Der Geisel-Deal ist kein Sieg für die Hamas

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Eine blutgetränkte Matratze und Laken liegen auf dem Bett des Kinderschlafzimmers in einem Haus im Kibbutz Beeri. Foto IMAGO / ABACAPRESS
Eine blutgetränkte Matratze und Laken liegen auf dem Bett des Kinderschlafzimmers in einem Haus im Kibbutz Beeri. Foto IMAGO / ABACAPRESS
Lesezeit: 4 Minuten

Das Waffenstillstandsabkommen ist kein guter Deal. Trotzdem hat Israel gute Gründe dafür, ihn anzunehmen.

Die jüngste Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas hat viele Israelis enttäuscht. Verständlich, denn in den letzten Monaten hat das israelische Militär an allen Fronten wichtige Siege errungen: Die Führung von Hamas und Hisbollah wurde weitgehend getötet, die Raketenarsenale ausgeschaltet und ihre militärische Macht zerschlagen. In Syrien fiel der Diktator Assad und die Mullahs im Iran sitzen so unsicher wie noch nie. Die «Achse» des Terrors ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.  

Die Hamas feiert das Abkommen derweil wie einen Sieg: Ihr Verhandlungsführer, Khalil al-Hayya, pries die Massaker vom 7. Oktober als «militärische Errungenschaft» und «eine Quelle des Stolzes für unser Volk, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.» Er kündigte weitere Terrorakte bis zur Zerstörung Israels an. Eine genauere Analyse der Fakten zeigt jedoch ein anderes Bild, als es diese Reaktionen vermuten lassen.

Die lange Verzögerung durch die Hamas

Das Waffenstillstands-Abkommen ist eine Neuauflage des Abkommens vom 27. Mai 2024, das nie in Kraft trat. Israel unterstützte dieses Abkommen, während Hamas es wiederholt ablehnte. Die Frage drängt sich auf: Wenn der aktuelle Deal tatsächlich ein Sieg für die Hamas wäre, warum hat sie ein vergleichbares Angebot sieben Monate lang ausgeschlagen?

Verbesserungen für Israel im Vergleich zum Mai-Vorschlag

Der aktuelle Deal unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von der Mai-Version – und zwar zu Israels Gunsten. Der bedeutendste Unterschied betrifft die Luftaufklärung: Während das Mai-Abkommen Israel die Luftüberwachung für bis zu 12 Stunden täglich untersagte, enthält das aktuelle Abkommen keine solche Einschränkung. Dies ermöglicht Israel, während der Feuerpause wichtige Aufklärungsarbeit zu leisten, um Informationen über die Hamas-Strukturen und den Verbleib der restlichen Geiseln zu sammeln.

Strategische Vorteile für Israel

Der Deal verschafft Israel wichtige strategische Vorteile. In den letzten Monaten war der militärische Fortschritt in Gaza ins Stocken geraten. Bestimmte Gebiete konnten nie angegriffen werden, weil man dort Geiseln vermutete. Im Norden Gazas starben zuletzt viele israelische Soldaten durch Sprengfallen. Die Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln erweiterten Israels militärische Optionen im Gazastreifen erheblich.

Zudem muss man sich vergegenwärtigen, dass Israel nicht nur im Gazastreifen kämpft, sondern vom Libanon über den Jemen bis zum Iran. Auch die Situation in Syrien ist volatil. Die militärische Strategie von Israel fusste seit Beginn des Krieges auf dem Grundsatz, flexibel zu agieren und nicht irgendwo festzusitzen und schon gar nicht den Gazastreifen zu besetzen. In diesem Sinne kommt auch der Abzug aus den Bevölkerungszentren, wie ihn der Deal fordert, der israelischen Strategie entgegen.

Keine langfristigen Garantien für die Hamas

Besonders wichtig ist die Tatsache, dass Israel keine Zusicherungen gegeben hat, den Krieg nach dem temporären Waffenstillstand zu beenden. Im Gegenteil: Israelische diplomatische Quellen haben klargestellt, dass Israel seine Position im strategisch wichtigen Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten während der ersten 42 Tage des Deals beibehält. Die weitere militärische Präsenz hängt von den Verhandlungen über die zweite Phase ab, wobei Israel deutlich gemacht hat, dass es ohne Erfüllung seiner Kernforderungen – die Freilassung der Geiseln und die Beendigung der Hamas-Kontrolle über Gaza – seine militärische Position aufrechterhalten wird.

Starke amerikanische Unterstützung für weitere Militäraktionen

Dieses Vorgehen wird durch wichtige Vertreter der Trump-Regierung gestützt. Der künftige Nationale Sicherheitsberater der USA, Mike Waltz, hat unmissverständlich erklärt, dass die USA hinter Israel stehen werden, falls weitere militärische Aktionen gegen die Hamas notwendig werden sollten. Gegenüber Fox-News sagte er kürzlich: «Die Hamas wird nicht als militärische Entität fortbestehen und sie wird ganz sicher nicht den Gazastreifen regieren.»

