Deutsche Universität setzt profilierten Antisemitismusforscher ab

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Foto Universität Göttingen
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Die Göttinger Georg-August-Universität hat sich Ende April entschieden, den Vertrag eines der renommiertesten Antisemitismus- und Rechtsextremismus-Experten Deutschlands, des Politikprofessors Samuel Salzborn, ab Mitte 2017 nicht zu verlängern.

Diese Entscheidung wird seit Anfang Mai in den deutschen Medien heftig debattiert und findet nun auch internationale Beachtung. Sie wirkt umso grotesker, wenn man bedenkt, dass noch im Dezember 2015 der Stiftungsrat ebendieser Universität den gerade mal 39 Jahre jungen, von der österreichischen Zeitung DER STANDARD als einen der „umtriebigsten“ deutschen Wissenschaftler bezeichneten Salzborn „für seine Forschungsleistungen im Bereich „‚Demokratie, Rechtsextremismus und Kritik am Antisemitismus’“ ehrte (s. taz).

Die Wissenschaft reagierte auf diese Entscheidung mit einem Aufschrei.

Prof. Julius Schoeps, Gründungsdirektor des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam bezeichnete die Entscheidung gemäss Jerusalem Post als einen „Skandal“.

In einem persönlichen Gespräch erklärte die Professorin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin: „S. Salzborn ist ein besonders produktiver und engagierter Wissenschaftler auf dem gerade heute so wichtigen Gebiet der Extremismusforschung. Eigentlich sollte jede Universität froh über einen solchen Forscher sein und alles tun, um ihn als Professor zu halten. Dass die Uni Göttingen seine Stelle trotz seiner beeindruckenden akademischen und auch gesellschaftsrelevanten Tätigkeit nicht verlängert, ist daher in keiner Weise nachzuvollziehen. Da bleibt nur Unverständnis.“

Professor Lars Rensmann von der Universität Groningen entgegnet auf diese Entscheidung: „Salzborn [ist] ein ausgewiesener Experte der Rechtsextremismusforschung und einer der führenden Forscher zu aktuellem und neuem Antisemitismus in Deutschland und Europa. Universitäten haben auch einen gesellschaftlichen Auftrag, und man kann kaum sagen, dass zu diesen Themen derzeit kein Forschungsbedarf bestünde. Diese Themen gewinnen vielmehr an Bedeutung. Salzborn ist hierbei eine bedeutende kritische Stimme, die neue wissenschaftliche Befunde in öffentliche Interventionen zu Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamismus überführt.“

Wie Rensmann herausstellt, ist es nicht nachvollziehbar, warum die Präsidentin der Universität, die Professorin Ulrike Beisiegel „trotz anhaltendem erheblichen öffentlichen Drucks“ an ihrer Entscheidung festhält (Auszüge des Zitats von Rensmann finden Sie in der Jungle World vom 19. Mai). Selbst der Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, Walter Reese-Schäfer, distanziert sich laut Göttinger Tageblatt von der Entscheidung des Präsidiums.

Neben der massiven Kritik aus universitären Kreisen fängt nun auch die Politik an, sich explizit gegen diese Entscheidung zu stellen. Die SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Gabriele Andretta lobt den Professor als einen der „bundesweit renommiertesten Rechtsextremismusforscher, der auch zu Salafismus forscht“ (NDR). Der Grünen-Politiker und ehemalige Student der Sozialwissenschaften Jürgen Trittin forderte, „die Professur von Samuel Salzborn zu erhalten“. Weiter betont der Politiker, dass „in Zeiten des derzeitigen aufgeheizten und beinahe radikalisierten Klimas […] die Streichung der Professur für Rechtsextremismusforschung die denkbar schlechteste Signalwirkung“ habe (Göttinger Tageblatt).

Entsprechend bemerkte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dass er die Entscheidung „gerade im Hinblick auf den zu beobachtenden Rechtsruck in der Gesellschaft für falsch“ halte (Jungle World).

