Oslo-Abkommen – so relevant wie vor 20 Jahren

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Die Osloer Abkommen, vor 20 Jahren am 20. September 1993 gekrönt mit einem Handschlag vor dem Weissen Haus, stehen für einen historischen Durchbruch: die gegenseitige Anerkennung zweier Nationen, die sich über Jahrzehnte intensiv bekämpft hatten und das gegenseitige Einverständnis, einen Übergangsansatz zu suchen, der zu einem friedlichen Ergebnis führen soll. Angesichts der ursprünglichen Erwartungen, dass dieses Abkommen Israelis und Palästinenser dazu anspornen sollte, rasch von Feinden und Friedenspartner zu werden, gibt es heute für beide Verhandlungspartner Grund genug, sich auf die Defizite des Abkommens zu konzentrieren. Doch das eigentliche Vermächtnis dieses Abkommens ist wesentlich mannigfaltiger.

Nutzen für beide Seiten

Es gehört zu den bahnbrechenden Errungenschaften der Osloer Abkommen, die Frage der Verhandlungspartner geklärt zu haben. Bis 1993 war der Konflikt jahrzehntelang gekennzeichnet von dem vergeblichen Versuch, einen palästinensischen Gesprächspartner zu definieren. Es wird oft vergessen, dass Oslo nie zwei Staaten verfügt hat – ein Ergebnis, über das unter Israelis, Palästinensern und der internationalen Gemeinschaft weitläufige Übereinstimmung herrscht. Das beste Vermächtnis von Oslo ist, dass heute die Mehrheit der beiden Bevölkerungen eine Zweistaaten-Lösung bevorzugt, auch wenn jede Seite davon überzeugt ist, dass die andere diese Überzeugung nicht teilt.

Ferner haben Palästinenser nun mit der Palästinensischen Autonomiebehörde PA eine Regierung, die die Angelegenheiten von nahezu der Hälfte des Westjordanlandes einschliesslich seiner arabischen Städte leitet. Die PA arbeitet mit Israel in Bereichen der Sicherheit und anderen Angelegenheiten zusammen, was vor 1993 undenkbar gewesen wäre.

Aber auch Israel hat gewonnen. Das Friedensabkommen mit Jordanien ist ein direktes Ergebnis von Oslo, und auch wurde eine quasi-diplomatische und Wirtschaftsbeziehung mit einigen arabischen Staaten aufgebaut. Und schliesslich war der Strom ausländischer Investitionen in Israel nach Oslo der Schlüssel  zum High-Tech-Boom des Landes, der weiterhin eine zentrale Rolle in seiner Wirtschaft einnimmt.

Unterdessen ist die Gewalt im Westjordanland, trotz anhaltender Spannungen in der israelisch-palästinensischen Beziehung und weitverbreiteten Unruhen in der ganzen Region, als Ergebnis von Oslo drastisch zurückgegangen, besonders seit PA Präsident Mahmud Abbas vor acht Jahren das Amt übernommen und Israel seinen Sicherheitszaun errichtet hat. Wenn allerdings der gewaltfreie Ansatz diskreditiert würde, könnte die relative Ruhe enden.

Defizite

Die Defizite der Osloer Abkommen sollen natürlich nicht ausgeblendet werden. Die Palästinenser nehmen zur Kenntnis, dass eine Zweistaatenlösung erst noch konkrete Formen annehmen muss, zum Teil weil Oslo die wichtigsten Themen zurückstellte (z.B. die endgültigen territorialen Konturen eines Westjordanlandstaates). Ferner haben die Osloer Abkommen keine israelischen Siedlungsaktivitäten unterbunden.

Ihrerseits würden Israelis zur Kenntnis nehmen, dass Oslo es nicht gelungen ist, ein Friedensbildungsprogramm zu schaffen, um neue Einstellungen (gegenüber Israel) unter der nächsten Generation von Palästinensern zu fördern. Das zerschmettert die Hoffnungen, dass eine Versöhnung zwischen den zwei Völkern die endgültigen Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen begleiten könnte. Oslo hat auch die blutige vierjährige Intifada (2000 -2004), die viele Menschenleben gekostet hat – von Israelis wie Palästinensern – nicht verhindert.

Diese uneinheitliche Hinterlassenschaft birgt Konsequenzen für die Verhandlungspartner von heute, insbesondere tiefsitzende Skepsis bezüglich der Absichten des jeweils anderen, wie durch Umfragen belegt, die vom Palestinian Center for Policy and Survey Research in Ramallah und gemeinsam von der Tel Aviv University und dem Israel Democracy Institute durchgeführt wurden.

