Mit TWINT spenden: Libanonhilfe im Schatten des Nahostkonflikts

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Foto Screenshot Twint
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Im Newsletter vom 25. September 2024 («Unterstütze dein Herzensobjekt») macht TWINT, Betreiber der gleichnamigen Schweizer Bezahl-App, auf die Funktion «Spenden» aufmerksam. Mit dieser Funktion könne man «mit wenigen Klicks jederzeit Gutes tun und Grosses bewirken». Zur Auswahl stehen über 180 geprüfte Organisationen.

von Raphael Berger

So weit, so gut. Was einem dann den Atem stocken lässt, ist der weiter unten beschriebene Spendenaufruf, einsehbar auch auf der TWINT-Homepage: «Unterstütze die Menschen im Libanon» (Wurde in der Zwischenzeit ausgetauscht mit Brustkrebs. Anm.d.Red.). In den letzten Tagen, so heisst es dort, seien über 1000 Ziele im Libanon angegriffen worden, die Behörden meldeten Hunderte Tote und Tausende Schwerverletzte. «Ganze Familien mussten fliehen, ihre Häuser zurücklassen und in Notunterkünften Zuflucht suchen», schreibt TWINT. Die Not und das Bedürfnis nach humanitärer Hilfe seien gross, die Hilfsorganisationen vor Ort, um lebensnotwendige Hilfe zu leisten. «Dein Beitrag – egal, ob gross oder klein – macht einen Unterschied und rettet Leben.»

Diese Zeilen sind leider ein Paradebeispiel für die oft einseitige und manipulative Berichterstattung, wenn es um den Konflikt im Nahen Osten geht. Dazu kommt, dass TWINT in der Schweiz ein grosser Player mit entsprechender Wirkung ist. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben über fünf Millionen aktive Benutzer, die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nutzt die App regelmässig und 98 Prozent der Menschen in der Schweiz kennen TWINT.

Unerwähnt bleibt im Spendenhinweis die gesamte jüngere Vorgeschichte: Seit dem 8. Oktober 2023, einen Tag nach dem fürchterlichen Massaker der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung in der Nähe des Gazastreifens, schiesst die libanesische Terrormiliz Hisbollah fast täglich Raketen, Flugkörper und Drohnen auf Gebiete im Norden Israels ab. Allein im August wurden über 1300 Angriffe registriert, seit letztem Oktober sind es rund 9000. Bei diesen Angriffen wurden mehr als 40 Menschen getötet und grosse Schäden an Land und Infrastruktur angerichtet. Zehntausende (zwischen 60 000 – 80 000) Israelis sind seither Flüchtlinge im eigenen Land. Verständlich, dass die israelische Regierung diesen Zustand nicht ewig hinnehmen konnte.

Wer ist Israels Gegner? Es ist die vom Iran finanzierte libanesische Terrormiliz Hisbollah, die nach Schätzungen über ein Waffenarsenal im Umfang von 150 000 Raketen verfügt. Im Wort Terrormiliz steckt das Wort Terror respektive Terroristen. Was sind Terroristen? Terroristen sind Verbrecher. Sie haben Freude daran, unschuldige Zivilisten zu ermorden. Das erklärte Ziel der Hisbollah ist die Vernichtung Israels. Notabene der einzigen Demokratie im Nahen Osten.

Ausgeblendet werden sollte in diesem Konflikt auch nicht die etwas längere Vorgeschichte, genauer gesagt die UN-Sicherheitsresolution 1701, mit der der zweite Libanon-Krieg am 11. August 2006 zu Ende ging. Kerninhalte der Resolution 1701 waren neben der Einstellung der Feindseligkeiten ein vollständiger Rückzug israelischer Truppen aus dem südlichen Libanon, und die Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen im Land. Auch wenn die Hisbollah nicht namentlich genannt wurde, zielte letztere Forderung auf sie ab. Dieser wesentliche Punkt wurde jedoch nie umgesetzt, vielmehr wurde die Hisbollah seither massiv aufgerüstet.

Auffallend an den israelischen Angriffen ist die äusserste Präzision, mit der das Land vorgeht. Die gezielte Explosion Tausender Pager und Walkie-Talkies (17. und 18. September 2024) traf primär Hisbollah-Terroristen; nur wenige Zivilisten kamen ums Leben. Dasselbe Bild bei der gezielten Tötung des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah im Hauptquartier der Organisation in Beirut von vergangenem Freitag. Dadurch wurde die Hisbollah empfindlich getroffen und geschwächt. Wie im Gazastreifen informiert Israel nun auch im Libanon die Zivilbevölkerung mittels Flugblättern, Rundfunkmeldungen oder SMS-Nachrichten oft über bevorstehende Angriffe oder die nun begonnene Bodenoffensive im Süden des Landes. Die Ziele der israelischen Luftschläge sind in erster Linie Raketenabschussrampen der Hisbollah, die häufig in zivilen Gebäuden platziert wurden. Wie die Hamas im Gazastreifen benutzt auch die Hisbollah im Libanon die Zivilbevölkerung als lebende Schutzschilde.

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Foto Screenshot Twint

Von all dem erfährt man im Newsletter oder auf der Homepage von TWINT leider nichts. Auf die schriftliche Anfrage, weshalb gerade der Libanon als «Aufhänger» für den Hinweis auf die «Spenden-Funktion» in TWINT diente, antwortete das Unternehmen, dass «die Hilfsorganisationen selbst nach dem Prinzip der Humanitären Hilfe (auf Basis des Europäischen Konsens von 2007) nach den Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit» entscheiden, «bei welchen Ereignissen humanitäre Unterstützung gefordert und möglich ist, und bei welchen nicht». TWINT weist darauf hin, dass es gemeinsam mit ihrer Partnerfirma Weunity «etablierten und neutral operierenden Hilfsorganisationen eine geeignete Plattform» biete, um solche Nothilfe-Aufrufe zu kommunizieren. Die teilnehmenden Hilfswerke seien allesamt anerkannte und etablierte Organisationen wie beispielsweise Caritas oder IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Anm. d. Red.). Transparenz sei im gesamten Spendenprozess ein wichtiges Anliegen. Es sei deutlich ersichtlich, «dass die gesammelten Spendengelder an etablierte und vertrauenswürdige Hilfsorganisationen gehen und damit humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung vor Ort geleistet wird».

Auf die Frage, weshalb weiterführende Informationen zu den Hintergründen der israelischen Angriffe im Spendenhinweis nicht erwähnt wurden, ging das Unternehmen nicht ein. Ebenso unbeantwortet blieb die Frage, ob es über TWINT auch die Möglichkeit gebe, die Opfer, Hinterbliebenen und Traumatisierten des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 zu unterstützen. Vielmehr betonte die Firma, dass ihr Engagement ausschliesslich der humanitären Hilfe gelte. TWINT verfolge keinerlei politische Agenda und distanziere sich strikt von jeglichen politisch motivierten Gruppierungen.

Leider jedoch fördert TWINT, ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt, mit dem höchst einseitig formulierten Spendenhinweis aber genau eine politische Agenda. Nämlich diejenige von den bösen Israelis und den von ihnen unterdrückten Palästinensern und Arabern.

Raphael Berger arbeitet beim Schwengeler Verlag AG und ist seit 2022 Redaktionsleiter der Zeitschrift factum, www.factum-magazin.ch