Venezuela: Der Antisemitismus eskaliert weiter

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Der Verband jüdischer Gemeinden Venezuelas (CAIV) reichte Klage beim venezolanischen Staatsanwalt ein, die Werbung für ein Pamphlet der Protokolle der Weisen von Zion auf dem staatlichen Hauptradiosender zu verurteilen.

Am 4. April empfahl die bekannte Radiomoderatorin des Nationalen Venezolanischen Radios (NVR), Cristina Gonzales, ihren Hörern in ‘La noticia final’ die Lektüre dieses antisemitischen Pamphlets. Die Protokolle der Weisen von Zion ist ein lügenhafter antisemitischer Text – einer seiner wichtigsten Verfechter war Adolf Hitler – der in Russland um die Jahrhundertwende durch die zaristische Geheimpolizei in Umlauf gebracht worden war, um die Idee der internationalen jüdischen Verschwörung zu verbreiten.

Während ihrer Sendung sagte Gonzales, dass sie die jüdische Gemeinde und die „nicht-zionistischen“ Israeli bewundere, bevor sie dazu überging, anhand „kleiner Perlen“ aus den Protokollen zu erklären, warum Zionisten sich so sehr auf Macht und Reichtum konzentriert haben. Gonzalez – überzeugt von der Richtigkeit der Protokolle – hat ebenso vorgeschlagen, dass die „Zionisten“ wegen ihrer angeblichen Finanz- und Medienkontrolle an den aktuellen Geschehnissen im Nahen Osten schuld seien.

In ihrer Pressemitteilung erklärte der CAIV, dass die venezolanischen Juden “wissen, dass die Werbung für dieses antisemitischen Heftchens nur Hass und Diskriminierung erzeugt und daher gegen die Verfassung der bolivarischen Republik Venezuela verstösst.“ Die Anti Defamation League (ADL) schloss sich dem CAIV solidarisch in der Verurteilung der venezolanischen Radiomoderatorin an. „Präsident Hugo Chavez hat sein Wort nicht gehalten, den Antisemitismus in Venezuela zu verurteilen“, sagte der ADL-Direktor Abraham H. Foxmann. „Es ist schockierend, dass das staatliche venezolanische Radio die Protokolle bewerbe, als wäre es eine akkurate und faktische Beschreibung von Juden, obwohl es sich in Wirklichkeit um die schlimmste Manifestation von konspirativem Antisemitismus handelt. Es ist für jede Regierung unverantwortlich, den Missbrauch seiner Äther für Werbung für einen konspirativen Antisemitismus -Traktat zuzulassen, um Juden mithilfe von Geschichte zu verunglimpfen. […] Leider belegt Gonzales Radiosendung, dass der Doppelhass auf den Zionismus und das Judentum weiter zusammenlaufen und in Venezuela sich vermischen.“

In 2009 brach Chavez als Protest gegen die Militäraktion im Gazastreifen die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. Im gleichen Monat wurde eine Synagoge in Caracas verwüstet und ein Hakenkreuz an die Wände gesprüht. Später wurden elf Personen verhaftet, darunter acht Polizisten.  Einige Tage nach dem Vandalen-Akt beschuldigte Abraham Levy Ben Shimol, Präsident der jüdischen Gemeinde Venezuelas, auf der Konferenz des World Jewish Congress in Jerusalem Chavez, den Antisemitismus zu fördern und ihm Legitimität zu verleihen. Im Antisemitismus-Jahresbericht der Tel Aviv University heisst es, dass in Venezuela „antisemitische Anschuldigungen ein integraler Teil einer extrem antiisraelischen Propaganda von Regierungs – und ProChavez Kreisen sind.“

Ein Jahr später sagte Fidel Castro in einem Interview mit dem Atlantic Magazine, dass der iranische Präsident aufhören solle, den Holocaust zu leugnen und dass die Juden eine hartes Leben gelebt hätten. „Nichts steht im Vergleich zum Holocaust“, sagte er. Chavez wollte seinem Mentor in nichts nachstehen und sagte einige Tage später am 8. September 2010, dass „wir das jüdische Volk lieben und respektieren;“ und er kündigte an, dass er sich mit Vertretern der jüdischen Gemeinde Venezuelas treffen wolle, vielleicht weil er dachte, diese Aktion würde sein politisches Ansehen im Ausland verbessern.

Im September 2010 traf Chavez sich daher mit Vertretern des CAIVs, um ihre Bedenken bezüglich des Antisemitismus in venezolanischen Staatsmedien zu besprechen. „Wir haben die negativen Konsequenzen betrachtet, zu was hasserfüllte Ausdrücke führen können und wie sie die Sicherheit und Integrität der Institutionen und Personen beeinflussen können, die die Gemeinde venezolanischer Juden bilden,“ teilte der CAIV nach dem Treffen mit. Im Anschluss sagte der jüdische Bund, dass es „eine merkbare Abnahme antisemitischer Rhetorik gab.“ Die Chavez-Regierung hat dann sogar entschieden, die Sicherheit für Synagogen und jüdische Gemeindezentren zu Festzeiten zu erhöhen.

Allerdings scheint Antisemitismus weiterhin an greifbares Phänomen unter Regierungsunterstützern und staatseignen Medien zu sein. […]

Die Werbung für die Protokolle durch staatseigene venezolanische Medien ist kein Einzelfall. In 2008 sagte ein Radiomoderator des gleichen Senders NVR: „Hitlers Partner waren Juden … wie die Rockefellers, die auch Juden sind [Anm. die Rockefeller sind keine Juden]. Das waren nicht die Juden, die in den KZs ermordet wurden. [Die getöteten] waren Juden der Arbeiterklasse, jüdische Kommunisten, arme Juden, weil die reichen Juden hintern den Plänen standen, Palästina zu besetzen.“ In 2010 wurde auf der pro-Chavez Website Aporrea ein antisemitischer Artikel veröffentlicht, ein Echo der Rhetorik der Protokolle: „ Die Essenz des Judentum findet sich nicht im Pentateuch oder in der Torah, sondern in den Realitäten des Kapitalismus. […] Das bedeutet, dass das Judentum sein Ende mit den fortgeschrittenen Realitäten des Kommunismus erlangen wird, wo es keinen Staat gibt, keine sozialen Klassen, antagonistische Widersprüche. […] Und am wichtigsten, Geld und  Wucher, was die Grundlagen des Judentums sind, werden verschwinden.“

Diese antisemitische Propaganda ist der Kern von Chavez politischem Denken und Propaganda. Daher ist es nicht überraschend, dass sich die intellektuellen Kreise um den venezolanischen Präsidenten aus notorischen antisemitischen Figuren zusammensetzen.

Ein früherer Berater und enger Vertrauter Chavez war der 2003 verstorbene argentinische Soziologe Norberto Ceresole, ein bekannter Holocaust-Leugner. Seine Werke hatten offensichtlich einen starken Einfluss auf Chavez. Das Buch „Die Verfälschung der Realität“ verhalf ihm zu einer wichtigen Stellung unter den pro-Chavez Leuten. In diesem Buch behauptet er, dass der Holocaust ein „Mythos“ sei und dass die Anschläge 1994 auf die israelische Botschaft und das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires das Produkt jüdischer Machtkämpfe gewesen sei.

So eskaliert die Verleumdung gegen Juden weiter – unter der Komplizenschaft der venezolanischen Regierung.

 

Gekürzte Übersetzung der Originalversion: Venezuela: Anti-Semitism keeps escalating, by Anna Mahjar-Barducci, June 1, 2011, ©Hudson-NY.