Die Schweizer Medien versinken in jüdischen Lebenswelten

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Foto Ralf Roletschek. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.
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Die europäische Öffentlichkeitsarbeit wirbt für einen „Iran als Wirtschaftspartner“ und die lokalen Medien machen mit. Da passt natürlich eine menschenverachtende Politik nicht ins Wirtschaftskonzept.

Von Sabrina Goldemann, freie Autorin

Immer häufiger verschleiern mediale Ablenkmanöver auch staatlich verordnete Holocaustleugnung, die Zerstörung Israels und Irans Unterstützung der Hamas und Hisbollah im Kampf gegen den verhassten jüdischen Staat.

„Schwer zu sagen, was dabei Überzeugung ist und was blosse Taktik.“, sinniert, z.B. Charlotte Wiedemann in der Neuen Zürcher Zeitung bezüglich der iranischen Staatsräson. Sie hat sich mit Irans Juden „unter Khomeinys Schutz“ beschäftigt, oder war es ein Auftragswerk? Die NZZ hat tatsächlich eine gestandene mehrfach ausgezeichnete deutsche Journalistin für dieses schwierige Thema herangezogen. Das Problem ist, dass der Themenschwerpunkt der profilierten Autorin eher die islamischen und gar nicht die jüdischen Lebenswelten sind.

Den Artikel ziert ein aussagekräftiges inhaltskonträres Pressefoto, das einen Mann mit Kippa und gesenktem Blick zeigt. Es ist kein mutiger Blick in die Kamera, sondern eine Demutshaltung. Wiedemanns Geschichte birgt Wiedersprüche, stellenweise mangelnde Liebe zum Detail, aber zu viel Spekulationen und Schlussfolgerungen über das Judentum oder, z.B. spannende israelische Waffengeschäfte. Pro-Iran-PR und kritische Analyseversuche wechseln sich ab. Die Autorin stellt einerseits völlig unkritisch fest, dass die 10 000 iranischen Juden zwar „beschützte, aber keine gleichberechtigten Bürger“ sind. Andererseits sieht sie „Opportunismus“ in öffentlichen antiisraelischen Auftritten der Juden und Antisemitismus in der Rhetorik des Ajatollah Rouhollah Chomeini.

Das im Text beschriebene „Schutz“-Prinzip bedeutet nichts anderes als ein mündlicher Kooperationsvertrag zwischen der jüdischen Minderheit und der iranischen Führung – nach der uralten Dhimmi-Tradition. „Anders als in Europa bedürfen jüdische Einrichtungen in Iran keiner Bewachung“, zitiert die Autorin den Teheraner Vertreter der jüdischen Gemeinde, der auch Parlamentsmitglied ist, aber eigentlich nichts zu sagen hat. Um den Iran als humanen Handelspartner darzustellen, erwähnt Wiedemann Rohanis „projüdische Gesten“. Schon Ajatollah Chomeini versprach den Juden „Sicherheit“ für „Loyalität“ gegenüber dem Iran, er unterscheide zwischen Judentum und Zionismus. Seine „Schutzformel“ an allen Synagogen muss jeden Juden mit tiefer Verbeugung vor dem islamischen Gesetz mit Dank erfüllen: “Wir erkennen an, dass unsere Juden mit diesen gottlosen Zionisten nichts zu tun haben.“ Als Jude in Iran kann man schnell unter Verdacht geraten, ein israelischer Spion zu sein. Ein Garant für die Todesstrafe. Die Autorin nennt diese demütigende und unterdrückende Angstpolitik „Arrangement“ mit der iranischen Regierung. .

Es ist schwer zu glauben, dass die Autorin von ihren Eindrücken überzeugt ist und nicht deutlicher hinter die Kulissen schaut. Wie sieht es wirklich aus mit den glücklichen Juden im sicheren Iran? Ist der Vertreter der iranischen Juden im „Parlament“ tatsächlich stolz auf „die sichersten Synagogen der Welt“? Begleiteten die jüdischen Vertreter aus Überzeugung Präsident Hassan Rohani zur UNO-Generalversammlung nach New York, um der Welt PR-strategisch, Irans Toleranz gegenüber den Juden zu demonstrieren? Die Islamexpertin beschreibt das quid pro quo innerhalb der Beziehung zwischen den iranischen Juden und Staatsoberhäuptern, die jene jedoch nur als Unterwürfige akzeptieren und erst recht nicht mit einem eigenen Land auf „muslimischer Erde“. Als ob diese Haltung das Normalste auf der Welt sei. Natürlich erwähnt Wiedemann auch kurz in Beispielen die „andere Seite“, zu der Angst, Diskriminierung, Flucht, aber auch existierende iranische Reformpolitiker gehören; letztendlich bleibt sie aber bei üblichen Freund-Feind-Stereotypen und quellenlosen Aussagen, die viele Fragen offenlassen.

