
Die israelische Luftwaffe hat in der Nacht zum Mittwoch erneut militärische Ziele im Süden Syriens angegriffen. Die Angriffe gehören zu den umfangreichsten der vergangenen Monate – syrische Berichte sprechen von mehr als 40 Luftschlägen.
Ziele waren nach Angaben der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) unter anderem Radar- und Aufklärungssysteme sowie Kommandoposten und Waffenlager des syrischen Regimes. Die Angriffe machen deutlich: Israel lässt keinen Zweifel daran, dass es seine Sicherheitsinteressen an der Nordgrenze entschlossen verteidigt – unabhängig von der politischen Lage in Damaskus.
Die Luftschläge erfolgten nur wenige Stunden, nachdem der neue IDF-Generalstabschef, Generalleutnant Zamir, Truppen an der israelisch-syrischen Grenze inspizierte und eine Lagebeurteilung vornahm. Hintergrund ist eine sich dramatisch verändernde Lage in Syrien: Der neue Machthaber in Damaskus, Ahmed Hussein al-Sharaa – besser bekannt als der frühere Al-Qaida-Kommandeur Abu Mohammad al-Julani – bemüht sich um eine innenpolitische Stabilisierung. So wurde am Montag eine Vereinbarung mit den kurdisch dominierten SDF-Kräften bekanntgegeben, wonach diese künftig in syrische Staatsstrukturen integriert werden sollen – inklusive einer Eingliederung in die Armee.
Gleichzeitig kam es in den vergangenen Tagen zu massiven Angriffen regimetreuer Milizen auf alawitische Zivilisten in Westsyrien. Berichte sprechen von Hunderten Toten – ein Massaker, das in Israel höchste Aufmerksamkeit auslöste. Aussenminister Gideon Saar erklärte, die Täter seien «Jihadisten geblieben, auch wenn manche heute Anzug tragen». Die internationale Gemeinschaft müsse die «barbarischen Morde an Zivilisten» endlich klar verurteilen.
Israels rote Linien bleiben bestehen
In Jerusalem herrscht wenig Illusion über den Wandel an der Spitze des syrischen Staates. Die Einschätzung lautet klar: Al-Julani mag sich rhetorisch mässigen, doch bleibt er ein islamistischer Hardliner mit tiefen ideologischen Wurzeln. Seine familiären Verbindungen in den Golanhöhen nähren zudem die Sorge, dass ein gefestigtes Regime unter seiner Führung früher oder später Israel ins Visier nehmen könnte.
Die gestrigen Luftschläge sind vor diesem Hintergrund als Signal zu verstehen: Israel akzeptiert keine militärische Konsolidierung des syrischen Regimes südlich von Damaskus. Diese rote Linie gilt unabhängig von der Etikettierung der neuen Machthaber.
Sicherheitslage bleibt angespannt
Die israelischen Sicherheitsdienste sehen derzeit mehrere potenzielle Gefahren, die trotz der militärischen Erfolge im Dezember 2024 weiterhin bestehen bleiben. So gilt das neue Regime unter al-Sharaa zwar momentan als primär innenpolitisch beschäftigt, doch besteht in Jerusalem die Sorge, dass ein konsolidiertes Machtzentrum in Damaskus perspektivisch gegen Israel vorgehen könnte – zumal der neue Machthaber familiäre Wurzeln in der Golanhöhenregion hat. Zugleich bleibt die Gefahr bestehen, dass sich Syrien erneut fragmentiert und sunnitisch-jihadistische Gruppierungen, darunter auch Ableger des IS, vor allem im Süden des Landes erneut an Einfluss gewinnen. Solche Gruppen wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach von israelischen Streitkräften ins Visier genommen, als sie sich der Grenze näherten. Auch palästinensische Terrororganisationen wie Hamas und der Islamische Dschihad, deren Mitglieder nach dem Sturz Assads teilweise aus den Gefängnissen entlassen wurden, könnten Syrien wieder verstärkt als Rückzugs- und Operationsraum nutzen. Schliesslich beobachten israelische Sicherheitskreise auch mit Sorge die Bestrebungen der Türkei, militärisch in Südsyrien Fuss zu fassen und eigene Stützpunkte unweit der israelischen Grenze zu errichten – ein strategisches Szenario, das langfristig zu erheblichen Instabilitäten führen könnte.
Israels Präsenz in Südsyrien – mehr als Verteidigung
Israel ist weiterhin in strategisch wichtigen Positionen südlich des Hermon-Massivs präsent – insbesondere innerhalb der entmilitarisierten Zone gemäss dem Waffenstillstandsabkommen von 1974. Darüber hinaus operiert die IDF in einer sogenannten «Sicherheitszone», in der auch einige drusische Dörfer liegen.
Diese Präsenz ist keine blosse Vorsichtsmassnahme, sondern Teil einer klaren Strategie: Prävention statt Reaktion. Premierminister Netanyahu hatte zuletzt betont, dass Israel auch die drusische Bevölkerung in der Region schützen werde – ein klares Zeichen, dass Israel nicht nur auf Bedrohungen reagiert, sondern auch Verantwortung übernimmt.
Blick nach vorn – strategische Weichenstellungen
Die israelische Führung geht davon aus, dass die IDF auf absehbare Zeit in der Pufferzone präsent bleiben muss. Parallel bemüht sich Verteidigungsminister Katz um wirtschaftliche Anreize für die lokale drusische Bevölkerung: So könnten syrische Drusen künftig Arbeitsgenehmigungen erhalten, um in israelischen Ortschaften auf dem Golan tätig zu sein – etwa im Bau- und Agrarsektor. Das würde nicht nur den Lebensstandard der Bevölkerung heben, sondern auch die israelisch-drusischen Beziehungen in der Region vertiefen.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bleibt die amerikanische Präsenz in Ostsyrien. Noch ist unklar, ob sich die USA dauerhaft engagieren werden – Gerüchte über einen möglichen Rückzug kursieren immer wieder. Israel hat hier ein klares Interesse: Eine vollständige US-Abwesenheit würde das strategische Vakuum nur weiter vertiefen.
Die israelischen Luftangriffe in Südsyrien sind mehr als nur militärische Aktionen – sie sind Teil eines umfassenden Signals: Die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates sind nicht verhandelbar. Auch wenn Israel sich aus den inneren Wirren Syriens heraushält, bleibt die klare Botschaft: Eine neue jihadistische Macht in Damaskus – sei sie im Anzug oder im Kampfanzug – wird nicht toleriert.