Hannah Einhaus: Offener Brief an die Mitglieder des Berner Stadtrats und Gemeinderats

Zwei Jahre Wegschauen. Gedanken zum 7. Oktober.

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Kundgebung zur Unterstützung der "Gaza-Flottille", Bern 2. Oktober 2025. Foto KEYSTONE/Adrian Reusser
Kundgebung zur Unterstützung der "Gaza-Flottille", Bern 2. Oktober 2025. Foto KEYSTONE/Adrian Reusser
Lesezeit: 4 Minuten

Werte Mitglieder des Berner Stadtrats und Gemeinderats

Heute ist der zweite Jahrestag des 7. Oktober. Am 7. Oktober 2023 begingen die Hamas und weitere islamistsche Gruppen ein genozidales Massaker an Menschen in Israel (verschiedenster Religions- und Nationalitätszugehörigkeit). Es war auch ein Angriff auf Freiheit, Demokratie, Lebensfreude und Vielfalt von Lebensentwürfen. Und es war ein unglaublich brutaler Angriff gegen Frauen.

Seither erlebe ich eine Stadt Bern mit einem Ausmass an Antisemitismus wie seit 1945 nicht mehr. Worte des Mitgefühls an die jüdische Gemeinschaft und ein klares Bekenntnis zur Bekämpfung dieser Judenhetze, wie zum Beispiel gestern in der Stadt Frankfurt, sind rar. Antisemitismus ist in politischen Diskussionen dieser Stadt praktisch inexistent, wenn es um die Definition von Diskriminierungen geht.

Dabei begegne ich Judenhass in dieser Stadt auf Schritt und Tritt, darunter unzählige Gewalt- und Vernichtungsaufrufe gegen «Zionisten» in den Strassen und auf den Plätzen Berns, an Demos, auf Wänden, an Strassenlaternen, in Bushäuschen. Rote Hamasdreiecke begleiten mich auf dem Weg vom Bahnhof/Hirschengraben via Monbijou zur Synagoge und sagen mir: «Wir haben dich im Visier». Die Kapellenstrasse mit der Synagoge selbst ist zum Glück gut bewacht. Doch als Individuum bin ich potenziell bedroht und z.B. kulturell potenziell ausgeschlossen, wenn einmal als «Zionistin» identifiziert – als «Zionistin», die neue Form, das Jüdische zum altbewährten Sündenbock und zum Inbegriff des Bösen zu machen.

Letzten Donnerstagabend, am Ende des Jom Kippur, des höchsten jüdischen Feiertages, durfte ich die Synagoge nur auf eine bestimmte Route verlassen, mit äusserster Vorsicht und Umsicht. Aus Sicherheitsgründen. Weil über hundert Leute u.a. aus dem Umfeld der Reitschule / Schützenmatte nach ihrer Gleisbesetzung am Bahnhof beschlossen hatten, ihre Demo zu Gretas Flotte vor Gaza via Hirschengraben / Monbijoustrasse zur Synagoge fortzusetzen. Zur Synagoge, wo Bernerinnen und Berner wie Sie, die meisten mit Schweizer Pass, gerade den ersten kleinen Imbiss einnahmen nach 25 Stunden Fasten.

Die Denkwege bei den Demonstrierenden sind kurz, offenbar sehr kurz: Israel, Zionisten, Juden, Netanyahu, (Kinder-)Mörder. Passt schon irgendwie. Alles das gleiche. Also gibt’s hier ein wenig Zoff bei den Berner Juden stellvertretend für «Netanyahu».

