“Gestern Abend wurde wieder neben unserem Haus geschossen”.

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Ala Jabarin aus Umm el-Fahm. Foto zVg
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Ein Interview mit Ala Jabarin aus Umm el-Fahm. 

Ala Jabarin ist israelischer Araber und arbeitet als Kundenbetreuer in einer Autogarage in Herzeliya, neben Tel Aviv. Der 43-Jährige ist praktizierender Muslim und wohnt mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Norden Israels in der Stadt Umm al-Fahm. In Interview mit Audiatur Online erzählt er von seiner Beziehung zu jüdischen Mitbürgern, von der Gewalt in der arabischen Gesellschaft und von seiner palästinensisch-israelischen Identität.

Herr Jabarin, was bedeutet Ihr Name?
Mein Vorname Ala steht für die Verbindung zu Gott, der Nachname Jabarin kommt vom Dorf Beit Jabrin neben Hebron, meine Vorfahren sind von dort nach Umm al-Fahm gezogen. Ich bin mit meinen vier Geschwistern – drei davon sind Akademiker –  in dieser Stadt aufgewachsen und lebe immer noch hier. Sie hat 52‘000 Einwohner und ist somit die zweitgrösste arabische Stadt nach Nazareth.

Beschreiben Sie bitte Umm al-Fahm. Was mögen Sie an der Stadt, was stört Sie?
An der Stadt gefällt mir, dass sie sowohl vom Norden als auch vom Zentrum des Landes her gut erreichbar ist. Die Bevölkerungsdichte ist sehr hoch, sogar für israelische Verhältnisse. Die Infrastruktur ist schlecht, erst seit letztem Jahr gibt es Busse, sie decken etwa 30% der Quartiere ab und es ist nach wie vor schwierig, von einem Ort zum andern zu kommen. Die arabischen Ortschaften in Israel werden leider vernachlässigt. Das Niveau in den Schulen ist nicht schlecht, langsam verbessert es sich. Ich wünschte, es wäre höher, denn die Ausbildung ist mir persönlich wichtig.

Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit Juden?
Mein Vater hatte eine Autogarage in Umm el-Fahm. Bereits im Alter von 13 Jahren habe ich begonnen, ihm während der Schulferien im Betrieb zu helfen. Ich habe dabei jüdische Lieferanten kennen gelernt und mich mit ihnen angefreundet. Erst von ihnen habe ich richtig Hebräisch gelernt. Mit einem der Lieferanten meines Vaters bin ich bis heute in Kontakt, seit über 20 Jahren. Er hat meine Persönlichkeit sehr geprägt. Ich rufe ihn jeweils an vor den jüdischen Feiertagen, er freut sich jedes Mal.

Wie reagierte man in Ihrem Umfeld, als Sie angefangen haben, mit jüdischen Israelis zu arbeiten?
Es gibt keinen gesellschaftlichen Druck, es war nie ein Thema, dass ich für einen jüdischen Chef arbeite. Wir haben keine Möglichkeit, etwa in einem Nachbarland zu arbeiten. Aus wirtschaftlicher Sicht sind wir Teil des israelischen Staates. Und wir unterscheiden zwischen Broterwerb und Politik.

Wie definieren Sie Ihre Identität?
Ich bin arabischer Palästinenser, der in Israel wohnt und die israelische Staatsbürgerschaft besitzt. Ich sehe mich als Teil der arabischen Welt.

Haben Sie im Alltag schon Rassismus erlebt?
Nein, das ist mir noch nie passiert, die Polizei hat mich zum Beispiel noch nie angehalten. Vielleicht wäre das anders, wenn ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen würde. Mein Sohn pendelt mit dem Zug an die Universität Tel Aviv. Wenn er die Zugstation betritt, wird er befragt, besonders dann, wenn er Taschen dabei hat. (Anmerkung Redaktion: Alle Zugpassagiere müssen durch einen Metalldetektor gehen).

Wie sehen Sie den Status der israelischen Araber?
Die Situation ist sehr schwierig für alle Israelis, vor allem für uns Araber. Wir sind Einwohner des israelischen Staates, aber wir fühlen uns auch als Palästinenser. Es schmerzt und beeinflusst uns, was in Gaza und der Westbank passiert. Unser Kampf für mehr Rechte in der israelischen Gesellschaft soll gewaltlos sein, Gewalt ist verboten, sogar wenn diese nur verbal ist.

Wenn es einen Terroranschlag gibt, stehen wir als Gesellschaft jeweils unter Generalverdacht. Nach der Terrorattacke an der Dizengoff-Strasse rief mich ein jüdischer Bekannter an und sagte, er sei noch immer mein Freund und möge mich trotzdem sehr. Dieses Unter-Verdacht-Stellen ist für mich nicht akzeptabel. Ich habe ihm das dann klar gesagt – wir pflegen eine offene Gesprächskultur.

Wie sehen Sie die Zukunft der israelischen Araber?
Es wird sich wohl kaum etwas verändern, vielleicht gibt es einen kleinen Fortschritt, aber mehr nicht. Was den Lebensstandard, die Infrastruktur oder das Ausbildungswesen angeht, so bin ich nicht allzu optimistisch.

