurde so etwas auch unter preussischer Herrschaft aufgehängt?”

In zwei Jahren soll über den weiteren Umgang mit der Plastik in Calbe entschieden werden. “Bis dahin haben wir Zeit, mehr über die Figur zu erfahren und das neue Wissen an die Stadtgesellschaft zu vermitteln”, sagte der Experte. Er hoffe auf eine “konstruktive Lösung”.

KNA/pko/joh