Ein Armenhaus ohne Tür

1
Die Synagoge vor der Zerstörung. Foto Ulrich W. Sahm
Lesezeit: 3 Minuten

Zu Pierre Heumanns Artikel in der Basler Zeitung (Online nicht verfügbar)

Pierre Heumann hat eine vorzügliche Analyse zu dem israelischen Abzug aus dem Gazastreifen vor genau zehn Jahren verfasst und die zahlreichen Gründe für das Chaos in dem verarmten Küstenstreifen angegeben. Dazu hatte er den palästinensischen Politologen Mkhaimar Abusada von der Azhar-Universität von Gaza befragt, einem der besten „Kenner“ des Gazastreifens.

Der wiederholte freilich das übliche Propaganda-Klischee, wonach Israel seinen Rückzug nicht „koordiniert“ habe und dass deshalb dem Rückzug ein Chaos folgte, anstatt in dem Landstreifen das „Singapur des Nahen Ostens“ zu schaffen. Diese Behauptung ist faktisch falsch, wie man in Medienberichten von damals schwarz auf weiss nachlesen kann.

Unmittelbar nach der Ankündigung von Ministerpräsident Ariel Scharon in Herzlija im Dezember 2003 begannen Kontakte mit der Autonomiebehörde in Ramallah.

So erhielt Israel ein Versprechen, dass die Palästinenser mit ihren Polizeikräften dafür sorgen würden, jegliche Terroranschläge auf die sich zurückziehenden Siedler und Soldaten während des Rückzugs verhindern würden. Dieses Versprechen wurde voll eingehalten.

Doch dann erhoben die Palästinenser Forderungen, die von Israel eingehalten und umgesetzt werden mussten. Sie wollten die verlassenen 20 Prozent des Gazastreifens im gleichen Zustand zurück erhalten, wie ihn die Israelis 1967 bei ihrer Eroberung vorgefunden hatten. Im Klartext bedeutete das eine Zerstörung aller Siedlerhäuser. Ursprünglich wollte Israel die Villen, Einkaufszentren und Gewächshäuser komplett den Palästinensern überlassen, um dort Flüchtlinge oder Studenten einziehen zu lassen und den Gazastreifen wirtschaftlich mit den erfolgreichen wie hochtechnisierten Gewächshäusern zu unterstützen. Doch die Palästinenser blieben stur und die amerikanische Aussenministerin Condoleezza Rice begab sich auf eine Pendeltour in Nahost, um zu vermitteln. Offen blieb die Frage, ob die Israelis die Siedlerhäuser nicht nur sprengen sollten oder auch noch die Trümmer aufräumen und abtransportieren müssten. Allein damit ist belegt, dass es Kontakte und Absprachen zwischen Israel und den Palästinensern gegeben hat.

Einen Einblick in die seelische Verfassung der Palästinenser lieferte ein denkwürdiges Treffen palästinensischer Politiker mit deutschen Journalisten [1.Der Autor dieses Beitrags war bei diesem Treffen persönlich anwesend] in der Residenz des damaligen deutschen Botschafters in Ramallah, mehrere Monate vor dem Rückzug. Auf die Frage der Journalisten, wie sich denn die Palästinenser auf den Rückzug und das Danach vorbereiteten, lachte der damalige Minister für Gefangene, Kadura Fares: „Glaubt Ihr etwa Ariel Scharon? Der Rückzug ist doch nur Augenauswischerei und Propagandagetöse. Er wird nicht stattfinden.“ Trotz der damals schon sichtbaren Vorbereitungen zu dem im August 2005 geplanten Rückzugs des letzten Israeli aus dem Gazastreifen, gestand Fares, dass sich die Autonomiebehörde überhaupt nicht darauf vorbereitete und auch keine Vorstellung habe, was danach passieren könnte. Genau das dürfte der Hauptgrund für das ausgebrochene Chaos schon am Tag nach dem Abzug gewesen sein. Dabei wurden auch die voll in Schuss, mit Computern und technischen Anlagen hinterlassenen Gewächshäuser niedergebrannt, anstatt in ihnen weiterhin Gemüse für den Export nach Israel und Europa zu züchten. Das war eine harte Ohrfeige für New Yorker Juden. Am Sabbat vor dem Rückzug, in letzter Minute, hatten sie noch Millionen Dollar gesammelt, um den Siedlern die Computer abzukaufen, damit die Gewächshäuser für die Palästinenser funktionstüchtig bestehen bleiben könnten.

In einem Punkt haben sich die Israelis nicht an die Abmachungen gehalten, was ihnen später schwere Vorwürfe eingebracht hat. Sämtliche Synagogen, darunter ein riesiges Gotteshaus in der Form eines Davidsterns in Kfar Darom, liessen sie stehen, anstatt sie zu sprengen. Das hielten die Palästinenser für reine „Provokation“, denn den Israelis sei klar gewesen, dass die Synagogen entweiht, geschändet und angezündet würden, was Israel dann für seine anti-palästinensische Propaganda ausnutzen würde.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

Alle Artikel

1 Kommentar

  1. Israel ist in einer Situation, die ich meinem schlimmsten Feind nicht gönnen würde.
    Seine Gegner haben nicht nur ein gestörtes Verhältnis zur Moral und Fairness, sie sind völlig amoralisch!
    Wie will man da Verträge schließen und Frieden halten?
    Reinhard “Hardy” Rupsch

Kommentarfunktion ist geschlossen.