Mit wie vielen ausgewanderten iranischen Juden hat die Autorin gesprochen, um zu behaupten, es seien nur die „frommen Armen“ nach Israel und die „Säkularen“ nach Amerika gezogen? Wie gut sind ihre Mossad-Kontakte, um zu wissen, dass der israelische Geheimdienst es heute „bereut“, den Ajatollah Chomeini seinerzeit nicht getötet zu haben. Fordert die NZZ Redaktion keine Quellen? Aus den guten Beziehungen Israels zum damaligen persischen Schah Mohammad Reza Pahlavi folgert sie, dass Iraner und Israelis nicht zuletzt ihr „Überlegenheitsgefühl“ gegenüber den Arabern einte. Weiss die Journalistin nicht, dass es die „Zionisten“ waren, die in Palästina bereits 1925 die erste Friedenbewegung gründeten, die für ein Zusammenleben mit den Arabern eintrat? Der Text lässt kein negativ besetztes Israel Stereotyp aus, um beim kritischen Leser Weltverschwörerisches auszulösen. Die NZZ Redaktion musste bereits bei inhaltlich entrückten Leserreaktionen auf die „Nettiquette“ hinweisen. Da haben die Mitarbeiter vielleicht noch viel zu tun.

Für eine intensive Flut diverser Leserkommentare sorgte auch die Meldung, dass die israelische Regierung einen Grenzzaun zu Jordanien baut. „Südostschweiz“ peppte eine Meldung der Schweizer Depeschenagentur (sda) auf. „Wir werden nicht zulassen, dass Israel von einer Welle illegaler Migranten und von Terrorismus überschwemmt wird“. Solche Statements des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Nethanyahu sind auch in den Schweizer Medien immer eine Überschrift wert. Der polarisierende Politiker ist der ewige Buhmann auf der nahöstlichen Politbühne und für die Presse ein interessanter Lückenfüller. Oppositionsführer, Jizchak Herzog, fordert eine „regulierte Flüchtlingsaufnahme“. Die Regierung möchte jedoch kein Risiko eingehen. Im Norden droht die Hizbollah, südlich die Hamas und die ISIS klopft auch schon an die Tür. Raketenhagel inbegriffen. Die Israelis finden diese Situation gefährlich. Das kann man sich am Redaktionstisch nur schlecht vorstellen. Noch weniger als Leser am Heimcomputer. Auch die geforderte „Rückbesinnung auf das historische Los des jüdischen Volkes“ kann nicht immer herhalten. Neben Syriens Präsident Assad kommen noch radikale Islamistengruppen unterschiedlicher Ausrichtung zu jenen, die Israel zerstören wollen. Trotzdem sind, z.B., israelische Krankenhäuser bereits seit Jahren auf syrische Kriegsopfer eingestellt.

Israel-Korrespondent, Ulrich Schmidt für die NZZ vor Ort kommentiert noch direkter. „Israel zäunt sich ein“, heisst es Anfangs. Die „Regierung Netanjahu“ lasse keine Syrer ins Land. Sehr viel weiter mussten die meisten Hobby-Kommentatoren auch gar nicht lesen, um ein Text-Feedback zu schicken, das gegen die Nettiquette verstösst. Vor einer Abhandlung über Israels „Zäune“ erwähnt Schmidt Ayub Kara, drusischer Vizeminister für regionale Zusammenarbeit, der „Tausende“ Syrer ins Land holen möchte und dafür auch mit dem Holocaust argumentativ jongliert. Ein Link hinsichtlich bereits erfolgter humanitärer Hilfe führt eigenartigerweise zu einem Aljazeera Beitrag. Es wird dort berichtet, dass selbst die Drusen vom Golan den Syrern gegenüber sehr skeptisch sind. Vor kurzem haben drusische Bauern eine israelische Ambulanz mit syrischen Verletzten angegriffen, weil sie dachten, es seien Islamisten der Nusra Front. Dies ist übrigens ein gern verbreitetes Gerücht: Israel unterstützt tatkräftig einen Al Qaida-Ableger. Es steht leider keinem Schwerverletzten auf der Stirn, welche Gesinnung er hat. Wie man es auch macht, ist es falsch.

Unbehagen verursacht auch Schmidts etwas zu salopper Vergleich zwischen jüdischer Emigration nach 1948 und der syrischen Flüchtlingssituation sowie der komplizierten Integration der äthiopischen Juden und Asylsuchenden aus dem Sudan und Eritreer. Abschliessend erfährt der Leser noch, dass Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas‘ Bitte, Palästinenser aus Syrien in die Westbank zu fliehen, „Israel kalt gelassen“ habe. Fazit des Artikels: Nun ist der Ruf Israels gänzlich ruiniert. Trotz Holocaust nehmen die Juden keine Flüchtlinge mehr auf? Oder, um es mit den Worten des Lesers, Kropp, auszudrücken: „Eine Frage! Was möchten Sie mitteilen?“