Die rechtliche Immunität der UN sollte aufgehoben werden

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Anfang Monat hat ein niederländisches Berufungsgericht in Den Haag die Niederlande für den Tod dreier bosnischer Muslime während des Massakers in Srebrenica 1995 haftbar gemacht.  Das Gericht entschied, dass die zu dieser Zeit dort stationierte niederländische UN-Blauhelmeinheit effektiv unter dem Befehl ihrer eigenen Regierung und nicht unter jenem der UN stand. Die niederländischen Blauhelme hatten viele Bosnier zum Verlassen ihres Militärlagers gezwungen, obwohl sie wussten, dass ihr Leben  in Gefahr war. Die drei Männer wurden hierauf von bosnisch-serbischen Soldaten getötet.

Eine kurze Zusammenfassung der Hauptereignisse dieses Massakers: Am 11. Juli 1995 überrannte die bosnisch-serbische Armee die UN-Schutzzone Srebrenica und begann mit der Ermordung der dortigen Menschen. Schätzungsweise sind zwischen 6.000 – 8.000 bosnisch-muslimische Männer und Jungen getötet worden. Zehn Tage später, am 21. Juli 1995, floh das niederländische  UN-Bataillon aus der bosnischen Enklave Srebrenica in die kroatische Hauptstadt Zagreb. Die niederländische Regierung gab den direkten Befehl für diesen Abzug.

In 2008 entschied ein Gericht in den Niederlanden, das alle militärischen Operationen, die von niederländischen Blauhelmsoldaten der United Nations Protection Force in Srebrenica durchgeführt wurden, unter der Federführung der UN standen, die selber vor juristischer Verfolgung immun und geschützt ist. Ein anderer Gerichtsfall, dessen Berufungsverfahren derzeit läuft, könnte die niederländische Co-Verantwortung auf viele weitere Bosnier erweitern, die in Srebrenica ermordet worden sind.

Die Wichtigkeit dieses mutigen Urteils des niederländischen Berufungsgerichts wird von der internationalen Gemeinschaft allerdings kaum verstanden. Schliesslich könnte der Europäische Gerichtshof aufgefordert werden, die juristische Immunität der Vereinten Nationen aufzuheben und die Organisation dorthin zu stellen, wo sie hingehört: auf die Anklagebank.

Das niederländische Urteil sollte für Israel wegen der direkten Rolle der UN und ihrer vielen Unterorganisationen in der Dämonisierung Israels von grossem Interesse sein.

Trotz Versagen der UN im Rwanda-Völkermord von 1994 musste keine UN-Mitarbeiter oder Angehörigen vor Gericht erscheinen, geschweige denn ins Gefängnis. Ein UN-Bericht aus dem Jahr 2000 untersuchte die „Umstände, die zum Versagen der internationalen Gemeinschaft führten, das systematischen Massaker an 800.000 Menschen in Rwanda 1994 zu verhindern“. Der verstorbene Richard C. Holbrooke, der damals ständige Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen, sagte: „Der Bericht stellt klar, dass wir in Rwanda – wie in Bosnien und Somalia –versagt haben.“ Der UN-Sicherheitsrat beschloss die Reduzierung der UN-Hilfstruppen für Rwanda, nachdem der Völkermord bereits begonnen hatte und trotz Wissen um die Gräueltaten.

Im Srebrenica Massaker lassen sich ähnliche Merkmale des Versagens erkennen. 1993 erklärte der UN-Sicherheitsrat, dass die Enklave Srebrenica ein sicheres Gebiet sein würde. Die UN hätte trotz dieser Erklärung wissen müssen, dass sie unfähig war, dieses Versprechen durchzusetzen. Gleichzeitig mit dieser Resolution wurden kanadische Soldaten aus Srebrenica abgezogen. Mehrere Länder wurden angefragt, Soldaten als Ersatz zu entsenden, doch sie lehnten ab. Die Niederländer hätten ähnlich reagieren können. Niederländische Generäle erklärten dem verstorbenen Verteidigungsminister der Arbeitspartei Relus ter Beek, dass „die Stationierung eines niederländischen Bataillons in Srebrenica ein Auftrag „voller Ehre, nicht einfach, aber machbar“ sei.

Eine Parlamentsuntersuchung in 2000 kam zu dem Schluss, dass Entscheidungen zur Teilnahme an Friedensmissionen oftmals ohne ausreichende Informationen und schlechte Kommunikation zwischen den Regierungsministern, Parlamentariern, Bürokraten und der militärischen Führung getroffen würden. Der damalige Verteidigungsminister zur Zeit des Völkermordes, der Liberale Joris Voorhoeve, erklärte vor der parlamentarischen Untersuchungskommission, dass ihm seit 1994 bewusst gewesen sei, dass Srebrenica nicht zu halten sei. Dennoch ergriff er keine Massnahmen.

Sogar das Hauptergebnis  des Untersuchungsberichtes, der vom National Institute of War Documentations sieben Jahre nach dem Völkermord veröffentlicht worden war, war falsch. Es behauptete nämlich, dass die niederländische Regierung nichts von den Risiken eines Massenmordes durch (bosnische) Serben gewusst hätte, als sie ihren Soldaten befahl, aus Srebrenica abzuziehen. Kurz darauf erklärten zwei Minister, Jan Pronk und Els Borst, dass sich die Regierung dieser Risiken sehr wohl bewusst gewesen war, als sie die Entscheidung getroffen hatte. Jahre später sagte mir Borst, dass sie hinter dieser Aussage gestanden hat.

Das niederländische Militär kann aber in noch schlechteres Licht gestellt werden. Der Kommandant der Landstreitkräfte entschied, dass die niederländischen Soldaten, die die Bevölkerung von Srebrenica ihrem tragischen Schicksal überlassen hatten, nach ihrem erfolgreichen Rückflug nach Zagreb Anrecht auf eine Party hätten. Ein niederländische Historiker schrieb später: „Während die Bosnier bis zum Knie in Blut standen, standen die niederländischen Soldaten in Zagreb bis zu ihren Knöcheln im Bier und wurde von Kronprinz Willem Alexander, [Ministerpräsident] Kok und Voorhoeve applaudiert.“

Viele israelische Politiker und die israelischen Medien schenken den Ereignissen in Europa nur wenig Aufmerksamkeit. Jedoch könnte ihre Analyse ausserordentlich  zu Israels Public Diplomacy beitragen.

Es hilft zu verstehen, wie andere Länder und die UN in einer Notsituation funktionieren. So lassen sich  ständige übertriebene Verurteilungen Israels – externe wie interne – relativieren, auch wenn weniger Kritik durchaus angebracht wäre. Zwei Beispiele für übertriebene Reaktionen auf eine israelische Militärantwort sind die Verurteilung der israelischen Reaktion auf die gewaltsame Provokation durch die Teilnehmer der ersten Gaza-Flottille und auf die von der syrischen Regierung gesponserte Grenzübertretung am „Naqba“-Tag.

 

Manfred Gerstenfeld hat bisher zwanzig Bücher geschrieben. Im letzten Jahr erschien sein Buch auf Holländisch The Decay; Jews in a Rudderless Netherlands, das eine grosse Debatte in den Niederlanden losgetreten hat.