Trotz Waffenstillstand keine Normalität im israelischen Schlomi

"Ein Pflaster auf einer offenen Wunde"

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Israelische Soldaten sichern die israelisch-libanesische Grenze in der Stadt Schlomi im Norden des Landes. Foto IMAGO / Saeed Qaq
Israelische Soldaten sichern die israelisch-libanesische Grenze in der Stadt Schlomi im Norden des Landes. Foto IMAGO / Saeed Qaq
Lesezeit: 3 Minuten

Die Stadt Schlomi liegt an der Grenze zum Libanon. Seit 14 Monaten sind ihre Bewohner evakuiert. Trotz des Waffenstillstands kommen sie nur zögerlich zurück. Zu gross ist die Angst, dass der Krieg wieder aufflammt.

von Andrea Krogmann

Die Umrisse von drei Tannen zieren den Ortseingang, darunter die Buchstaben „Schlomi“. Aus dem Waldstück dahinter ragen verkohlte Baumskelette in den Winterhimmel. Die 8.300-Einwohner-Stadt in Israel reicht bis an die „blaue Linie“, die Demarkationslinie, die den Norden des Landes vom Südlibanon trennt. Grenznähe und Hanglage machten den Ort zu einem der meistgetroffenen Ziele der libanesischen Hisbollah in dem seit Oktober 2023 andauernden Krieg. Trotz des jetzt geltenden Waffenstillstands sind die Strassen Schlomis verwaist, Geschäfte mit wenigen Ausnahmen geschlossen. Das Vertrauen in die Haltbarkeit des auf 60 Tage angelegten Abkommens im Norden ist gering.

Das „Shisha House“ liegt ein paar hundert Meter von der südöstlichen Zufahrt entfernt. Der Kiosk ist zum Zentrum Schlomis geworden, seit der Ort vor knapp 14 Monaten evakuiert wurde. Neben Alkohol, Tabak und der Chance auf Lottoglück bietet er einen Treffpunkt: für die paar hundert zumeist älteren Menschen, die den Evakuierungsaufforderungen nicht gefolgt sind. Besorgte Bewohner, die nach dem Rechten sehen. Bauern und Arbeiter aus umliegenden Ortschaften. Soldaten.

„Wir hatten das Geschäft nicht für einen Tag geschlossen“, sagt Elsie Tuama (30), auch, um anderen Hoffnung zu geben. Die libanesische Christin betreibt den Kiosk und einen Supermarkt gemeinsam mit ihrem Mann und steht damit „zwischen allen Stühlen“. 2000, als Israel sich aus dem Südlibanon zurückzog und die mit Israel verbündete Miliz „Südlibanesische Armee“ zerfiel, flohen beide wie tausende andere über die Demarkationslinie nach Israel. Für Muslime seien sie Kollaborateure. Juden wiederum täten sich schwer mit der Präsenz von Christen an einem jüdischen Ort.

Nach dem Libanon sehne er sich trotzdem nicht, sagt Elsies Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Weil man sich nur nach etwas sehnen könne, was gut war. Für den 37-Jährigen, der „im Krieg grossgeworden“ ist, wiederholt sich die Geschichte, „ein Trauma, das mich begleitet“. Der libanesische Christ hat in der israelischen Armee gedient. Auch jetzt war er im Reservedienst, erst in Gaza, dann im Südlibanon, wo das Ehepaar noch Familie hat. „Auch auf der anderen Seite gibt es gute Menschen. Aber wir müssen jetzt den Job für beide Seiten machen, um diesen Krebs einzudämmen.“ Elsies Mann spricht von der Hisbollah.

326 Luftalarme gab es nach Aufzeichnung des Heimatfrontkommandos seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 in Schlomi, 134 allein seit Beginn der israelischen Bodenoffensive im Südlibanon. Etwa 1.000 Gebäude wurden dabei beschädigt, so Ortssprecher Ofir Schpigel gegenüber Medien.

Das Haus von Yossi Amrusi hat, wie das seiner Eltern, die unzähligen Raketenangriffe unbeschädigt überstanden. Bewohnbar seien sie nach dem langen Leerstand trotzdem nicht, sagt der 35-Jährige. Er betrachtet die Spur der Verwüstung, die Ungeziefer und Ratten hinterlassen haben. Seine Tochter Avischag (6) sucht unterdessen nach zurückgelassenen Spielsachen, neben ihren nicht mehr anwesenden Freundinnen der schmerzhafteste Verlust auf der Flucht vor dem Krieg. Amrusi würde nach Schlomi zurückkehren, wenn Israel eine Sicherheitszone von mehreren Kilometern auf libanesischem Gebiet einrichten würde. „Andernfalls bleibt der Waffenstillstand ein Pflaster auf einer offenen Wunde und der Krieg wird zurückkehren.“

Im „Shisha House“ ist es seit dem Waffenstillstand noch stiller geworden, sagt Elsie Touma. Kaum jemand sei seither zurückgekommen, und gleichzeitig blieben die Besuche der Evakuierten aus Angst vor dem Bruch des Waffenstillstands aus. „Die Menschen sind ängstlicher als vorher, weil sie einen umso härteren Beschuss fürchten, wenn der Waffenstillstand bricht“, ergänzt ihr Mann. Er beschreibt das Gefühl vieler im Norden: Israel hätte den Krieg bis zum Ende führen müssen, damit an der Grenze für Jahrzehnte Ruhe einkehrt.

Der Waffenstillstand sei „nur ein Versuch, und das ist beängstigend“, sagt Elsie Tuama. Tagsüber halten sie das Geschäft weiterhin offen. Abends fahren sie in ihre vorübergehende Bleibe in Naharija. Eine Rückkehr in ihr Haus in Schlomi zum gegenwärtigen Zeitpunkt schliessen auch sie aus.

KNA/akr/hop/joh/iki

1 Kommentar

  1. Man sollte die Hoffnungen auf Frieden nicht mit diesem Waffenstillstand verknüpfen. Ein Waffenstillstandsabkommen mit einem Ablaufdatum bezweckt nicht den Frieden, das haben die Bewohner von Schlomi schon sehr richtig verstanden. Das ist auch logisch, denn von diesem Verständnis hängt ihr überleben ab. Aufgrund dieses Verständnisses handeln sie und bereiten sich auf den erneuten Ausbruch der Feindseligkeiten mit erhöhter Intensität vor.
    Andere, deren – politisches – Überleben davon abhängt, dass sie solche Dinge eben nicht verstehen, oder vielmehr vorgeben, dies nicht zu tun, handeln ebenso logisch. Man darf es auch ihnen nicht zum Vorwurf machen, denn der Überlebenswille ist die stärkste Triebfeder des Menschen. Hinter dieser müssen alle anderen Regeln, auch die des Anstandes, deren Teil Ehrlichkeit ist, zurückstehen. Etwas anderes von den Protagonisten des Konflikts zu erwarten wäre naiv. Es nur von einer Seite zu erwarten, der Jüdischen, wäre antisemitisch.
    Ehrlichkeit wird leider in der sogenannten „etablierten“ Politik zunehmend mit Dummheit und Naivität gleichgesetzt, aber rückblickend zeigt sich fast immer, dass es doch längerfristig die bessere Strategie ist, um Vertrauen der Bürger zu erlangen und zu behalten – unabhängig davon, wie sehr die Wahrheit, die ein Politiker ausspricht, schmerzt. Ein Arzt, der eine lebensrettende Operation wegen der damit für den Patienten einhergehenden Schmerzen scheut, wird auf Dauer auch keine Patienten mehr haben. Und ein Politiker keine Wähler.

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