Und hier kommen Sie ins Spiel, sehr geehrte Politikerinnen und Politiker dieser Stadt:

Ich habe den Vorfall mit einem Bild dokumentiert und auf Facebook gepostet, er wurde über 130mal geteilt. Bei Kommentaren, es handle sich um «Gesindel», musste ich jeweils widersprechen. Die Demonstrierenden kommen sehr oft aus «gutem Hause», vielleicht sogar der eine Sohn oder die andere Tochter von Mitgliedern dieses Rates. Nicht wenige von Ihnen, besonders in den Fraktionen von SP, GB und AL (zusammen die Mehrheit) hegen durchaus Sympathie für diesen Kult des «Widerstands». Würden Sie nur ein wenig genauer hinschauen, stiessen Sie rasch auf totalitäre Ideologien und terroristische Vorbilder z.B. von RAF und PFLP. Doch auch einige von Ihnen sagen sich offenbar: Passt schon und sortieren terroristischen «Widerstand» zum «Guten», schliesslich richtet er sich ja gegen «Zionisten», gegen das Böse. Doch wenn sich herausstellt, dass diese «Zionisten» Bernerinnen und Berner sind, Ihre Nachbarn, Menschen wie Du und ich, schliessen dieselben von Ihnen – wie das berühmte Äffchen – Augen, Ohren und Mund.

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Foto zVg / Hannah Einhaus

Liebe Stadträtinnen und Stadträte, liebe Stadtregierung, Ich erwarte von einer Stadt, die Inklusion auf ihre Fahnen schreibt, dass sie jüdisches Leben einschliesst. Ich erwarte dies nicht nur als Schweizerin und Jüdin, sondern auch als Feministin und ehemalige Frauensekretärin der SP Stadt Bern.

Ich erwarte, dass Sie eine Trennschärfe entwickeln zwischen jüdischem Leben in Bern und kriegerischen und politischen Ereignissen in Israel.

Ich erwarte, dass Sie Empathie für die Leidenden des Krieges DORT auf beiden Seiten empfinden können, ohne die ewiggleichen Vernichtungs- und Hassparolen gegen Jüdinnen/Juden HIER gutzuheissen.

Und ich erwarte, dass Gewalt- und Vernichtungsaufrufe gegen Juden nicht mehr als «Meinung» verharmlost, sondern geahndet werden.

Der jüdische Berner Anwalt Georges Brunschvig sagte einst: Wer Hass und Hetze zulässt, ist ein Totengräber der Demokratie. Wenn Parteien, Parlament, Regierung und Sicherheitsverantwortliche Woche für Woche in Bern Mord- und Gewaltaufrufe gegen Jüdinnen und Juden stillschweigend zulassen, (zum Beispiel Grossdemo kommenden Samstag 11.10.) gefährdet das nicht nur die Sicherheit der genannten Gruppe, sondern trägt zur Aushöhlung des Rechtsstaats bei. Wollen Sie das wirklich?

Ich bitte Sie heute, am 2. Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober, den Drohungen und der Hetze gegen Jüdinnen und Juden aktiv Gegensteuer zu geben. Damit es möglich ist, die Synagoge ohne Furcht und grosse Sicherheitsvorkehrungen und zu betreten und zu verlassen und Kulturveranstaltungen zu jüdischen Themen ohne Security durchzuführen.

Um jüdischen Alltag in Bern für Sie fassbarer zu machen, bin ich (und weitere Personen) auch gerne bereit für Gespräche mit Ihnen, bei einem Kaffee individuell oder mit Ihrer Fraktion. Dann erzähle ich Ihnen auch gerne, wie Bern vor 90 Jahren eine herausragende Rolle im Kampf gegen Antisemitismus spielte. Und warum Bern noch heute darauf stolz sein und daraus lernen kann.

Auf einen 8. Oktober mit Einsichten.

Freundliche Grüsse

Hannah Einhaus
Mitglied der Jüdischen Gemeinde Bern

5 Kommentare

  1. Liebe Frau Einhaus

    Vielen Dank für das Verfassen dieses offenen Briefes. Er spricht meiner Meinung nach klar und mutig an, was heute – 80 Jahre nach dem 2. WK – in meiner geliebten Stadt leider gesagt werden muss.
    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und alles Gute.