Angesichts der ausserordentlichen Leistungen von Salzborn, seines internationalen Ansehens, aber auch seiner Beliebtheit unter den Studierenden bleibt diese Entscheidung mehr als rätselhaft. Letzteres spiegelte sich nicht zuletzt im Bemühen des Fachschaftsrates Sozialwissenschaften wider, einen offenen Brief mit erheblicher Beteiligung aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Umlauf zu bringen.

Gründe für Entscheidungen unter solchen Vorzeichen sind in der Regel in finanziellen Engpässen zu suchen. Da die Stelle neu ausgeschrieben wird, kann es jedoch an fehlenden Mitteln nicht liegen. Eine Verkleinerung der sozialwissenschaftlichen Fakultät ist laut Präsidium nicht geplant, sondern eine Stärkung derselben.

Der Fachschaftsrat bringt laut Jungle World dafür eine politische Dimension ins Spiel. Salzborn wurde mit der Leitung der Dokumentationsstelle zum Rechtsextremismus und Islamismus betraut, welche u.a. die Aufklärung und Aufarbeitung der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) auf transparente Weise fortsetzen sollte. Laut Jungle World zeigte sich das Präsidium der Göttinger Universität trotz Bewilligung der Projektgelder durch das Land von den Plänen „nicht begeistert“ und verlangte einen neuen Projektentwurf (s. hierzu auch NDR). Es wird vermutet, dass die Ablehnung auch mit der nicht immer gewünschten Verzahnung von Wissenschaft und Politik zu tun hat. Dementsprechend und weiterführend weisen Jungle World und DER STANDARD darauf hin, dass Salzborn als Forscher Missstände stets beim Namen nannte, dass seine Kritik an AfD und PEGIDA, am Antisemitismus in der Linkspartei, aber auch in anderen Zusammenhängen für eine wissenschaftliche Arbeit stand, die sich immer auch politisch positionierte.

Wie DER STANDARD richtig festhält: „Was bleibt, sind viele offene Fragen“. Behauptet werden kann aber: Vom angeführten gesellschaftlichen Auftrag der Universität, den Rensmann weiter oben anführt scheint trotz brisanter europaweiter Entwicklungen nicht viel übrig geblieben zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass durch breiten Protest auch im Ausland die Universitätsleitung zum Einlenken bereit ist.

Über Matthias J. Becker

Matthias J. Becker ist Doktorand an der Technischen Universität Berlin. Er studierte Romanische Philologien, Philosophie und Linguistik an der Freien Universität. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dämonisierenden Analogien im deutschen und britischen Nahostdiskurs (Web-Kommentare auf Die Zeit und The Guardian), um die verschiedenen Qualitäten eines israelbezogenen Entlastungsantisemitismus’ anhand des Online-Diskurses in liberalen Medien zu erforschen.

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1 Kommentar

  1. Aus dieser „Personalentscheidung“ der Göttinger Georg-August-Universität droht inzwischen ein handfester Skandal zu werden. Bei TTIP sind sich alle einig, die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, informiert zu werden. Hier fängt man plötzlich an, zu mauern und weigert sich, eine Nachvollziehbarkeit dieser Entscheidung herzustellen.

    Da es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass NPD-Antisemiten in diese Entscheidung in irgendeiner Form personell eingebunden sind bleiben nur noch die Antisemiten der LINKEN. Dass für diese Samuel Salzborn ein rotes Tuch ist, darf nicht erst seit dessen Untersuchung über „Antisemiten als Koalitionspartner? Die Linkspartei zwischen antizionistischem Antisemitismus und dem Streben nach Regierungsfähigkeit“ unterstellt werden. Methoden und politische Skrupellosigkeit passen bestens zu dieser Gruppierung. Solange die Verantwortlichen nicht glasklar darlegen, dass andere Gründe maßgebend waren, haben die Beteiligten eine Bringschuld, die hoffentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt und meine obige Vermutung ad absurdum führt.

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