Was sind die grössten Herausforderungen innerhalb der arabischen Gesellschaft?Es gibt viel Gewalt innerhalb der Gesellschaft. Es sind zahlreiche illegale Waffen im Umlauf, was sehr besorgniserregend ist. Ich bin grundsätzlich gegen Waffen – egal, ob legale oder illegale. Es gibt dutzende von Toten jedes Jahr. Ein Teil geht auf das Konto der arabischen Gesellschaft, ein Teil geschieht wegen der Polizei und der Regierung, die nicht genug unternehmen, um dieses beunruhigenden Phänomen zu bekämpfen.

Gestern Abend um 22 Uhr sassen wir mit meiner Mutter in der Wohnstube. Plötzlich wurden neben unserem Haus mehrere Schüsse abgegeben. Das passiert häufig, manchmal gibt es auch Tote.  Ich fühle mich nicht vollständig sicher in meiner Stadt. Wenn meine Kinder am Abend zu Freunden gehen, bin ich stets ein bisschen besorgt. Meine Knaben sind 20 und 18, die Mädchen 16 und 10 Jahre alt.  Die Gewalt im arabischen Sektor ist eine besorgniserregende Tendenz.

Was mögen Sie an Israel?
Die Demokratie. Obwohl wir Knessetabgeordnete haben und abstimmen können, fühlen wir uns dennoch nicht beschützt von ihr. Ein grosser Teil der Araber hier sieht die Demokratie als etwas, was nur für die jüdische Mehrheit gilt. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass auch die anderen arabischen Staaten demokratisch würden, dass sie in dieser Hinsicht wie Israel werden.

Spricht man über die Dinge, die um uns herum geschehen, etwa in Syrien?
Ja sicher, wir sprechen sehr viel darüber, was zum Beispiel in Syrien passiert. Es beschäftigt uns sehr. Gewisse israelische Araber identifizieren sich mit Assad, andere sympathisieren mit oppositionellen Gruppen. Das gleiche gilt für Ägypten – die einen sind für Sisi, die anderen unterstützen die Muslimbrüder. Es gibt viele Meinungsverschiedenheiten in unserer Gemeinschaft und das ist auch ganz ok so.

Kennen Sie jemanden, der sich mit dem Islamischen Staat identifiziert?
Nein, ich selber kenne niemanden. Wenn ich jemanden treffen würde, würde mich das aufregen. Aber ich habe von Leuten gehört, die ihn unterstützen. Doch es sind nur einzelne.

Wie steht es mit der Religiosität – gibt es Unterschiede zwischen den Generationen?
Ich lebe traditionell muslimisch. Ich bete fünfmal pro Tag, faste am Ramadan und esse halal. Aber häufig findet man in der gleichen Familie ganz verschiedene religiöse Ansichten und Identitäten. Es ist gesund, über diese offen zu diskutieren.

Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
Ich gehe dreimal pro Woche ins Krafttraining. Sonst bin ich ein eher häuslicher Typ und verbringe viel Zeit mit meiner Familie, obwohl die Kinder langsam ausfliegen (lacht). Ab und zu fahren wir in den Urlaub nach Europa, kürzlich waren wir in Berlin. Ich esse dann jeweils in koscheren Restaurants, weil ich dabei sicher gehen kann, dass das Fleisch halal ist.

Das Gespräch führte Yoav Dreifuss in Herzliya.

 

3 Kommentare

  1. Absolut! Man ist gut im Austeilen. Da gibt’s viele Perlen z.B. “Aus wirtschaftlicher (nur!) Sicht sind wir Teil des israelischen Staates (nicht Gesellschaft)”, “Ich bin arabischer Palästinenser (nach 70 Jahren Israel nicht etwa israelischer Araber)”usw. Mal abgesehen von der einzigartigen Ausführungen über Demokratie… Dieser Teil “des israelischen Staates” zusammen mit linkem Pack ist die wahre Gefahr für den Staat Israel.

  2. [Ich will nicht zu jedem Artikel bei ,audiatur‘ meinen Sermon geben, doch fällt es mir schwer, mich hier zurückzuhalten.]

    Ein sehr aufschlussreiches, vielsagendes Interview mit einem moderaten(!) israelischen Araber. Mein Eindruck ist überaus zwiespältig. Es ist für mich besonders auffällig, dass Herr Jabarin mit einer im Einzelnen durchaus nachvollziehbaren Kritik an der israelischen Seite nicht spart und darüber hinaus sehr sensibel auf gefühlte Kritik reagiert. Im Vergleich dazu fällt eine kritische Betrachtung der „eigenen Seite“ sehr sparsam aus. Da wird z.B. eine Parteinahme für den Massenmörder Assad zur banalen „Meinungsverschiedenheit in unserer Gemeinschaft“.

    Das ist – wie ich finde – enorm ernüchternd. Auch die Aussage „ich sehe mich als Teil der arabischen Welt“ ist angesichts der Tatsache, dass diese außer einer enormen Destruktivität wenig zu bieten hat, in ihrer Konsequenz deprimierend. Ziemlich deutlich wird, dass er zwar Vorteile zu genießen weiß, jedoch nichts oder sehr wenig tut, um diesen Standard zu stabilisieren.

    Seine faktische Geringschätzung der Vorteile einer demokratischen Gesellschaft ist unübersehbar. Von der Zugehörigkeit zu einer progressiven und Verantwortung übernehmenden arabisch-israelischen Bewegung ist bei ihm leider nichts zu spüren.

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