    Claudius Siebert

  2. Es hat für mich den Anschein, dass die Politik sich immer um das „Größere Ganze“ bemüht, und dabei wie selbstverständlich und sehenden Auges Jüdisches gerne opfert. Unsere westlich-christliche Gesamtkultur versteht sich im unbewussten Grunde ihres Wesens in frommer Ablehnung des Judentums. Und in dummer Anbiederung an den Islamismus findet sie Mitstreiter im Judenhass (siehe den vorangehenden Kommentar).

  3. Danke Hanna Einhaus.
    Während die UEFA die entsprechenden Fussballklubs der Fussballchaoten bei Krawallen bestraft, dürfen die „Freunde“ Palästinas Woche für Woche unbewilligte Demos abhalten. Diese sind nie ohne Gewalt und Sachbeschädigungen.
    Für einmal hat in Basel die Polizei Gummischrot eingesetzt.
    Wetten, dass die Aktionäre wieder straffrei davon kommen, und die Polizei wegen unverhältnismässiger Gewalt gerügt wird.
    Frau Einhaus hat recht. Die drei Äffchen haben Hochkonjunktur.

  4. Die Aussenpolitik der Schweiz im Nahostkonflikt kann man getrost als intransparent und verlogen bezeichnen. Israel wird hinten herum sabotiert und Terrororganisationen finanziert. Gegen die Interessen der eigenen Bürger werden Schleuser finanziert und Islamisten ins Land geholt.

  5. Tja … ein Schreiben, das an die Vernunft appelliert
    … das sind mal schlechte Voraussetzungen!

    Ein Judenhasser zu sein ist kein Vernunftschluß,
    ist nicht die Lösung einer Gleichung mit wohlbedachten Termen.
    Judenhasser wird man durch Prägung des Umfeldes
    oder durch den Gemeinschaftszwang innerhalb einer …
    … ach, wie drücke ich es möglichst elegant und entlang der
    Wahrheit scharfer Linie aus, aber dennoch so,
    dass der Kern zu erahnen ist …
    also innerhalb einer Ideologie, die der Welt sehr
    abgewandt ist und religiöses Mimikri betreibt.

    Ja, mit aller Gewalt wird NOCH NICHT in der Schweiz,
    aber sonst im deutschsprachigen Raum daran gearbeitet,
    Mitteleuropa ein neues Gesicht zu geben.
    Und das, werte Hannah, werden wir NICHT
    – nein, keinesfalls – aufhalten können!

    Als ich noch Beamter in D war – gefühlte 500 Jahre her –
    da wurde sich für eine besser bezahlte Planstelle
    mächtig angestrengt
    – man wollte seiner Familie schließlich etwas bieten.
    So verwunderte es uns,
    dass die hohen Planstellen an echte Trottel vergeben
    wurden … und das durchgängig!
    Kamen wir aber schnell dahinter:
    aha! es lag am Parteibuch der Altparteien!

    Nun sehe ich, dass in den höheren Planstellen der
    Ministerien und bei der Stadtverwaltung immer mehr
    arabische Namen auftauchen.
    Bei der Neubesetzung der Planstellen weit mehr
    arabische Namen als es der Anteil der Araber an der
    Bevölkerung zulassen sollte.
    Sorry,
    aber ich bin zu alt dafür, mich noch länger dumm
    stellen zu sollen
    – wer die öffentliche Verwaltung eines Landes besetzt,
    dem gehört das Land!

    Es tut mir leid, werte Hannah,
    aber es wird wieder Zeit zu fliehen,
    vorerst aus Deutschland und Österreich,
    aber Sie sollten langfristig planen!

    Ich bin bereits nach Ungarn geflüchtet,
    NICHT umgezogen – geflüchtet.

    Ihnen alles Liebe und Gute
    und ich ersehne jeden Tag,
    dass endlich die Nachricht kommt,
    die Geiseln seien wieder frei!

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