Eine mutige, jugendliche jüdische Stimme in Europa

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Benjamin (Benny) Fischer von der European Union of Jewish Students. Foto zVg
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Anlässlich einer Sitzung der parteiübergreifenden Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus im Europäischen Parlament am 16. November 2016 in Brüssel, reflektierten drei Vertreter jüdischer Studentenorganisationen zum Thema: “Stimme der Jugend: Herausforderungen, Chancen und eine unsichere Zukunft?”

Mit einem der Teilnehmer, Benjamin Fischer, Vorsitzender der Europäischen Union jüdischer Studenten, führte Bastiaan (Bas) Belder, Mitglied des Europäischen Parlaments (Ausschuss für Aussenpolitik) und dessen Vize-Vorsitzender der Israeldelegation, danach noch ein kurzes Gespräch.

Bastiaan Belder: Welche persönliche Erfahrungen haben Sie mit antisemitischen Äusserungen gemacht?

Benjamin Fischer: Seit meiner frühen Kindheit habe ich persönlich Antisemitismus in vielen Formen erfahren. Im Kindergarten nannte mich ein Mitschüler “Judensau”, meine Schwester wurde von Mitschülerinnen attackiert. In der Oberschule sangen wir auf einer Gedenkveranstaltung für den Holocaust mit meiner Klasse aus dem jüdischen Gymnasium, woraufhin eine Gruppe von Schülern Kleingeld auf uns schmiss und “Fangt Juden“ rief.

Auch in der Universität erfuhr ich antisemitische Äusserungen. Ein Kommilitone schimpfte über den Betreiber eines Geschäftes, weil ihm kein Nachlass gewährt wurde: “So ein dreckiger Jude.”

Ich arbeitete später in der Hamburger Synagoge und führte Schulklassen, aber auch Seniorengruppen in das Judentum ein. In 1,5-stündigen Touren erzählte ich vom Facettenreichtum jüdischer Identität. Die Fragen die hier gestellt wurden -zu oft von Seiten der anwesenden Lehrer- hatten regelmässig einen bitteren Beigeschmack, waren des öfteren auf antisemitische Ressentiments zurückzuführen.

Gibt es eine Diskrepanz zwischen der Reaktionen jüngerer und älterer Mitglieder jüdischer Gemeinden in Europa gegenüber antisemitischen Angriffen/Äusserungen?

Ich glaube, dass insbesondere die dritte, also meine Generation, einen offeneren, ja, offensiveren Umgang mit Diskriminierung hat. Sicherlich spielt auch eine Rolle, ob man selbst in Deutschland geboren und aufgewachsen ist oder hinzugezogen ist.

Während der Sitzung bedauerte ich sehr die Passivität nicht-jüdischer Bürger in meinem Land (die Niederlande) und auch in meiner Kirche gegenüber dem Antisemitismus in der Gesellschaft. Wie erfahren Sie das Schweigen, diese Passivität? Eine ‘Normalisierung’ des Antisemitismus?

Ich glaube, dass dies keine neue Tendenz ist. Zivilcourage ist eine Tugend, die leider nicht immer die nötige Anerkennung erfährt. Ich glaube auch nicht, dass dies eine Tendenz ist, die auf den Antisemitismus zugeschnitten ist. Es handelt sich hierbei um ein Problem, dass jede Form der Diskriminierung betrifft. Sicher habe ich zu oft das Gefühl, in den Momenten, in denen tatsächlich etwas passiert ist, dass es an Verständnis mangelte. Die Sensibilisierung für den Antisemitismus, eine steigende “Holocaustmüdigkeit” und Teilnahmslosigkeit sind aber Tendenzen, die ich sowohl in meiner Arbeit, als auch im persönlichen Alltag wahrnehmen musste.

Im wissenschaftlichen Diskurs wird oft gesprochen über die Israelisierung des Antisemitismus in Europa. Was sind Ihre praktischen Erfahrungen?

Mit Sicherheit lässt sich gerade beobachten, wie Eigenheiten der unterschiedlichen Formen von Antisemitismus verschwimmen. Der Konflikt im Nahen Osten spielt hierbei eine zentrale Rolle. Erschreckenderweise werden hierdurch dann antisemitische Straftaten gerne relativiert. So werden etwa die Attacken auf den koscheren Supermarkt Hyper Cacher (in Paris am 9. Januar 2015, Anm. d. Red.) etwa als Reaktion auf den Konflikt im Nahen Osten interpretiert. Eine Tendenz die ich im höchsten Masse als gefährlich empfinde.

Haben Sie vor in Europa zu bleiben oder sehen Sie vielmehr Ihre Zukunft in Israel oder anderswo?

Ich bin Europäer und das wird sich nicht ändern. Als Aktivist verstehe ich meine Aufgabe als Arbeit mit der Europäischen Gesellschaft, denn ich sehe mich als Teil von Ihr. Europa zu verlassen würde diesem Selbstverständnis widersprechen. Wie auch immer Europas Zukunft aussehen wird, für meine eigene Zukunft und für Europa werde ich mich stark machen.