Sie tragen auffällige Uniformen: Männer, Frauen und Kinder. In Jerusalem und New York sind sie aus dem Straßenbild nicht wegzudenken. Aber auch anderswo fallen sie wegen ihrer großen Hüte, schwarzen Mänteln und Schläfenlocken sofort auf: orthodoxe Juden.
„Erstmals in der Geschichte haben wir eine Ausstellung geschaffen, die ohne jeden historischen Anlass die Sitten und Gebräuche, die Moden und von orthodoxen Juden benutzte Gegenstände dokumentiert“, sagt die Kuratorin und Ethnographin Esther Muchawski bei einer Pressetour durch eine ungewöhnliche Präsentation im Jerusalemer Israel-Museum. In Israel kennt sie jeder, aber fast niemand weiß wirklich, wie sie leben. „Wie hast du es nur geschafft, in deren Welt einzudringen“, wurde Muchawski gefragt, als würden die Orthodoxen in einer hermetisch verriegelten Welt unter sich leben und keinem Fremden Einlass gewähren. „Ich ging ganz normal gekleidet im T-Shirt zu ihren Festen, wurde freundlich empfangen und durfte sie problemlos fotografieren“, erzählt Menachem Cahana, einer der Fotografen, der bemerkenswerte Fotos und Filme zu der Ausstellung beigesteuert hat. „Ich habe mir lediglich eine Kipa (Kopfbedeckung) aufgesetzt.“
Neben großformatigen Fotos mit unvorstellbaren Szenen, hat Muchawski eine bemerkenswerte „Modeschau“ zusammengestellt. Die großen schwarzen Hüte haben unterschiedliche Formen und lassen sofort erkennen, zu welcher Chassidischen Abteilung ihr Träger gehört. In Osteuropa gehörten die Orthodoxen unterschiedlichen „Sekten“ an. Oder besser formuliert: sie sind Teil eines Rabbinerhofes gewesen, die regelrechte bis heute existierende Dynastien hervorgebracht haben. „Der Rabbi wird bis heute wie eine Vaterfigur verehrt, hat immer recht und irrt nie“, erzählt Muchawski nach zahlreichen Besuchen in den orthodoxen Vierteln. „Unter den Juden in Osteuropa spielten diese Rabbis eine ähnliche Rolle wie die Aristokratie.“
Einige Rabbis wurden auch über die engen Grenzen der Ostjuden bekannt dank der „Geschichten des Rabbi Nachman von Braslaw“ und den „Chassidischen Geschichten“, von Martin Buber ins Deutsche übersetzt und so Teil der Weltliteratur geworden.
Jede Gruppe entwickelte eigene Sitten und Kleidungsmoden, die sich bis heute erhalten haben, aber auch neuen Einflüssen ausgesetzt waren. Während die Pelzhüte der Rabbiner russischen Zarenkronen nachempfunden sind, übernahmen fromme Juden in Jerusalem auch osmanische Mäntel als Vorbild für ihre Trachten.
Das Herz der Ausstellung bilden Fotos. Abgebildet sind jüdische Sitten und Rituale, die eigentlich jeder Jude kennt. Doch wie sie bei manchen orthodoxen Gruppen ausgeführt werden, lässt den Betrachter in eine fremde und sogar befremdliche Welt eintauchen.
So steht in der Bibel, dass das erstgeborene Füllen eines Esels rituell „ausgelöst“ oder enthauptet werden müsse. Auf einem der Fotos ist ein neugeborener Esel auf einem Tisch sitzend zu sehen, dem ein Hut der Orthodoxen aufgesetzt worden ist. Auf einem anderen Bild schiebt ein Orthodoxer einen Kinderwagen. Das Kind ist mit einem Gebetstuch völlig verdeckt. Muchawski erklärt: „Die reine Seele des Kindes soll vor dem Anblick der sündigen Welt geschützt werden.“
Ein an die Wand geworfener Film zeigt einen Hochzeitstanz, wie aus einer anderen Welt. Auf Tribünen sitzen Hunderte junge orthodoxe Juden in ihren typischen Uniformen und schunkeln zum Takt der Musik. Auf dem Parkett sieht man den Brautvater, wie er an einem weißen Band die Braut hinter sich her zieht. Die junge Frau im pompösen Brautkleid ist voll verschleiert. Sie wischt sich immer wieder Tränen weg. Sie darf nur tippelnde Schritte tun und nicht wirklich tanzen, denn Frauentanz vor Männern gilt als „unzüchtig“. Die Szene wurde morgens um sechs gefilmt und ist wohl ein außerhalb der Welt der Orthodoxen ein nie zuvor gesehenes Dokument.