Angesichts dieser Haltungen sind die politischen Führer beiden Seiten risikoscheu. Statt eine Führung mit Visionen wie in der Vergangenheit (z.B. Anwar Sadat und Yitzhak Rabin), ist die gegenwärtige Führung vorsichtig, zu weit vor ihrer Öffentlichkeit zu gehen. Doch Netanyahu und Abbas müssen die Menschen miteinbeziehen und die andere Seite ansprechen, um Unterstützung seitens der Öffentlichkeit zu verbessern und sich im Gegenzug dadurch selbst ein ausreichendes politisches Selbstvertrauen verleihen, um harte politische Entscheide zu treffen.

Moralischer Bankrott der ‘Einstaaten’-Vorschläge

Die Osloer Abkommen haben an Relevanz nicht verloren, weil jenen, denen die Kernidee von Oslo missfällt, nämlich die Zweiteilung des Westjordanlandes in eine israelische und palästinensische Entität – unfähig waren, eine realisierbare, gerechte Alternative vorzuschlagen. Der radikale Vorschlag der Einstaatenlösung kursiert in akademischen Kreisen. Gemäss dieser Idee würde Israel seiner eigenen Zerstörung zustimmen, genauso wie die PA. An ihrer statt würde ein binationaler, demokratischer Staat mit israelischen Juden und Arabern aus Israel, dem Westjordanland und Gaza gegründet. Aktuelle Umfragen zeigen, dass nur etwa 8 Prozent der Israelis das Einstaaten-Modell unterstützen (sie stammen hauptsächlich aus der politisch extremen Linken oder Rechten), während die palästinensische Unterstützung für dieses Modell bei 29 Prozent liegt. In Anbetracht des Wesens der israelischen und politischen Politik, hat keine dieser Abgaben ein bedeutendes politisches Gewicht.

Der israelische Staatsmann Abba Eban bespöttelte zu Lebzeiten die Einstaaten-Idee und hob hervor, dass Israelis und Palästinenser unterschiedliche Sprachen sprechen, unterschiedliche Kulturen hätten und nicht den gleichen Alltag teilen. Ferner haben sich beide gegenseitig traumatisiert durch den palästinensischen Terrorismus und israelische Kontrolle des Westjordanlandes.

Einige Akademiker versuchten die Argumentation zu etablieren, dass die Entstehung eines Binationalismus Teil eines grösseren Trends ist, den langjährigen Konflikt zwischen ethnischen Staaten zu beenden. Es gab aber bisher keine Bewegung, die Staaten in ähnlicher Situation miteinander verband, wie etwa in Indien oder Pakistan. Und der binationale Staat Libanon ist grossenteils ein Misserfolg – seine Bevölkerung erlitt einen fünfzehn Jahre währenden Bürgerkrieg und zunehmenden konfessionelle Spannungen, selbst wenn sie arabisch ist und die gleiche Sprache spricht.

Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass eine Einstaaten-Lösung die weit offensichtlicheren Unterschiede zwischen Juden und Arabern nur  intensivieren würde anstatt den Konflikt beizulegen. Beide Gruppen würden mit Sicherheit versuchen, die Oberhand zu erlangen. Beispielsweise ist es einfach vorstellbar, dass Palästinenser versuchen würden, das Land für Nachfahren der palästinensischen Flüchtlinge zu öffnen, in der Hoffnung, damit jüdische Bürger anzuspornen, die Flucht zu ergreifen. Diesbezüglich passt Binationalismus gut zusammen mit den Konzept, das in der ursprünglichen PLO-Charta aufgeführt ist und einen säkularen demokratischen Staat fordert, aber erklärte, dass Juden, die nicht in Palästina vor 1917 lebten, ausgewiesen würden. Es passt zudem zur Ideologie vieler Islamisten, die glauben, dass Juden keine Rechte im Heiligen Land haben sollten. Sogar Edward Said, führender intellektueller Befürworter einer Einstaaten-Lösung, äusserte sich besorgt über den möglichen Einfluss auf israelische Juden: „Es sorgt mich sehr. Die Frage, was das Schicksal der Juden sein wird, ist sehr schwierig für mich. Ich weiss es wirklich nicht.“ Kurzum, weit davon entfernt zu sein, das Problem zu lösen, würde Binationalismus ein Rezept für stetiges Blutvergiessen und einen endlosen Konflikt sein.

Schlussfolgerung

Auch wenn man nach 20 Jahren auf Oslo schauen und seine Defizite bejammern könnte, ergibt sich eine umfassendere Anerkennung, wenn man ehrlich seine Errungenschaften bewertet und die wahrscheinlichen Konsequenzen seiner Alternativen vergleicht. Israel und die palästinensischen Nationalbewegung zu zerstören in der Hoffnung, einen neuen binationalen Staat aufzubauen, ist moralisch nicht nur abscheulich, sondern auch ein Blindgänger. Jede Lösung muss der Tatsache Rechnung tragen, dass Nationalismus eine machtvolle Kraft im Nahen Osten bleibt und nicht ignoriert werden kann.

Originalversion: Oslo Still Relevant at Twenty by David Makovsky © Washington Institute for Near East Policy, September 16, 2013.