Raoul Wallenberg als Vorbild

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Raoul Wallenberg, Passfoto 1944 Foto: Wikipedia.org

In diesem Jahr 2012 wird der 100. Geburtstag des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg gefeiert. Ende des Zweiten Weltkrieges hatte er vielen Juden das Leben gerettet, doch es war vor allem seine Inhaftierung durch die Sowjets, die nach 1945 in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Was mit ihm danach geschehen und wo und wie er verstorben ist, ist nach wie vor unklar.

Neben seinen historischen Verdiensten könnte Wallenbergs Geschichte heute grössere Bedeutsamkeit erlangen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Da ist erstens der Unterschied zwischen ihm und vielen zeitgenössischen Menschenrechtsaktivisten. Wallenberg hat nicht Toleranz gefördert, sondern viele Menschenleben gerettet; aus freiem Willen hat er unter dem Nazi-Regime sein eigenes Leben riskiert – unter der brutalsten Regierung, die das Europa der Moderne erlebt hat.

Heute haben viele vorurteilsbelastete Aktivisten die Menschenrechtsbewegung durchdrungen. Ein Beispiel dafür ist die grosse Organisation Human Rights Watch; ihr hängen verschiedene Aktionen des Weisswaschens noch zu Gaddafis Zeiten an. Ein solches Verhalten macht Wallenbergs potentielle Bedeutung als glänzendes Beispiel für echte Menschlichkeit noch grösser. Die heutige Gesellschaft braucht mutige Menschen als Vorbild. Für Pädagogen und Lehrer sind Beispiele von Menschen wichtig, die das Richtige zur richtigen Zeit gemacht haben, während andere die schlimmsten Verbrechen begangen, mit Kriminellen kollaboriert oder einfach ihre Augen verschlossen haben und passiv dabei standen.

Raoul Wallenberg Denkmal in Tel Aviv Foto: Wikipedia.org

In einigen Ländern wird die Erinnerung an Wallenberg in Ehren gehalten, in anderen weniger. Posthum wurde ihm in den USA, Kanada, Ungarn und Israel die Ehrenbürgerschaft verliehen. Strassen wurden nach ihm benannt und es gibt Wallenberg-Denkmäler in vielen Städten, zum Beispiel in Tel Aviv. Doch wesentlich wichtiger wäre in unserer zeitgenössischen egozentrischen Gesellschaft, seine Person als Vorbild darzustellen und nicht nur seine Taten in Erinnerung zu halten.

Zweitens ist es wichtig, das Verbrechen der Sowjetunion an Wallenberg öffentlich zu machen sowie die zweifelhafte Rolle der schwedischen Regierung während des Zweiten Weltkriegs aufzuzeigen. Schweden hat Wallenberg nicht die Ehre erwiesen, die er verdient hat. Auch wurde kaum untersucht, was aus diesem mutigen Bürger geworden ist. Die schwedische Regierung hat amerikanische Hilfe, mehr über sein Schicksal herauszufinden, sogar abgelehnt.

Dabei hat Staffan Soderblom, schwedischer Botschafter in Moskau, eine besonders üble Rolle gespielt. Als er 1946 die einzigartige Gelegenheit erhielt, Stalin und den sowjetischen Aussenminister Molotov zu treffen, hat er nicht um Informationen über das Schicksal Wallenbergs gebeten; statt dessen behauptete er, er wisse ja, dass Wallenberg tot sei.[1] Das war zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich nicht wahr. Doch die Botschaft an die Sowjets war eindeutig: Schweden würde ihnen keine Forderungen in Bezug auf Wallenberg stellen. Was das Schweden der Nachkriegszeit angeht, sind eine Reihe weiterer Punkte zu nennen; unter anderem wurde das Land zu einer Zufluchtsstätte für ausländische Nazi-Kriegsverbrecher, von denen keiner je strafrechtlich verfolgt wurde.[2]

Erst mit der Jahrhundertwende hat die schwedische Regierung ihre Einstellung zu Raoul Wallenberg geändert. Olle Wästberg, der Koordinator der diesjährigen Wallenberg-Erinnerungsfeiern, erwähnte kürzlich im Fernsehen, dass Wallenberg in Schweden weniger bekannt sei als in Ländern wie Argentinien, Kanada, Israel und den USA.[3] Schweden hat nun angekündigt, 2012 als „Raoul-Wallenberg-Jahr“ zu begehen. Es wird sogar eine Sonderbriefmarke herausgegeben[4] und eine Wanderausstellung vorbereitet.[5] Im Auftrag der Regierung schreiben auch zwei Autoren ein Buch über sein Leben. Es stellt sich nur die Frage, ob dieses Buch die schwedische Vergangenheit ein wenig weisswaschen wird?  Louise von Dardel, die Nichte Wallenbergs, erzählte mir, das Gesamtbudget der Gedenkfeier sei sehr niedrig. Die meisten Veranstaltungen seien Privatinitiativen. Sie erwähnte auch, dass Wallenbergs Name in den schwedischen Geschichtsbüchern nicht genannt wird.[6]

Carl Bildt Foto: Swedish Government

Zum Vorsitzenden des Nationalkomitees für Wallenbergs Gedenkfeier wurde der schwedische Aussenminister Carl Bildt ernannt. Das war eine unglückliche Wahl, denn Bildt unterstützt eine mit schwedischen Regierungsgeldern geförderte pro-palästinensische Gruppe, die Verbindungen zu Terroristen hat. Daher sollte genauestens darauf geachtet werden, dass er das Andenken an diesen aussergewöhnlichen Menschen, der Juden gerettet hat, nicht missbraucht. Bildt könnte glatt behaupten, er sei kein antisemitischer Anti-Israeli, schliesslich verwende er ja viel Zeit darauf, einem wichtigen Judenretter zu ehren.

Man kann nur hoffen, dass Israel und die jüdischen Gemeinden weltweit Anstrengungen unternehmen werden, dem Andenken an Wallenberg die Aufmerksamkeit zukommen lassen werden, die es verdient. Denn nur wenige Personen in der Geschichte haben alles Erdenkliche unternommen, um Juden vor dem sicheren Tod zu retten.

Dr. Manfred Gerstenfeld is Aufsichtsratsvorsitzender des Jerusalem Center for Public Affairs.

Sein Buch „Behind the Humanitarian Mask: The Nordic Countries, Israel and the Jews“ kann hier kostenlos runtergeladen werden.


[1] www.raoulwallenberg.net/wallenberg/fate/press-87/sweden-rejected-swap/

[2] Efraim Zuroff, “Sweden’s Refusal to Prosecute Nazi War Criminials, 1986-2007,” in Manfred Gerstenfeld’s book, Behind the Humanitarian Mask: The Nordic Countries, Israel and the Jews, (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs, 2008), 107-129.

[3] http://svtplay.se/v/2643510/gomorron_sverige/raoul_wallenberg_100_ar?cb,a1366518,1,f,-1/pb,a1366516,1,f,-1/pl,v,,2643510/sb,k119636,6,f,-1 [Swedish]

[4] www.postnord.com/sv/Media/Pressmeddelanden/Posten-Sverige/2011/Nytt-frimarke-hedrar-Raoul-Wallenberg/ [Swedish]

[5] “Uppstart för Raoul Wallenberg 2012,” www.regeringen.se/sb/d/14184/a/173550 [Swedish]

[6] Personal Communication Louise von Dardel.