Ein schlechter Deal mit Vorteilen

Diese Analyse soll keinesfalls als uneingeschränkte Befürwortung des Deals verstanden werden. Der Grundgedanke des Abkommens bleibt problematisch, da er die Hamas implizit als Verhandlungspartner aufwertet – und nicht als das, was sie ist: eine verabscheuungswürdige, unmenschliche Terrororganisation, die keine Existenzberechtigung hat. Besonders kritisch ist der ungleiche Austauschschlüssel zu sehen, bei dem für eine Geisel 30 Terroristen freigelassen werden. Auch wenn dieses Verhältnis nicht so extrem ist wie beim Gilad Schalit-Deal, schafft es dennoch gefährliche Anreize für künftige Geiselnahmen.

Wie sieht das Ende des Krieges aus?

Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken überwiegen im Moment die praktischen Vorteile: für Israel, das neue strategische Optionen gewinnt, für die Angehörigen und für die Geiseln selbst, deren Leben und Freiheit oberste Priorität haben müssen.

Man wird die nächsten Wochen abwarten müssen, um ein besseres Urteil über den Waffenstillstand fällen zu können. Es ist aber davon auszugehen, dass dieser Konflikt nicht durch ein Abkommen mit der Hamas beendet werden wird. Die Hamas wird voraussichtlich einen Teil der Geiseln zurückhalten, um sich selbst zu schützen, was wiederum weitere israelische Militäraktionen nach sich ziehen dürfte. Die USA haben für diesen Fall bereits ihre Unterstützung zugesagt. Diese Dynamik zeigt, dass der aktuelle Deal kaum das Ende des Konflikts markiert, sondern eher eine neue Phase einleitet.

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Über Daniel Rickenbacher

Daniel Rickenbacher ist promovierter Historiker und arbeitet in der Analyse und Politikberatung. Er studierte Geschichte, Politik und Religion und forschte an der Universität Basel, der Ben Gurion Universität, der Concordia Universität in Montreal und an der Militärakademie an der ETH.

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5 Kommentare

  1. Ich habe gehört, dass Biden Druck gemacht haben soll, der HAMAS eine Atempause zu gewähren und Reste Ihres Mordpotential erhalten zu können oder teilweise zurückzugewinnen.
    Ich vermute, es spielen für die USA wirtschaftliche Gründe bei Handelspartnern wie z. B. den Mörderunterstützerstaaten wie Katar oder Saudi-Arabien bei dieser fatalen Entscheidung Israel in den Rücken zu fallen eine gewichtige Rolle.
    (Ich seh keinen Grund meine fundierte Meinung zu revidieren oder gar zurückzuziehen, nur weil sie bei Ihnen unbegründet zensiert wurde)

  2. Eine Handlungsanweisung für Terroristen Weltweit: Der Westen ist schwach. Nehmt Geiseln, tötet, brandschatzt und vergewaltigt, denn so gewinnt man gegen den Westen.

    Wo, oh wo ist nur Helmut Schmidt? Mit Terroristen verhandelt man nicht – Terroristen tötet man!

  3. Wahrlich ein Pakt mit dem Bösen aber Israel sind die Hände gebunden. Kann etwas teuflischer sein als einen Staat mit Geiseln zu erpressen?! Man weiss noch nicht einmal wieviele noch leben und in was für einem Zustand sie sind. Diese Verbrecherbande mit nationalsozialistischer Gesinnung muss komplet eliminiert werden. Es ist das Böse schlechthin, ohne Menschlichkeit. Der Preis für diese beispiellosen Verbrechen muss so hoch sein wie möglich, denn sonst so befürchte ich wird sich das Ganze irgendwann wiederholen. Ich hoffe und bete, dass noch viele der Geiseln am Leben sind und das alle so bald als möglich befreit werden können aus dieser Hölle der Erde!!! Kurz zum Gazastreifen: Dieser darf nie mehr in die Hände von Terroristen wie die Hamas gelangen. Man muss diesen Küstenstreifen wieder zurückholen nach Israel, denn die ganze Tragödie begann als man den Gazastreifen 2005 völlig einseitig verlassen hatte und die jüdische Bevölkerung unter erbärmlichen Umständen daraus evakuierte ! Wenn Israel mehr Sicherheit für seine Bevölkerung möchte ist dieser Schritt unabdingbar.

  4. Die EU hat sofort 120 Millionen Aufbauhilde versprochen. Und wer bekommt die? Die Hamas natürlich. Heißt wohl 100 Millionen für Terrortunnels und Waffen. Aus unseren Steuergeldern.

    Ich hsabe keine Lust mehr, das zu bezahlen. Überhaupt nicht.

  5. Dieser „Deal“ ist ein Stufenplan, über den ich sehr kritisch denke. Eine Verbrecherbande stellt Forderungen. Ein Staat darf sich nicht erpressbar machen. Was für ein abscheulicher Handel ! Ein Pakt mit dem Teufel Hamas ! Ein Handel mit Toten, mit Überlebenden, mit verzweifelten Angehörigen, gedemütigten und gefolterten Seelen, gegen Hunderte verurteilte und gefangene Terroristen. Wer bestraft diese Terrorbrut, daß sie Geiseln sterben ließen ? Ich hätte mir von Netanjahu eine starke Antwort gewünscht, verstehe aber auch, daß die wartenden Angehörigen randalieren, die Regierung in Israel ratlos ist, die Soldaten erschöpft…..das ist noch nicht das Ende. Die Hamas wird noch bezahlen. Es sind noch Rechnungen offen und der allmächtige Gott wird diese Abscheulichkeiten an seinem Volk und seinem Land strafen, wie nur ER das kann.

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